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ummer

52 - D

ezember

2015

A

llgemein

nen Mangel an Turnusärzten

gab. Wie ich von meiner Fa-

milie erzogen wurde, sollte

ich die Meinung meines

Schwiegervaters akzeptieren.

Andererseits wollte ich aber

die Facharztausbildung ma-

chen. Dafür war in Österreich

jedoch die Staatsbürgerschaft

notwendig. Nach 9-jährigem

Aufenthalt habe ich bei der

Tiroler Landesregierung da-

rum angesucht. Aus unver-

ständlichen Gründen hat der

damals zuständige Hofrat sie

abgelehnt und noch dazu eine

beleidigende Äußerung über

meine

Volkszugehörigkeit

gemacht.

Dann bin ich zur Fortsetzung

meiner Turnusausbildung ans

AKH Klagenfurt gegangen.

Dort habe ich wieder um die

österreichische Staatsbürger-

schaft angesucht und sie in-

nerhalb von drei Monaten be-

kommen und meinen Turnus

fertig gemacht. 1964 bekam

ich zuerst eine unbezahlte,

dann eine bezahlte Assisten-

tenstelle an der Universitäts-

klinik. Ich wollte Wissen-

schaftler werden. Nach vier

Jahren habe ich gesehen, dass

es an der Innsbrucker Kinder-

klinik nicht alle Vorausset-

zungen dafür gab. So habe ich

mich entschieden, in Lienz

eine Kinderfacharzt-Praxis

aufzumachen. Das war sehr

mutig ohne Kassenpraxis,

aber ich habe es nicht bereut.

Zu mir kamen damals nur

solche kranken Kinder, die in

anderen Praxen nicht erfolg-

reich behandelt wurden.

Etwas Lustiges sollte ich er-

wähnen: Ein Bauer mit einem

Buben suchte meine Ordina-

tion und fragte in der Rosen-

gasse in einem Geschäft, wo

der „Brunzer-Doktor“ ordi-

niert. Der Geschäftsbesitzer

verstand nicht, was er meinte,

darauf sagte der Bauer zu ihm

sehr laut: „Mein Sohn brunzt

jeden Tag ins Bett, das halte

ich nicht mehr aus.“ Endlich

fand er dann meine Ordinati-

on.

1974 wurde ein Primariat in

Oberösterreich, in Kirchdorf

an der Krems, ausgeschrie-

ben. Ich habe mich beworben

und bekam die Stelle. Nur

eine Kinderarzt-Praxis hätte

mich beruflich nicht befrie-

digt, deshalb wollte ich das

Primariat.

Da ich in Gaimberg bereits

ein Haus gebaut hatte, die

Kinder bereits Tiroler bzw.

Gaimberger waren und ihren

Freundeskreis hatten, wollte

ich unbedingt wieder nach

Lienz, selbstverständlich. So

habe ich in Lienz wieder eine

Ordination mit Kassen-Praxis

aufgemacht und danach das

Primariat im Krankenhaus

bekommen. Erst da war ich

beruflich voll zufrieden. An-

fang 2003 bin ich in Pension

gegangen, bin aber immer

noch bei verschiedenen Ver-

einen caritativ tätig.

Wie bereits erwähnt, haben

meine Eltern nur durch Glück

den Genozid überlebt und

sich seinerzeit in Palästina

niedergelassen. Ich selbst

betrachte mich als einen ös-

terreichischen

Armenier.

Damals haben viele Tiroler,

sogar manche Regierungsbe-

amte, nicht verstanden, was

es bedeutet, ein Armenier zu

sein mit jordanischer Staats-

bürgerschaft, aus Palästina

oder Israel und noch dazu

ein Christ. Viele Tiroler ha-

ben mich damals als Araber

oder als Juden betrachtet.

Sie haben nicht gewusst, wo

Armenien liegt. Wenn ich ge-

sagt habe, dass meine Eltern

aus Kilikien bzw. aus Aintab

stammen, haben sie mich als

Türken betrachtet.

1988 ereignete sich in Arme-

nien ein großes Erdbeben. Die

ganze Welt war erschüttert.

