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FODN - 64/03/2016
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MENSCHEN IM PORTRAIT
Besuch des Arztes ging es der Mutter
so schlecht, dass sie den ältesten Sohn
Kaspar zum Pfarrer schickte, um ihr die
letzte Ölung zu geben. Auf halben Weg
kam der Pfarrer dem Jungen aber schon
entgegen: Der Arzt hatte ihn schon ge-
beten, zum Hoara zu gehen, da er keine
Besserung der Mutter mehr erwartete.
Thresl kümmerte sich derweil um ihre
Geschwister – sie führte den Haushalt
beim Hoara als sie noch nicht einmal 18
Jahre alt war. Bereits nach sieben Jahren
Schule bekommt sie ihr Abschlusszeug-
nis: Der Vater bat den Schulinspektor,
dem Mädchen doch ein Zeugnis zu ge-
ben und es danach zu Hause behalten zu
dürfen, man brauche sie dort dringend.
Doch der Leidensweg der Mutter en-
dete noch lange nicht: Ein Tumor befiel
sie und so musste sie in die Klinik nach
Innsbruck. Zweimal hat sie Thresl dort
besucht und beschreibt das Kranken-
zimmer - ein Saal, in dem 20 Betten
standen - als einen Ort, an dem wohl
kaum jemand gesund werden konnte.
Die Mutter wollte dort nicht sterben,
Besserung war keine in Sicht. Da so-
Thresl mit ihrer zweitältesten Schwester
Elisabeth, die wenig später verstarb. Eine
Cousine, die ins Kloster ging, wollte ein Foto
der beiden Kinder, Thresl wollte ihr diesen
Wunsch versagen und nicht fotografiert
werden. Daraufhin meinte die Cousine:
„Mach einfach die Augen zu, dann bist du
nicht auf dem Bild.“
Magdalena Payr, Tante Dora und Thresl, im Hintergrund das Widum und die Milchtrinkstube,
die es nicht mehr gibt. Thresl wie immer sehr fotoscheu.
gar die Ärzte der Meinung waren, es
wäre besser, wenn sie im Kreise ihrer
Lieben ihre letzten Atemzüge machen
dürfte, erlaubten sie ihr die Heimreise.
Vater Johann holte sie mit dem Zug ab
– alleine das kann ich mir kaum vorstel-
len, wie umständlich das damals gewe-
sen sein muss. Doch zu Hause trat das
Wunder ein: Die Mutter starb nun eben
nicht, sie erholte sich langsam und lebte
danach noch vierzig Jahre. Ich erkenne,
wie viel Wahrheit in den Worten von
Thresl steckt, wenn sie sagt: „Man muss
auf den Herrgott vertrauen und es so
annehmen, wie er es für uns bestimmt
hat.“ Der Spruch, der diesen Artikel
einleitet, ist ein Vorsatz, den sich Thresl
sehr zu Herzen nimmt.