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Seite 21

Gemeindezeitung Kartitsch

Mai 13

den nicht!“ „Aber Urschl, es geht

um mehr, es geht um zwei Men-

schenleben, mach es mir nach“,

schreit er, um das Getöse zu über-

tönen, und schon nimmt er der

Begleiterin die Tasche aus der

Hand und kriecht damit über die

Leiter.

Aber die Wehmutter kriecht ihm

nicht nach, sie kauert drüben an

einer höherstehenden Erle und

weint

herzzerbrechend.

Der

Mann ist schon wieder bei ihr,

bittet sie mit aufgehobenen Hän-

den, führt sie an der Hand zum

Steg. Sie kniet zitternd nieder,

kriecht drei Schritte weit, und da

sieht und hört sie das Schreckli-

che, und abermals packt sie die

Furcht, aufschluchzend kriecht

sie zurück zur Erle und kauert

dort wie ein erschrecktes Kind.

Der Bauer im nahen Garberhause

hatte den letzten Vorfall bemerkt

und sagte sich: Da muss man hel-

fen. Es fiel ihm auch bald ein,

welches Mittel dazu am geeig-

netsten wäre. Vorerst trug er zwei

lange passende Bretter hinzu und

gab sie dem Binder Hansl, dass er

sie auf die Leitersprossen legen

sollte. Er hole gleich ein Gerät,

mit dem sie vereint die Hebamme

über den Bach liefern würden.

Er brachte einen Backmitten

(wannenförmiges Gerät zum

Brotbacken), in den man die Frau

zum Einsteigen aufforderte. Da

drinnen würde sie vom Wildbach

nichts sehen und weniger hören.

Wir zwei Männer werden dich

sicher über den Steg bringen.

Da wagte es die Frau. „In Gottes

Namen“, sagte sie und „heilige

Maria hilf!“ Sie war ja selbst

heilfroh, dass sie ihrer Pflicht

nachkommen konnte.

Vorne am Beachtrog zog der

Hansl, hinten schob der Garber-

bauer. Im Nu waren sie drüben

und hoben die Glückliche aus

dem Behälter. In zehn Minuten

war der Hansl mit der Ersehnten

bei der Bindermutter; es war

höchste Zeit gewesen.

Es dauerte nicht lange, als die

Geburt eines gesunden Mäd-

chens von der Geburtshelferin

gemeldet wurde. Inständig dank-

te die Mutter mit schwacher

Stimme und auch die Draschler-

Urschl war froh, dass noch alles

gut gegangen war, trotz des Ver-

säumnisses am Bach wegen ih-

rer großen Angst.

Wenn auch in vielen Häusern

Kummer und Not herrschten we-

gen der großen Schäden, die in

diesen und nachfolgenden Tagen

auftraten, Menschenopfer waren

keine vorgekommen, wohl aber

hatten nicht wenige Männer und

Burschen bei den gefährlichen

Sicherungsarbeiten Verkühlun-

gen und Verletzungen erlitten.

Endlich, Ende September, bes-

serte sich das Wetter, ein

Schneefall hatte den Regen vor-

läufig beendet. Nun begann man

die größten Schäden, soweit es

möglich war, in Feld und Wald

auszubessern, Notbrücken über

die Bäche zu schlagen, Harpfen

wieder aufzustellen und Garben

zum Trocknen lose zwischen die

Harpfenstangen zu legen. Vier

Wochen ließ der Oktober diese

Arbeiten tun, dann schlug die

Witterung um.

Am 27. entlud sich plötzlich ein

Hochgewitter mit entsetzlichem

Sturm, der Bäume entwurzelte,

Dächer von den Häusern riss,

Harpfen mit den Garben um-

blies, wie wenn es Kartenhäus-

chen wären, und wolkenbruchar-

tiger Regen setzte ein, unterbro-

chen durch 19 Stunden.

Der Sturm im Gebirge löste sich

in Wasser auf und die Katastro-

phe vom September wiederholte

sich. Wieder wurden alle Brü-

cken über dem Talbach vernich-

tet und kein Mensch kam von der

Sonnseite auf die Schattseite.

Was das Unwetter auf den Fel-

dern und am Talbach noch übrig

gelassen hatte, wurde diesmal

zugrunde gerichtet.

Am 9. November ereignete sich

der gleiche Fall auf der Schattsei-

te, beim Innerwalcher-Bauer, wie

dem 20. September zu Binder auf

der Sonnseite. Da die Hebamme

zufällig auf der Sonnseite zu tun

hatte, wurde auch diesmal auf

ähnliche Weise die Geburtshelfe-

rin über den Gailbach gebracht.

Glücklicherweise auch noch früh

genug. Gleich wie vor 7 bis 8

Wochen kam auch bei dieser Ge-

burt ein Mädchen zur Welt, das

gesund und lebensfroh war.

Als auch die zweite Flutperiode

vorbei war, zählte man im ganzen

Tal 73 Murbrüche, 13 im Feld

des Kleinbauern Johann Kollrei-

der, Meßner, in St. Oswald allein.

Mein Vater sagte mir, dass da-

mals die Leute meinten, diese

Felder gingen nicht mehr herzu-

richten. Doch mit Hilfe von fast

allen Männern im Dorfe wurde es

möglich gemacht, sodass seitdem

drei Generationen mit ihren Fa-

milien aus den Erträgnissen die-

ser Felder, die alle Hanglage ha-

ben, durch fleißige Arbeit zum

Großteil davon gelebt haben.

Zur Verfügung gestellt von

Ortschronistin Hilda Außerlechner

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