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Virgen

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Ein Weihnachtswunder

I

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Eine wahre Geschichte

von Kurt Ebner

Man schrieb das Jahr 1945, die ersten

Weihnachten nach dem Krieg.

Krieg, in den alle gemusterten Männer

ab 18 Jahren einrücken mussten. Nach

Erhalt des Stellungsschreibens, auf das

manche auch sehnsüchtig warteten,

musste man sich am Stellungsort melden

und man wurde dort für den Reichs-

arbeitsdienst oder für den Fronteinsatz

eingekleidet. Otto wollte Offizier wer-

den und rückte deshalb freiwillig schon

mit 16 ½ Jahren zum Reichsarbeits-

dienst ein, obwohl unsere Mame sehr

dagegen war.

Nach dem Reichsarbeitsdienst und der

Grundausbildung bei der Infanterie ging

es nicht auf die Offiziersschule, sondern

zum Kriegseinsatz in die Pyrenäen und

Ardennen nach Frankreich.

Emmerich mit seinen jungen 18 Jahren

wurde 1944 zu den SS-Panzern einge-

zogen und stand im Osten, in Polen, im

Kriegseinsatz

Nach einem Lazarettaufenthalt, Otto

wurde durch einen Granatsplitter in das

Hinterteil verwundet, kam er einige Tage

auf Genesungsurlaub heim.

Für uns Buben, Hans und Kurt, war

dies ja ein Ereignis und wir konnten mit

Stolz den anderen Buben im Dorf er-

zählen, dass unser Otto mit einer „Gra-

natschmatter im Oasch“ verwundet im

Lazarett ist.

Den von Otto mitgebrachten, großen

Feldrucksack mit der Gasmaske, der

Feldflasche und dem angehängten Stahl-

helm hätte ich allzu gerne untersucht, er

stand ja auch in der Stube auf dem Fuß-

boden und leicht erreichbar, doch der

war für mich tabu.

Nach dem kurzen Gesundungsurlaub

rückte Otto wieder zu seiner Einheit in

den Westen ein.

An einem Sonntagnachmittag, kurz vor

Kriegsende im März 1945, überbrachte

unser Onkel, der „Petas Tate“, Peter

Gsaller, er war der Ortsgruppenleiter

von Virgen, unseren Eltern die traurige

Nachricht, dass unser Otto im Kriegs-

einsatz als vermisst gemeldet sei.

Schon einige Tage vor dieser Mitteilung

hat mir mein Cousin Franz, er ist der

Sohn von Peter Gsaller, erzählt, „dass

hetz noacha oamal unser Mame fescht

weinen wat“.

Ja, ich hörte an diesem Sonntagnach-

mittag nach der Vermisstenmitteilung

unsere Mame wirklich laut weinen.

Im Mai 1945 ging der unselige Krieg zu

Ende, von den beiden älteren Brüdern

Emmerich und Otto fehlte jede Mittei-

lung, hatten sie das Kriegsende lebend

überstanden, waren sie in Gefangen-

schaft geraten?

Einige in den Kriegsdienst eingezogene

Virger waren schon gleich nach dem Zu-

sammenbruch von den Einheiten oder

der Kriegsgefangenschaft heimgekehrt,

vom Verbleib unserer Brüder erhielten

die Eltern keine Nachricht.

Ein schreckliches Ereignis traf unsere

Familie auch noch im Juli 1945, unsere

Schwester Lotte war 1944 an Gelenks-

entzündung in den Knien erkrankt.

Medizin (Penicillin), die die Krankheit

hätte heilen können, war nicht aufzu-

treiben, und so verschlechterte sich ihr

Gesundheitszustand von Monat zu

Monat. Am 12. Juli 1945 fuhr Papa um

6.00 Uhr in der Früh mit dem Postauto

nach Matrei i. O., um für Lotte vom

Arzt Medikamente zu holen. Als er

gegen 11.00 Uhr heimkam, er ging die

Strecke von Matrei i. O. nach Virgen zu

Fuß, eine Fahrgelegenheit gab es nicht,

war seine Tochter mit der glockenhellen

Singstimme, unsere Schwester Lotte, im

Alter von zwölfeinhalb Jahren verstor-

ben. Ein großer Schlag für unsere Eltern

und uns Geschwister.

Der Herbst verging und der erste

Adventsonntag mit der Rorate um 6.00

Uhr in der Früh wurde von Papa und

uns Kindern mit Andacht besucht.

Die Adventzeit mit der Vorfreude auf

das kommende Christkindl war in die-

sem Jahr wohl sehr gedrückt, Lotte im

Himmel und von den beiden Buben

Emmerich und Otto war noch immer

keine Nachricht eingelangt.

Es kam der Heilige Abend, schon Tage

vorher wurde von unseren Eltern be-

schlossen, dass heuer kein Christbaum

aufgestellt wird, denn der Tod der Lotte

und die Ungewissheit über den Verbleib

von Emmerich und Otto drückte bei

unseren Eltern doch sehr auf ihr Gemüt.

Am Nachmittag zum Heiligen Abend

besuchten Hans und ich das Grab un-

serer Schwester Lotte auf dem Orts-

friedhof in Virgen. Die Firmpatin von

Lotte, die Volksschullehrerin Fr. Perfler,

hatte auf das Grab von Lotte einen klei-

Ein Weihnachtswunder

Otto Ebner.

Emmerich Ebner.