Previous Page  35 / 64 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 35 / 64 Next Page
Page Background

Virgen

Aktiv

Archäologische Funde

I

35

Friedhofserweiterung Virgen – Archäologische Funde

Ein archäologisches Fenster

in die Geschichte Virgens

Die archäologischen Untersuchungen

auf dem Grundstück nördlich der Pfarr-

kirche St. Virgil, das für die Erweiterung

des Friedhofs vorgesehen ist, brachten

unerwartete Ergebnisse für die Mittel-

alterforschung, aber auch für die Ge-

schichte des Ortes Virgen selbst.

Die aufgrund der Nähe zur Kirche er-

warteten Bestattungen aus früheren

Phasen der Dorfgeschichte – der erste

Pfarrer wird immerhin schon am Ende

des 12. Jahrhunderts erwähnt – blieben

aus, stattdessen konnten die Reste einer

viel älteren Siedlung erkannt und stel-

lenweise untersucht werden.

Aufgrund der Funde aus den einzelnen

Schichten kann die Siedlung auf dem Areal

des heutigen Virgen vorerst in die Zeit von

ca. 400 n. Chr., der sogenannten Spätan-

tike bis ins 9./10. Jahrhundert, dem frühen

Mittelalter datiert werden. Spuren einfa-

cher Häuser und Hütten aus Holz wurden

in mehreren Schichten aufgedeckt und do-

kumentiert. Zwei Feuerstellen sowie Stein-

legungen bezeichnen die Stellen, an denen

sich ursprünglich Gebäude befanden.

Neben den üblichen Fundstücken aus Sied-

lungen, wie Fragmenten von verzierten Ke-

ramikgefäßen, Knochen und einigen klei-

nen Metallgegenständen fand sich auch ein

Ohrring aus Bronze, der mit Einlagen aus

buntem Glasfluss verziert ist. Diese Ohr-

ringe waren bislang nur aus Gräbern als

Beigabe für die Bestatteten bekannt und

sind etwa 1.100 bis 1.200 Jahre alt. Als

ältester Gegenstand kam den Archäologen

eine spätrömische Münze vor die Kelle, die

aus dem 4. Jahrhundert n. Chr. stammt.

Blick von oben auf die Ausgrabungen hinter der Pfarrkirche.

7

Früh-

mittel-

alter-

liche

Keramik

frag-

mente

7. bis

10. Jh.

n. Chr.

1

Ohr-

ring aus

Bronze

mit

Emaille-

einlagen

9./10. Jh.

n. Chr.

Einen wichtigen Fingerzeig auf die wirt-

schaftlichen Grundlagen des alten Dor-

fes stellt der Fund einer nicht unerheb-

lichen Menge von Verhüttungsschlacken

dar, die auf die Verarbeitung von Metall

innerhalb der Siedlung hinweist und da-

durch indirekt auch auf den bergmänni-

schen Abbau der begehrten Rohstoffe,

wie Eisen- und Kupfererze.

Siedlungen des frühen Mittelalters gab es

zwar allenthalben, die bis heute entdeckten

Gräberfelder dieser Zeitstufe belegen das,

allerdings konnten in Tirol bislang nur

sehr selten Spuren solcher Ansiedlungen

beobachtet werden. Zu unscheinbar sind

deren Reste und zu oft lagen sie an Stellen,

die auch heute noch als ideale Siedlungs-

plätze immer neu überbaut werden. Daher

kann das frühmittelalterliche Dorf durch-

aus als eine archäologische Rarität gelten.

Erstaunlich ist auch die Tatsache, dass

ein Platz mitten im Herzen Virgens über

mehr als ein Jahrtausend lang nicht neu

bebaut wurde und sich so die Informa-

tionen über die Vorfahren der heutigen

Virger erhalten konnten.

Zwar werden die meisten Siedlungsreste

durch die Friedhofserweiterung zerstört,

allerdings kann zumindest ein kleiner

Teil im südöstlichen Eck des Areals

durch eine Planänderung erhalten und

die darin gespeicherten Informationen

über unsere Ahnen zukünftigen Gene-

rationen überliefert werden.

Dr. Thomas Tischer, Ausgrabungsleiter