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Virgen

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Österreich vor 70 Jahren

I

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Die damals herrschende Not konnte

nicht besser ausgedrückt werden, als es der

erst vor wenigen Tagen ins Amt berufene

Bundeskanzler Leopold Figl tat. In seiner

Weihnachtsansprache sagte er: „Ich kann

euch ... nichts geben, ... keine Kerzen für

den Christbaum, wenn ihr überhaupt

einen habt, kein Stück Brot, keine Kohle

zum Heizen, kein Glas zum Einschneiden.

Wir haben nichts. Ich kann euch nur bit-

ten: Glaubt an dieses Österreich.“

Osttirol

Kosaken:

Der erste Teil dieses Beitrags

endete damit, dass sich die Kosaken ab

4. Mai im Lienzer Talboden niederließen.

Nach anfänglichen Problemen normali-

sierte sich das Zusammenleben von Ein-

heimischen und „Exoten“. In den Füh-

rungsetagen achteten beide Seiten darauf,

das Verhältnis fast freundschaftlich zu ge-

stalten. Von den Offizieren „Ihrer Majes-

tät“ wurde mit kollegialem Verhalten und

Versprechungen eine möglichst pro-

blemlose Abschiebung des Flüchtlings-

heers vorbereitet. Die Befehlshaber (Ata-

mane) der Kosaken hingegen hofften, mit

„Sack und Pack“ in eine der britischen

Kolonien auswandern zu dürfen. Ande-

rerseits jedoch wären ihre Truppen bei

einer eventuellen Fortsetzung des Krieges

durch die westlichen Alliierten – jetzt

gegen das stalinistische Russland – zu

jedem Einsatz bereit gewesen. Der Kon-

flikt war damals schon absehbar, er ent-

fachte jedoch keinen „heißen“, sondern

ab 1946/47 nur den „kalten Krieg“.

was den „Vaterlandsverrätern“ drohte –

die sofortige Erschießung oder jahr-

zehntelange Haft in Arbeitslagern. Ein

Grund für diesen Übereifer (vor allem

der Engländer) könnte die Befürchtung

gewesen sein, dass Stalin, sollte man ihm

„seine“ Kosaken nicht ausliefern, briti-

sche Kriegsgefangene als Faustpfand zu-

rückbehalten würde.

Hohe Stellen in London bestimmten das

weitere Vorgehen der Besatzungstruppe,

die den Befehlen natürlich nachkommen

musste. Mit Lug und Trug erreichte man

die freiwillige Abgabe der zumTeil ver-

alteten Waffen – den Kosaken wurde

neues, modernes Gerät versprochen

die Gefangennahme von mehr als

1.500 kosakischen Offizieren. Ver-

trauensselig folgten sie am 28. Mai

der Einladung, „herausgeputzt“ mit

Paradeuniform, Orden und Aus-

zeichnungen an einer wichtigen

Konferenz in Spittal/Drau teilzuneh-

men. Tatsächlich kamen sie in ein

streng bewachtes Gefangenenlager,

wurden bald darauf zur damaligen

Zonengrenze in Judenburg transpor-

tiert und dort den Russen übergeben.

Oben erwähnter, britischer Übereifer:

Zwei Drittel (68 %) dieser Offiziere

waren gar keine sowjetischen Staatsbür-

ger, sondern Emigranten, die das Zaren-

reich schon nach der Revolution von

1917 verlassen hatten; ihre Auslieferung

widersprach daher ganz eindeutig so-

wohl der Genfer Konvention als auch

den Abmachungen von Jalta.

Lebensmittel einkaufen 1945. Ohne Lieferungen der Alliierten wären viele Städter verhungert. Doch selbst mit dieser Hilfe war die Ver-

sorgungslage katastrophal. Ein Erwachsener hatte pro Tag Anspruch auf 3,5 DekagrammMehl, 1 dag Fett, 1 dag Zucker, 7 dag Brot und

7 Gramm (!) Milchpulver – alles nur einmal in der Woche gegen den entsprechenden Abschnitt auf der Lebensmittelkarte erhältlich.

Einige Zahlen, um die Situation zu be-

leuchten: Es hielten sich damals nicht bloß

die 25.000 Kosaken im Bezirk auf, son-

dern außerdem noch geschätzte 10.000

Flüchtlinge aus verschiedenen Ländern.

Im Lienzer Talboden lebten 1945 – die

Stadt mit etwa 8.000 Bürgern eingerech-

net – ca. 15.000 Menschen (ganz Osttirol

hatte ungefähr 35.000 Einwohner). Wie

sollten da zusätzliche 35.000 hungrige

Mäuler gestopft werden? Gras und Ge-

treide hatten die Kosakenpferde fast zur

Gänze abgeweidet; und ohne Ernte

drohte ab dem Herbst eine Hungersnot,

die nur durch britische Hilfslieferungen

verhindert werden konnte.

Es war also ein Akt der „Notwehr“, dass alle

Lokalpolitiker einen schnellen Weiter-

transport der ungebetenen Gäste anstreb-

ten. Diese Sorge wurde ihnen durch den

schon erwähnten Geheimvertrag von Jalta

abgenommen. Darin verpflichteten sich

Russland, die USA und England, alle Per-

sonen aus ihrem „eroberten“ Bereich in die

jeweiligen Heimatländer zurückzuschicken.

Den Nutzen von diesem Abkommen hatte

die Sowjetunion, gab es doch in Deutsch-

land mehrere Millionen russischer Kriegs-

gefangener und Zwangsarbeiter/innen, die

nun von den Westmächten befreit wurden.

Der Roten Armee fielen hingegen bei ihrem

Vormarsch nur wenige Gefangenenlager

mit Alliierten in die Hände.

Warum die westlichen Mächte „Jalta“

auf Punkt und Beistrich, ja sogar dar-

über hinaus erfüllten, ist kaum zu ver-

stehen. Es war doch kein Geheimnis,