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Virgen
Aktiv
Österreich vor 70 Jahren
I
45
Heydrichstraße zum Ruefenfeldweg
usw.
➢
Die Reparatur der Gleisanlagen,
dann des Bahnhofs und später der
zerstörten Gebäude im Stadtzentrum
waren vordringliche Aufgaben.
➢
Entnazifizierung: Von den Briten
(und in ihrer Zone auch von den Ame-
rikanern) ab Mai 1945 bis Ende 1946
sehr streng gehandhabt – ca. 100 bis
130 Personen aus Osttirol (Ortsgrup-
penleiter, „alte Parteigenossen“ u. a.)
wurden in den Lagern Wolfsberg (La-
vanttal) oder Weißenstein (bei Villach)
interniert. Dass dabei auch bloße
„Mitläufer“, denen man kaum etwas
vorwerfen konnte, „zum Handkuss
kamen“, wird an einem Beispiel im
Kapitel Virgen gezeigt.
➢
Die Besatzungsmacht verhängte
gleich nach ihrem Einmarsch
a) eine Ausgangssperre zwischen ½ 9
Uhr am Abend und 6 Uhr in der
Früh.
Sie wurde dann langsam „entschärft“
und am 2. Oktober aufgehoben.
b) Reisebeschränkungen: Ohne Be-
willigung durfte man den Wohnsitz
nur im Umkreis bis zu 10 km verlas-
sen, ab 26. Juni galten 20 km, und
nach dem 10. Juli gab es kein
„Limit“ mehr.
c) das Verbot für ihre Soldaten, mit
(weiblichen) Einheimischen in Kon-
takt zu treten. Dieser Erlass konnte
auch nur bis Mitte Juli aufrecht ge-
halten werden, seine Lockerung
wurde von beiden Seiten „freudigst
begrüßt“.
Virgen
Das folgende Ereignis war schon des
Öfteren in unseren lokalen Publikatio-
nen zu lesen, dennoch soll es hier noch-
mals – etwas gekürzt – mit dem Wort-
laut des Gendarmerie-Protokolls wie-
derholt werden.
Elementarkatastrophe in Virgen:
Am
8. 8. 1945 ging über dem Gemeindebe-
reich Virgen ein sich wiederholender
Wolkenbruch nieder. ... Der Virgerbach
riß gleich nach 23 Uhr sämtliche Brü-
cken und Stege ab (insgesamt 10). ... Im
Laufe dieser Nacht, am 9. 8. zwischen
1.30 Uhr und 3.15 Uhr riß der Nilbach
... das Wohn- und Wirtschaftsgebäude
des Franz Mariner, vulgo Pulverer, ...
und das Futterhaus des Thomas Lang,
vulgo Schmied, mit sich. Bei dieser
Katastrophe fanden die Schwiegermutter
des Mariner, Theres Leitner, seine zwei
Kinder Johann und Cäcilia, und Erich
Pasch aus Wien, der im Stadel des Tho-
mas Lang schlief, den Tod. ...
Weiters wurden im Gemeindegebiet Vir-
gen folgende Zerstörungen angerichtet:
In Obermauern: 12 Mühlen, 1 Sägewerk
und 7 Brücken abgerissen. Sämtliche
Wasserleitungen zerstört. 2 Kühe und
1 Schwein des Mariner getötet.
In Virgen: Wohnhaus des Josef Leitner
(Anm.: vlg. Seppeler) und des Johann
Raffler (Anm.: vlg. Vitaler) stark be-
schädigt. Gendarmerieposten-Unter-
kunft beschädigt. ...
Entlang des Virgener Baches bis zur Isel
viele Felder vermurt. ...
In Niedermauern: 1 Mühle abgerissen,
1 Wohnhaus und 3 Wirtschaftsgebäude
stark beschädigt. Das Dorf und viele Fel-
der von Niedermauern und Gries ver-
murt. ... In den übrigen Fraktionen ent-
standen nur geringe Schäden. ...
