Previous Page  22 / 24 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 22 / 24 Next Page
Page Background

Mai 13

Gemeindezeitung Kartitsch

Seite 22

Ein Höhlengebiet

in Osttirol entdeckt

(Aus dem Tiroler Anzeiger 1933)

In der „Reichspost“ vom 10. Ok-

tober lesen wir: Bei Kartitsch,

dem malerisch 1390 Meter hoch

an der Bergstraße Sillian-Luggau

-Kötschach gelegenen Osttiroler

Dörfchen, das in den letzten Jah-

ren aus langer Vergessenheit zu

einem von Wienern gern gewähl-

ten Gebirgsaufenthalt geworden

ist, wurde ihn den letzten Wo-

chen ein hochinteressantes Höh-

lengebiet aufgeschlossen, dessen

geheimnisvolle, jetzt zum größe-

ren Teil noch unerforschten

Gründe bald ein vielgesuchtes

Wanderziel bilden werden.

Südwärts gegen die nahe italieni-

sche Grenze zu verlaufend, zieht

von Kartitsch das Winklertal ge-

gen den zu 2600 bis 2700 Meter

ansteigenden Kamm der Karni-

schen Alpen. Die jäh abfallenden

Wände des Talabschlusses er-

klimmt ein vor drei Jahren in den

Felsen gesprengter breiter Weg,

der zu der am Obstansersee unter

der Pfannspitze gelegenen Hütte

der Sektion „Austria“ des D. u.

Oe. Alpenvereins leitet. Nahe

dem Wege schießt in sprühenden

weißen Bändern ein starker Gieß-

bach zu Tal, der weiter oben

plötzlich aus dem Gestein

springt, der Seeabfluß, der sich

eine geraume Strecke unterir-

disch den Weg gebahnt hat. Be-

vor der Hüttenpfad den Eingang

zu dem gewaltigen Bergzirkus

ersteigt, der den See umgipfelt,

durchquert er das breite Alpen-

wiesenbecken eines 200 Meter

tiefer gelegenen ehemaligen grö-

ßeren Sees. Links neben einer

Felswand windet sich aus diesem

Becken der Hüttensteig zur

Obstanserhütte empor.

In dieser

Wand gähnt ein etwa zwölf

Meter hoher Felsenschlund

,

der bisher unzugänglich war.

Tüchtige einheimische Kletterer,

als erster Sternecker, der Sohn

des Lehrers von Kartitsch, haben

dennoch die Steilwand umstie-

gen und Entdeckungen gemacht,

die dazu geführt haben, dass die

Sektion „Austria“ jetzt einen

Pfad zu dem Höhleneingang

schlagen lässt, dessen provisori-

sche Anlage, kühn über dem Ab-

grund dem Felsen abgerungen,

in den letzten Tagen fertigge-

stellt wurde.

Gesteinstrümmer türmen sich

sich am Eingang des schwarzen

Bergschlundes, der alsbald im

Innern aufwärts steigt und in

zwei Höhlenwege gabelt. Der

linke führt über Felsblöcke hin-

weg in einen Tunnel, dessen

Wände unser spärliches Lam-

penlicht in Millionen von glit-

zernden Eiskristallen widerspie-

geln lässt. Urwässer haben hier

den Fels glattgescheuert. Nach

hundert Schritten verengt sich

der Felskanal. Gebückt klettern

wir auf meterdicken Eisbänken,

die ein schmaler Spalt, zu eng

für den Fuß, durchschneidet,

vorwärts und wieder weitet sich

der Felsengang zu zauberhaft

leuchtendem Raume und kriecht

wieder in sich zusammen, um

abermals sich aufwärts zu einem

hoch oben dunkelnden Gebilde –

ists eine Taucherglocke oder ein

riesiger Pilz? - reckt sich plötz-

lich aus der Finsternis, in die un-

sere Flamme flackernd hinein-

sticht. Tropfsteingebilde begin-

nen aus Boden und Decke zu

wachsen.

Phantastische Konturen ge-

winnen Leben

Der Schlund steilt auf und brückt

sich zusammen, um bald einem

See Raum zu geben. Von den

Wänden tropft es ungesehen in

geisterhaftem Tick-Tack. Ein

stilles, ruhiges Wasser kommt

daher und verschwindet wieder,

aber aus dem Innern des Berges

schallt ein dumpfes, drohendes

Brausen – die Höhle nähert sich

dem unterirdischen Lauf des See-

abflusses, der irgendwo blind in

nächtliche Tiefen abwärts stürzt.

Die ersten Erforscher haben sich

in seinen langsam aufwärts stre-

benden Tunnel, nur den Kopf

über dem eiskalten Wasser hal-

tend, hinein gewagt. Sicher haben

die Wasser des Sees, der einst

mit viel größeren Massen gegen

den Berg drückte, den jetzt ver-

lassenen Gang gebohrt und durch

das finstere Riesentor in der

Bergwand den Sprung in das un-

tere Seetal gemacht.

Der Berg ist voll Geheimnisse

Auch der rechts an der Höhlen-

öffnung abzweigende Gang führt

tief in das Innere; den ersten Er-

forschern gelang es, in bedeuten-

der Entfernung einige hundert

Meter höher durch einen Spalt

einen Ausgang in das obere See-

tal zu gewinnen. Noch andere

Verzweigungen sind da, die noch

nicht erkundet werden konnten.

Das Seltsame ist, dass an dem

See in dem linken Arm der seit

undenklichen Zeiten nicht zu-

gänglichen Höhle

eine Feuerstel-

le mit Holzkohlenresten

und in

einiger Entfernung ein uraltes

Scheit Holz gefunden wurden.

Wann war es, dass in diese Berg-

tiefe Menschen ihren Weg fan-

den, und wie gelangten sie her-

ein? Die Annahme, dass etwa

verwegene Wildschützen sich

hier verborgen hätten, ist un-

wahrscheinlich, denn sie hätten,

um ein Versteck in der Höhle zu

finden, nicht über 200 Meter tief

in den eisstarrenden Schlund

klettern brauchen. Im oberen

Seeboden bricht eine Felsenkluft

in die Tiefe, zu der deutlich ge-

schlagene Stufen hinab führen,