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Rund ums Dorf Seite 20 August 2016
Das Tiroler Flurverfassungslandesgesetz -
Ein Gesetz für alle Fälle?
Viele Tiroler Gemeinden waren seit alters her Eigentümer
sogenannten Gemeindegutes. Dabei handelt es sich um
Liegenschaften, deren Eigentümer die Gemeinde ist, die
aber von bestimmten Gemeindemitgliedern aufgrund alter
Übung unmittelbar für land- und forstwirtschaftliche Zwe-
cke zur Deckung des Haus- und Gutsbedarfes von Stamm-
sitzliegenschaften genutzt werden. Vor allem Mitte des 20.
Jahrhunderts wurde in vielen Gemeinden eine Regulierung
des Gemeindegutes durchgeführt, dabei Agrargemeinschaf-
ten gegründet und diesen das grundbücherliche Eigentums-
recht an den zum Gemeindegut gehörenden Liegenschaften
übertragen.
Diese Agrargemeinschaften standen in den vergangenen
Jahren zunehmend in der politischen und juristischen Kri-
tik. Die Entscheidung zur Agrargemeinschaft Mieders durch
den VfGH 2008 gab den Anstoß zur Schaffung einer verfas-
sungskonformen Rechtslage. In dieser Entscheidung hat der
Gerichtshof erklärt, dass die Regulierung von Gemeinde-
gut gleichheitswidrig ist und das Eigentumsrecht verletzt.
Die Regulierung von Gemeindegut und der damit verbun-
dene Eigentumsübergang auf die Agrargemeinschaft ist
zwar rechtkräftig, es kann jedoch daraus nicht der Schluss
gezogen werden, dass die Zuordnung des Substanzwer-
tes an die Gemeinden für alle Zeiten beseitig sein soll. Als
Lösung hat der VfGH empfohlen das grundbücherliche Ei-
gentum der Agrargemeinschaften zwar nicht zu entziehen,
den Substanzwert jedoch der Gemeinde zuzuerkennen. Als
Substanzwert ist dabei der nach Abzug der Belastung durch
die land- und forstwirtschaftlichen Nutzungsrechte verblei-
bende Wert gemeint. Der sogenannte „Überling“ ist der
über die land- und forstwirtschaftlichen Nutzungsrechte
hinausgehende Überschuss. Die Nutzungsrechte sind auf
den historischen Haus- und Gutsbedarf der berechtigten
Liegenschaften beschränkt und umfassen beispielsweise
das Weiderecht, den Bezug von Nutzholz zur Erhaltung des
Wohnhauses und den ortüblichen Bedarf an Brennholz für
den Haushalt. Nutzungen, die keinen konkreten Sachbedarf
befriedigen sollen, sondern lediglich einen finanziellen Vor-
teil enthalten, gehören nach dem VfGH nicht zum Haus- und
Gutsbedarf. Mit dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtsho-
fes, dass dem Substanzwert sowohl der Jagdpacht als auch
der Überling zuzuordnen ist, wurde das Tiroler Flurverfas-
sungslandesgesetz 2014 erneut novelliert und stellt die
heutigen Rahmenbedingungen unserer Gemeindegutsag-
rargemeinschaften dar. Am 1. Juli 2014 trat das geänderte
Gesetz in Kraft. Seit nunmehr zwei Jahren, darf ich daher als
Substanzverwalter die Geschicke der Agrargemeinschaften
Bergen und Leiten mitgestalten. Erst durch die Veröffentli-
chung der endgültigen Urteile in den Frühjahrsmonaten des
letzten Jahres wurde klar, dass es in unserem Dorf drei ver-
schiedene rechtliche Qualifikationen der Agrargemeinschaf-
ten gab.
Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes wurde die Be-
schwerde der Agrargemeinschaft Bergen abgelehnt und be-
stätigt, dass es sich um eine 100 %ige „atypische Gemein-
degutsagrargemeinschaft“ handelt. Auch die Bedenken der
Agrargemeinschaft Leiten fand keine Zustimmung. Über
das betroffene Agrargemeinschaftsgebiet wurde eine „echt
gemischte, atypische Gemeindegutsagrargemeinschaft“
gestülpt. Lediglich für die Agrargemeinschaft Dorf mit Ro-
darm wurde das Erkenntnis des Landesagrarsenates bestä-
tigt, dass es sich um kein Gemeindegut im Sinne des §
33 Abs. 2 lit. c Z 2 des TFLG 1996 handelt. Drei Agrarge-
meinschaften, drei Urteile – Es war nachvollziehbar, dass
diese unterschiedliche Behandlung weder bei einem der
betroffenen Agrargemeinschaftsmitgliedern noch bei
vielen Mitglieder des Gemeinderates auf Verständnis
stieß!
Im Laufe des letzten Jahres wurden in mehreren Agrar-
gesprächen mit dem LA DI Hermann Kuenz und dem Ver-
treter des Amtes der Tiroler Landesregierung, Abteilung
Agrargemeinschaften Dr. Gregor Kaltenböck versucht
die Unterschiede bei der rechtlichen Qualifikation zu
verstehen. Wenngleich dies keine einfach zu beantwor-
tende Frage war, stand imMittelpunkt der Überlegungen
mittelfristig wiederum drei eigenständig handelnde Kör-
perschaften zu bilden. In einem ersten formalen Schritt
dafür musste seitens des Landes Tirol, Abteilung Agrar-
gemeinschaft der historische Haus- und Gutsbedarf der
anteilsberechtigten Stammsitzliegenschaften ermittelt
werden. Die Ergebnisse liegen seit wenigen Tage vor und
stärken die Position der Agrargemeinschaftsmitglieder
für weiter Verhandlungen.
Basierend auf den Erfahrungen der letzten Monate ist es
Schritt für Schritt gelungen die Basis für eine zukünftige
erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen den Gemeinde-
gutsagrargemeinschaften und der Gemeinde zu erarbei-
ten. Mit den Nutzungsberechtigten der GGAG Bergen
wurde ein vernünftiges Bewirtschaftungsübereinkom-
men auszuverhandeln. Dieses sichert weitestgehend die
Freiheit in der Bewirtschaftung der Almen. Auch mit den
Vertretern der GGAG Leiten werden ähnliche Gespräche
geführt. Es gibt zwar noch keinen Abschluss, doch der
Willen für eine selbstständige Fortführung ist ebenfalls
erkennbar.
Bei der Gemeinderatssitzung vom 29. Juni dieses Jahres
ist ein weiterer Meilenstein gelungen. Einstimmig wur-
de jeweils einen Antrag auf eine vermögensrechtliche
Auseinandersetzung mit der Vergangenheit der GGAG
Bergen und Leiten einzuleiten angenommen. Dadurch
sollten zu Unrecht übertragene historischen Vermögens-
werte restituiert werden und in die Verfügungsgewalt
der Nutzungsberechtigten gestellt werden. Die Entschei-
dung der Abteilung Agrargemeinschaft ist noch aus-
ständig. Mit Nachdruck sollte jedoch eine Entscheidung
eingefordert werden. Den drei Agrargemeinschaften in
unserem Dorf ist gemein, dass sie vor allem in wirtschaft-
licher, infrastruktureller als auch in sozialer Hinsicht eine
sehr große Bedeutung haben. Eine Erschließung von
Almen bzw. Wäldern wäre ohne Agrargemeinschaften
kaum vorstellbar gewesen.
Die aktive Bewirtschaftung ist jedoch nicht nur für land-
wirtschaftlichen Betriebe sondern auch für die Öffent-
lichkeit von großer Bedeutung. Unberührte Natur und
landschaftliche Vielfalt verdanken wir den Bauern und
ihren Agrargemeinschaften. Durch die Erhaltung und
Pflege der alpinen Kulturlandschaft leiten alle unsere
Agrargemeinschaften egal ob in Form einer typischen
oder atypischen einen wichtigen Beitrag für die Weiter-
entwicklung des Dorfes. Die Erhaltung der Agrargemein-
schaften muss daher unser gemeinsames Ziel sein!
Euer Substanzveralter
MMag. Hannes Ganner