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nen Christbaum mit Lamettaschmuck
gesteckt. Hans hatte die zündende Idee,
diesen kleinen Christbaum von Lotte
auszuleihen, ihn bei uns im „Bübenzim-
mer“ am Abend aufzustellen und ihn
dann wieder am Christtag aufs Grabl zu-
rückzubringen. Wir nahmen den klei-
nen Christbaum mit und stellten ihn,
ohne dass unsere Eltern es wussten, im
„Bübenzimmer“ auf. Mit ein paar halb
abgebrannten Kerzenstücken wurde er
noch etwas aufgeputzt.
Die Winternacht brach langsam herein,
in der Küche brannte eine kleine Glüh-
birne ohne Lampenschirm von der
Decke. Mame hatte den gläsernen
Lampenschirm einige Zeit vorher beim
Auskehren der Küche mit dem Besen-
stiel zerschlagen. Papa schimpfte mit
Mame und soviel ich mich erinnern
kann, war dies das einzige Mal, dass
Papa mit Mame eine wörtliche Ausein-
andersetzung vor uns Kindern hatte.
Dieser Heilige Abend hatte es schon in
sich, kein weihnachtlicher Keks- oder
Bratengeruch lag in der Luft, wohl aber
Papas Knattelsuppenduft (Brennsuppe,
das Mehl musste ohne Fett oder gar But-
ter angeröstet werden), füllte die Kuchl
und die Labe.
Alle zogen sich schon frühzeitig zurück,
die Eltern mit der Schwester Hanni und
Bruder Heinz ins Elternschlafzimmer,
Lilly und Elsa in die Stube, wo sie ihre
Schlafbetten hatten und wo sonst üblich
auch unser Christbaum, der in meiner
Erinnerung wohl der Schönste auf der
ganzen Welt war, seinen Platz hatte.
Heuer fehlte er und damit auch die klei-
nen Geschenke!
Nur Hans und ich hielten in der Küche
noch die Stellung, wir durften ja nicht
zu früh zu unserem Christbaum gehen,
denn dann wäre unser beider Geheimnis
wohl aufgeflogen.
Es war schon nach 9.00 Uhr (21.00 Uhr),
als es an der Haustür, die versperrt war,
klopfte.
Es hat geklopft, und wie gewohnt spran-
gen wir zur Haustür, drehten den
Schlüssel um und öffneten sie. Der „Sep-
pelas Lois“, unser Nachbar (Alois Leit-
ner), stand vor der Tür. Lois war ein Jahr
älter als Otto, vor einigen Wochen aus
der Kriegsgefangenschaft entlassen und
Gottseidank schon daheim.
„I bring enk heit a Christkindl, den
Otto“ und zog unseren Bruder Otto aus
der finsteren Söllerseite.
Schreiend: „Mame, Mame, der Otto isch
da“, stürmte ich über die Holzstiege in
den ersten Stock in das Schlafzimmer
unserer Eltern. „Mame, der Otto isch
da.“
An das, was hernach noch alles geschah,
kann ich mich nicht mehr erinnern,
schade, es waren für mich an diesem
Abend wohl zu viele Eindrücke auf ein-
mal.
Das von Lotte ausgeliehene Christbäuml
brachten wir am Christtagnachmittag
wieder aufs Grabl zurück, der Fr. Perfler
war das Fehlen schon aufgefallen und sie
hat es Papa gesagt.
Weit war der Weg: Otto geriet in Frank-
reich in Gefangenschaft, die Lager
waren in den Pyrenäen und in Marseille,
wo er Schiffe be- und entladen musste.
Anfang Dezember sprach man im
Lager, dass Entlassungen bevorstünden.
Am 22. Dezember 1945 wurden in Mar-
seille Kriegsgefangene in Zugwaggons
verfrachtet, auf Verpflegung wurde wohl
absichtlich vergessen, und ab ging der
Zug in Richtung Osten. Gottseidank
war auch unser Otto in diesem Zug. In
der Schweiz hielt der streng bewachte
Transportzug an, die Türen wurden von
außen geöffnet und viele Schweizer Bür-
ger versorgten die Kriegsgefangenen mit
Essen und Getränken. Die Türen wur-
den wieder verschlossen und weiter ging
es bis nach Kapfenberg in der Steier-
mark. Dort erhielt Otto den Entlas-
sungsschein aus der Kriegsgefangen-
schaft mit dem Datum 24. Dezember
1945.
Seine Gedanken, am Heiligen Abend
daheim zu sein, schafften das fast Un-
mögliche. In den späteren Nachmittags-
stunden war er in Lienz, aber immer
noch 36 km von daheim entfernt. Am
Stadtrand von Lienz, bei Schloß Bruck,
hielt Otto einen ihn überholenden Ret-
tungswagen, der in Richtung Matrei
i. O. fuhr, an und fragte den Fahrer, ob
er ihn ein Stück mitnehmen könnte.
Der Fahrer lehnte die Bitte mit der Be-
merkung ab, es sei Heiliger Abend und
er müsse schauen, dass er heimkomme.
Eine öffentliche Fahrgelegenheit war
nicht vorhanden, und so ging Otto zu
Fuß durchs Iseltal in Richtung Virgen.
Nach der Ortschaft Ainet ging Otto bei
einem Bauernhaus vorbei, und die vor
der Haustür stehende Bäuerin fragt ihn:
„Bisch a Heimkehrer?“ Auf Ottos „Ja“
lud sie ihn zu einer Suppe mit einem
Paar Würstl ein. Für Otto war‘s ein
weihnachtliches Geschenk, der Hunger
etwas gestillt. Sie bot ihm auch ein
Nachtlager an, Otto lehnte dankend ab,
es trieb ihn heim.
In Huben wollte Otto vom Gendarme-
rieposten aus, der Postenkommandant
Rev.-Insp. Heidegger war ein Berufskol-
lege von Papa, telefonieren und dem
Papa mitteilen, dass er heimkommt,
doch eine Verbindung kam nicht zu-
stande. Weiter ging‘s zu Fuß nach Matrei
Virgen
Aktiv
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I
Ein Weihnachtswunder
Das Gendarmhaus, in dem Johann und Theolinde Ebner mit ihren zehn Kindern lebten.