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ummer
52 - D
ezember
2015
A
llgemein
Ein armenischer Osttiroler, ein Gaimberger Weltbürger
Dr. Nerses Arakelian
Der Kinderarzt Dr. Nerses
Arakelian erzählt seine Ge-
schichte: Die Geschichte
„seiner Kinder“, die Ge-
schichte seiner Kinder und
die Geschichte seiner Heimat
- zwischen Syrien, Armenien
und Osttirol.
Ich bin Dr. Nerses Arake-
lian. Fast jeder in Osttirol
kennt mich als Kinderarzt
und Primar des Bezirkskran-
kenhauses in Lienz. Ich bin
schon länger in Pension, aber
eben doch nicht: Es gibt zu
viel zu tun. In vielen carita-
tiven Projekten arbeite ich
weiter. Kranke Kinder haben
keine Nationalität, sie haben
eine Sorge und eine Hoffnung
- die Zukunft zu erleben und
in der Zukunft gut zu leben.
Mein Lebenslauf ist etwas
kompliziert. Wie kann ich
diese Zeiten und Welten ver-
ständlich machen? Lassen Sie
es mich versuchen, sehen Sie
mein Leben vielleicht auch
als eine Geschichte, die mich
von einem märchenhaften
Land zu einem anderen mär-
chenhaften Land geführt hat.
Von Geburt bin ich Armeni-
er, aber nicht aus Armenien.
Meine Eltern kamen aus der
Kleinstadt Aintab, historisch
zwischen Anatolien, Syrien
und Kilikien gelegen. Im
Laufe der Jahrhunderte haben
sich vielleicht die politischen
Systeme geändert, aber die
Menschen sind geblieben,
viele Nationen miteinander.
Dann haben die osmanischen
Türken dieses Gebiet erobert
und mit der Verfolgung der
Minderheiten, insbesondere
der Armenier, begonnen, vor
allem 1895 und dann 1914.
Nur durch Glück haben mei-
ne Eltern überlebt (sie kann-
ten sich damals ja noch nicht),
mein Vater zu Beginn noch in
der türkischen Armee, dann
auf der Flucht und meine
Mutter nach dem Tod ihrer
Eltern und dem Verlust ihrer
Schwester im Waisenhaus in
Port Said. Wir gehören zur
armenisch-apostolischen Kir-
che, der ältesten Nationalkir-
che des Christentums. Durch
die Ökumene sind die Arme-
nier längst Teil der großen
internationalen christlichen
Familie (christliche arme-
nisch-apostolische Kirche).
Etwas kompliziert ist die
Geschichte meines Geburts-
datums. Ich habe zwei Ge-
burtstage, einen echten Ge-
burtstag und einen unechten.
Der eine, der echte, ist der
14.4.1934, der „unechte“ der
29.12.1935. Seit ich in Ös-
terreich lebe, komme ich mit
meinem unechten Geburtstag
ganz gut zurecht. Wie kann
so etwas passieren? Wir sind
sieben Geschwister, sind alle
im syrischen Aleppo, heu-
te Haleb, geboren, obwohl
wir in Jaffa, damals Palästi-
na, jetzt Israel, gelebt haben.
Die Tante meines Vaters war
Hebamme und hat in Aleppo
(Haleb) gelebt. Immer, wenn
meine Mutter hochschwanger
war, hat mein Vater sie nach
Aleppo zur Entbindung ge-
bracht, denn zur Tante hatte
er vollstes Vertrauen. Eini-
ge Monate nach der Geburt
brachte uns Vater wieder von
Aleppo nach Jaffa. Dieses
Mal hatte er vergessen, mich
bei der Behörde anzumelden.
Nach etwa 18 Monaten fragte
ihn meine Mutter, ob er mich
gemeldet hätte. Er entschuldi-
gte sich, denn er hatte darauf
vergessen. Im Amt selbst ver-
gaß er dann mein Geburtsda-
tum. Er gab dann bei der Be-
hörde den 29.12.1935 an, so
bin ich fast 18 Monate jünger
geworden.
Bis zum jüdisch-arabischen
Krieg von 1948 haben wir in
Jaffa gelebt, danach sind wir
nach Bethlehem übersiedelt.
In Bethlehem haben wir vier
Jahre gelebt. Dort habe ich
die Schule der Franziskaner
besucht, dann war die Über-
siedlung nach Jerusalem. Dort
habe ich das Gymnasium der
katholischen Schulbrüder be-
sucht und dort auch maturiert.
Im gleichen Jahr bin ich nach
Wien gekommen, am 19. Au-
gust 1955. In Wien wollte ich
Mathematik studieren, aber
die Vorlesungen der tech-
nischen Universität began-
nen damals erst Mitte April.
Arabische und griechische
Medizinstudenten
nahmen
mich zu einer anatomischen
Vorlesung mit. Das gefiel
mir außerordentlich, obwohl
ich viele lateinische Wörter
nicht verstanden habe. Auf
der Stelle habe ich mich ent-
schieden, Medizin zu studie-
ren. Meine Angehörigen und
Freunde von Jerusalem waren
sehr überrascht, weil ich für
sie der zukünftige „Mathema-
tiker“ war.
Im April 1962 habe ich mein
Medizinstudium abgeschlos-
sen. Zur Promotion kam mei-
ne Mutter aus Jerusalem. An
der Universität habe ich mei-
ne Frau kennen gelernt. Sie
war damals an der Kinder-
schwesternschule und wollte,
dass ich ihre Eltern kennen
lerne und im Bezirkskranken-
haus Lienz mit meiner Famu-
latur beginne. Die Schwieger-
eltern waren sehr skeptisch,
ich war ein Ausländer in Li-
enz und ein Ausländer war
damals kein Ausländer wie
heute. Selbstverständlich hat-
te ich Schwierigkeiten, aber
ich wollte einfach weiterma-
chen. In Österreich war da-
mals um 1962 Ärztemangel,
auch im Lienzer Kranken-
haus. Mein Schwiegervater
wollte, dass ich meinen Tur-
nus in Lienz mache, weil es,
wie überall in Österreich, ei-
Dr. Nerses Arakelian mit einem seiner früheren Patienten.
Foto: privat