Viele Länder, auch Österrei-

ch, haben sich bereit erklärt,

zu helfen. Der damalige Sozi-

alminister Hesoun hat begon-

nen, Pläne zu entwickeln, wie

und wo zu helfen wäre. Da-

mals sind 25.000 Menschen

gestorben, Tausende wurden

zu Invaliden. Das Kinder-

krankenhaus im damaligen

Leninakan, dem heutigen

Goumry, war völlig zerstört.

Minister Hesoun hat sofort

entschieden, eine ARGE Ar-

menienhilfe zu gründen und

ein neues Kinderkrankenhaus

zu bauen. Sofort begannen

die Initiativen zur Finanzie-

rung.

Einer seiner Mitarbeiter hat

mich gefragt, ob ich helfen

kann. Ich habe sofort zuge-

sagt und ab 1989 angefangen,

für die ARGE Armenienhilfe

zu arbeiten. Mit uns waren ei-

nige österreichische Arbeiter,

Baumeister und Maurer. 1992

haben wir das Krankenhaus

fertig gebaut und offiziell an

die armenische Regierung

übergeben. Seit dieser Zeit

war ich jährlich zwei- bis

dreimal dort.

Ich war als medizinischer

Berater tätig. Nach der Er-

öffnung des Krankenhauses

habe ich gesehen, dass die

Ärzte und Schwestern Fort-

bildung brauchen. So habe

ich begonnen, die Ärzte und

Schwestern

fortzubilden.

Unser Krankenhaus war zwi-

schen 1992 und 1996 das

einzige Krankenhaus, das

eine Heizung hatte. Damals

war Armenien sehr arm und

der Karabach-Krieg war

in vollem Gang. Zur Hei-

zung des Krankenhauses

haben wir entweder Öl oder

Gas gebraucht, beides war

nicht vorhanden. So haben

wir hier in Österreich Geld

für die Energieversorgung

gesammelt.Dasösterreichische

Kinderspital war das einzige

in der Region, das diesen

„Luxus“ anzubieten hatte -

das in einer Gegend mit 30

Grad minus im Winter. Seit-

her bin ich mit dem Kranken-

haus eng verbunden, immer

wieder konsultieren mich die

dortigen Ärzte bei schwie-

rigen Fällen.

Ich bin einmal mit meinem

Freund Raimund Mühlmann

nach Armenien geflogen und

habe ihm unser Krankenhaus

gezeigt. Er hat auch die Ar-

mut, die Arbeitslosigkeit der

Bevölkerung gesehen. So

haben wir beschlossen, etwas

dagegen zu tun. Wir haben

sehr lange überlegt und dann

entschieden, gebrauchte Au-

tobusse zu kaufen, sie zu re-

novieren und nach Goumry

zu bringen. All die Arbeit hat

er übernommen. Er organi-

sierte Benefiz-Konzerte, der

Osttiroler Bote war der Me-

dienpartner, die Bevölkerung

hat großartig geholfen. Wir

haben immerhin eine Sum-

me von 1,6 Millionen Schil-

ling zustande gebracht, haben

mit dem Geld fünf Autobusse

gekauft, renoviert und mit

unseren Osttiroler Freunden

nach Goumry gebracht. Mit

den Einnahmen durch den

Betrieb der Autobusse hat

die Verwaltung des Kranken-

hauses dringend notwendige

Medikamente teilfinanziert

und zusätzlich haben 11 Fa-

milien in Goumry ein Ein-

kommen. Das bedeutet „Hilfe

zur Selbsthilfe“.

Wir haben das Krankenhaus

so weit vorangebracht, dass

es nun selbständig arbeiten

kann. Die Finanzierung des

Spitals ist nun in der Verant-

wortung der armenischen Re-

gierung. Gott sei Dank und

mit weiterer österreichischer

Hilfe funktioniert diese Insti-

tution sehr gut, für die Stadt

und für die gesamte nördliche

Region des Landes, die im-

mer noch unter den Folgen

des Erdbebens zu leiden hat.

In letzter Zeit habe ich an-

gefangen, mich anderen

Projekten zuzuwenden: Wai-

senheime, Heime für miss-

gebildete Kinder. Oft werden

die Kinder dorthin gegeben,