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Virgen

Aktiv

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I

Österreich vor 70 Jahren

Erst ab 4. Juni bequemte man sich dazu,

die Nationalitäten festzustellen und

„Nicht-Russen“ von der Deportation

auszunehmen. Für sie wurden kleinere

Lager in der Peggetz, bei Nikolsdorf und

in Sillian eingerichtet.

Nachdem die Offiziere von der „Konfe-

renz“ nicht heimgekommen waren,

herrschten in den Kosakenlagern Ängste

und Verzweiflung. Schließlich mussten

die Briten mit der Wahrheit herausrücken

und verkünden, „dass alle Kosaken in ihre

Heimat zurückkehren sollen.“ Die Reak-

tionen darauf waren ein Hungerstreik und

der Entschluss zu passivem Widerstand

(man hatte ja – gutgläubig – fast alle Waf-

fen abgegeben, sodass trotz der zahlen-

mäßigen Überlegenheit keine Chance be-

stand, sich erfolgreich zu wehren. Selbst

die von einigen misstrauischen Quer-

köpfen zurückbehaltenen, in Verstecken

deponierten Gewehre und Pistolen konn-

ten nun nichts mehr ausrichten).

Der 1. Juni ging als „Tragödie an der

Drau“ in die Geschichte ein. Am Mor-

gen feierten die Popen mit rund 4.000

Personen in der Peggetz einen Gottes-

dienst. Plötzlich wurde die Menschen-

menge von Soldaten aus Schottland um-

zingelt, die außerdem noch Maschinen-

gewehre und Panzerwagen in Stellung

brachten. Als der Befehl, die in der Nähe

stehenden LKWs zu besteigen, ohne

Wirkung blieb, gingen die Schotten mit

brutaler Gewalt vor. Sie setzten Knüp-

pel, Gewehrkolben, ja auch das Bajonett

gegen die Wehrlosen ein und schleppten

dann die Verletzten zu den Lastautos.

Schüsse steigerten die ausbrechende

Panik noch zusätzlich, sodass Frauen,

Kinder und alte Leute in dem Chaos tot-

getrampelt wurden. Nicht wenige Kosa-

ken – Frauen und Männer – zogen

Selbstmord der Auslieferung vor, spran-

gen in die Hochwasser führende Drau,

erdolchten ihre Familie, suchten den Tod

durch Erhängen oder schieden auf

andere Weise freiwillig aus dem Leben.

Mehreren Hunderten wird in dem Tru-

bel wohl auch die Flucht gelungen sein.

Wie viele Menschen an diesemTag star-

ben, konnte nie genau ermittelt werden;

seriöse Schätzungen vermuten 300 bis

400, maximal 700 Tote (selbst wenn die

niedrigste Zahl stimmen sollte, ist das

Ereignis als „Massaker“ zu bezeichnen).

Bis Mittag hatte man in der Peggetz

1.252, in Oberdrauburg, wo die Aktion

ähnlich dramatisch verlief, 1.749 Men-

schen auf die Lastautos gezerrt und dann

in den bereitstehenden Güterwaggons

eingeschlossen.

Alle weiteren, bis zum 7. Juni andau-

ernden Transporte nach Judenburg ver-

liefen reibungslos: der Widerstand war

gebrochen, die Menschen hatten sich

apathisch und hoffnungslos in ihr

Schicksal ergeben. Zirka 4.000 Kosaken

flüchteten während dieser Woche, doch

nur wenigen gelang es, sich irgendwo

niederzulassen; die Mehrzahl musste aus

Hunger und Erschöpfung aufgeben

oder wurde von Militärpatrouillen „ge-

schnappt“.

Nachdem die Unterkünfte der Kosaken

„geleert“ waren, plünderten Einheimi-

sche alles nur irgendwie Brauchbare aus

ihnen. Britische Offiziere beschlag-

nahmten die edelsten Pferde, und auch

Bauern durften völlig legal eine Kuh oder

so manches Ross mitnehmen. Trotzdem

mussten zuletzt viele Gäule erschossen

werden, wodurch sich die Fleischversor-

gung im Lienzer Talboden schlagartig

verbesserte. Mit dem Abschnitt „Fleisch“

auf der Lebensmittelkarte konnte man

zeitweilig statt der vorgesehenen 25 dag

vom Rind oder Schwein ganze 4 Kilo

Pferdefleisch kaufen!

Auswirkung von „Jalta“ in Osttirol und

Kärnten: Ein sowjetischer Bericht hielt

fest, dass vom 28. Mai bis zum 7. Juni

42.913 Personen aus britischer Hand

übernommen wurden (darunter auch

jene vom deutschen General Helmuth

Pannwitz befehligten Kosaken, die in

Jugoslawien gekämpft hatten und im

Lavanttal lagerten).

Erste Maßnahmen nach dem Krieg:

In Lienz fiel bereits am 10. Mai die

Entscheidung, alle „Nazigrößen“ aus

den Namen von Straßen und Plätzen

zu entfernen – der Adolf-Hitler-Platz

wurde wieder zum Hauptplatz, die

S. G. Korolkoff malte dieses Bild mit dem Titel: „Betrayal of the Cossacks Lienz“ (Verrat an den Kosaken in Lienz) im Jahr 1957. Wie brutal

die Soldaten tatsächlich vorgingen, konnte er nicht darstellen. In der linken Bildhälfte ist eine weiße Tafel zu sehen, auf der steht: „Better

death here than our sending into the SSSR“ (Der Tod hier ist besser, als nach Russland überstellt zu werden).