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Die Sonnseiten
Nummer 59 - Mai 2018
Chronik
mehreren Ab- und Versetzun-
gen und einer Verhaftung).
Am gleichen Tag erfolgte die
Umbenennung des bisheri-
gen „Kaiser-Josef-Platzes“
(Hauptplatz) in „Adolf Hitler
Platz“.
Gleichzeitig mit den Verhaf-
tungen und Neubesetzungen
lief die Propaganda für die
Volksabstimmung am 10.
April auf vollen Touren. Be-
sonderen Wert legte man auf
die positive „Feierliche Er-
klärung der Bischöfe“, die
gleich zweimal auf der ersten
Seite des „Deutschen Osttiro-
lers“ abgedruckt wurde. Im
ganzen Bezirk fand eine Fül-
le von Kundgebungen statt.
Brotausgaben und Eintopf-
Ausschenkungen versorgten
bedürftige Personen. Die Ein-
stellung der Zwangsverstei-
gerungen wurde bekanntge-
geben und 300 Radioapparate
wurden in Osttirol verteilt.
Knapp vor der Abstimmung
kündigte man ein Sofortpro-
gramm für den Bezirk an, das
den Ausbau von Güterwegen
und Seilbahnen mit 100.000
Reichsmark in Aussicht stell-
te. Am 31. März hielt der
Kärntner Gauleiter Kutschera
eine Rede in Lienz. Die End-
punkte setzten der Besuch
Hitlers in Klagenfurt, an dem
offenbar über 5000 Osttiroler
Innen teilgenommen hatten
und der „Tag des Großdeut-
schen Reiches“ fünf Tage
später, der die letzte Groß-
kundgebung in Lienz brachte.
Die Frage bei dieser Wahl
lautete: „Bist Du mit der
am 13. März vollzogenen
Wiedervereinigung mit dem
Deutschen Reich einverstan-
den und stimmst Du für die
Liste unseres Führers Adolf
Hitler?“
Das Osttiroler Ergebnis zeig-
te mit knapp unter 99 % Ja-
Stimmen den niedrigsten
Anteil unter den Tiroler Be-
zirken, österreichweit waren
es 99,73 %, was ein „Nein“
zu 382 „Ja“ bedeutet. In Ost-
tirol gab es einerseits 22 Ge-
meinden, in denen zu 100 %
mit „Ja“ gewählt wurde, an-
dererseits wiesen besonders
Inner- und Außervillgraten,
aber auch Obertilliach und
Abfaltersbach eine hohe Zahl
an „Nein“ und ungültigen
Stimmen auf. Eindeutiger
Spitzenreiter war Innervill-
graten, das mit nur 73,7 %
Ja-Stimmen den niedrigsten
Wert von ganz Österreich
hatte. Die Gründe für dieses
Ergebnis wurden verschieden
gedeutet. Die Nationalsozia-
listen erklärten das Ergebnis
mit „bäuerlicher Dickschäde-
ligkeit und einem verbohrten
Hinterwäldlertum der Tal-
menschen, die den Anbruch
der großen neuen Zeit nicht
kapiert hätten“.
Eine erste Ernüchterung auf
die anfänglich überwiegende
Begeisterung entstand durch
die Angliederung an Kärnten,
die trotz zahlreicher Bitten
und Schreiben durchgezogen
wurde. Am 27. Mai prang-
te schon auf der ersten Seite
des „Deutschen Osttirolers“
die Schlagzeile: „Kärnten
und Osttirol ein Gau“. Mit
dem Erlass von Reichskom-
misär Bürckel vom 6. Juli
wurde eindeutig festgehalten,
dass dem Gauleiter und Lan-
deshauptmann von Kärnten
die politische und auch die
staatlich-verwaltungsmäßige
Betreuung Osttirols übertra-
gen wird. Zugleich stellte er
500.000 Reichsmark zum
Aufbau Osttirols zur Verfü-
gung. Das Presseamt Bür-
ckels meinte auch, dass man
„eine möglichst geschickte
Führer-Persönlichkeit nach
Osttirol schicken solle, um
auf die Bevölkerung beruhi-
gend und erziehend einzuwir-
ken.“
Soweit der kleine Auszug aus
dem genannten Buch, in dem
u. a. die ereignisreichen Mo-
nate von März bis Juli 1938
geschildert werden. Siehe
auch „Buchtipp“!
Ich finde den Beitrag über
diese Zeit in unserer Gemein-
dezeitung wichtig, wenn auch
in den verschiedenen Medien
Ähnliches zu lesen sein wird.
Buchtipp: Osttirol - Vom ersten
Weltkrieg bis zur Gegenwart
Autor: Dr. Martin Kofler, geb. 1971 in Lienz, Studium der
Geschichte an der Universität Innsbruck und in New Orleans,
USA.
Neben anderen Forschungs-Schwerpunkten und Veröffentli-
chungen wird in diesem Buch erstmals die Geschichte Ostti-
rols vom 1. Weltkrieg bis zur Gegenwart beschrieben. Seine
recht interessant und ausführlich geschriebene Diplomarbeit
über „Osttirol im Dritten Reich, 1938 - 1945“ ist natürlich
derzeit ein besonders aktueller Teil des Buches. Martin Kof-
ler ist Leiter des
T
iroler
A
rchivs für
p
hotogr. Dokumentation
(TAP) und Kunst in Lienz.