Entnazifizierung:
Der Begriff ist ein
„Unwort“! Oder glaubt jemand wirklich,
dass eingefleischte Nazis nach ein paar
Jahren Haft ihre Überzeugung geändert
hätten? Leider gerieten auch viele „kleine
Fische“ zwischen die Mühlsteine dieses
Gesetzes:
Oberlehrer Johann Brandstätter, vlg.
Blusner-Lehrer, übernahm wohl vom 15.
Juni bis 25. September 1938 das Amt
eines provisorischen Ortsgruppenleiters
der NSDAP, wurde aber in dieser Funk-
tion nie bestätigt. Das war auch nicht
möglich, weil er erst im November die
Partei-Mitgliedschaft beantragte (für
ihn ein „Muss“, sonst wäre er fristlos aus
dem Lehrberuf entlassen worden).
Ich kann nicht beurteilen, wie stark der
„Blusner-Lehrer“ vom nationalsozialisti-
schen Gedankengut durchdrungen war;
im Archiv gibt es jedoch mehrere eides-
stattliche Erklärungen (Pfarrer, Bürger-
meister, ehemalige Schüler u. a.), die be-
stätigen, dass er sich weder beim Unter-
richt noch sonst in der Öffentlichkeit
wie ein „waschechter“ Nazi verhalten
hätte. Trotzdem wurde er ab 23. August
1945 mehr als zwei Jahre lang in Wolfs-
berg interniert. Das auf Grund des „Ver-
botsgesetzes“ folgende gerichtliche Ver-
fahren brachte keine schwerwiegenden
nazistischen Aktivitäten zu Tage. Nach
Vollendung des 60. Lebensjahres am
1. Mai 1948 in den dauernden Ruhe-
stand versetzt (geb. 14. 1. 1888),
musste er dennoch, obwohl als „Min-
derbelasteter“ eingestuft, bis 1955 die
strafweise Kürzung seiner kargen Pen-
sion um ein Drittel hinnehmen.
Ergebnis der nationalratswahl vom
25. november in Virgen:
Wahlberechtigte: 582; Männer – 216,
Frauen – 366 (59 %)
Abgegebene Stimmen: 395, davon un-
gültig: 5, gültig 390
Die Wahlbeteiligung war bei uns mit
nur 68 % relativ gering, in allen anderen
Orten des Bezirks lag sie zwischen 80 %
und 95 %. Leider wird man den Grund,
warum so viele Virger/innen nicht zur
Urne gingen, kaum noch feststellen kön-
nen.
Verteilung der Stimmen: ÖVP – 380,
SPÖ – 10, KPÖ – 0
Ende dieser Artikel-Serie
„Österreich vor 70 Jahren“ – ein Ver-
such, euch die Ereignisse in unserem
Staat vom „Anschluss“ (1938) bis zum
Ende des Zweiten Weltkrieges nahezu-
bringen. Wegen der gebotenen Kürze
mussten freilich viele Details unberück-
sichtigt bleiben.
Ganz bewusst habe ich den Verlauf der
Kämpfe großteils ausgeklammert, dafür
jedoch die Verlogenheit, Brutalität und
Mordgier der nationalsozialistischen
Machthaber hervorgehoben. Unrecht
und Übergriffe gab es seit Beginn der
Menschheit in jeder kriegerischen Aus-
einandersetzung, auch Völkermorde
wurden immer wieder teilweise vollzo-
gen. Doch die „industrielle“ Vernichtung
von Juden, Behinderten und sogenann-
ten Untermenschen in den Gaskam-
mern der Konzentrationslager blieb
dem Hitler-Regime bzw. seinen Scher-
gen vorbehalten und übertraf alle bislang
geübten Grausamkeiten millionenfach!
„Principiis obsta!“ schrieb der römische
Dichter Ovid – „Wehre den Anfängen!“
Das Zitat möchte ich all jenen ans Herz
legen, die sich, frustriert von der aktuel-
len Politik, „einen kleinen Hitler“ wün-
schen. Ihnen entgeht, dass es solche „Ab-
leger“ ohnehin schon gibt, und zwar in