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FODN - 63/02/2016
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PFARRGEMEINDE KALS
auch die Pfarre Kals übernommen. Du
hast in unseren Dörfern eine so genann-
te moderne Welt vorgefunden, die sich
im Gegensatz zu dir gar nicht beschei-
den gibt. Ich kann mir denken, dass es
dir nicht leichtgefallen ist, nach 28 Jah-
ren in Kamerun für beide Pfarrgemein-
den das Wort Gottes den Menschen na-
hezubringen.
Pfarrer Walter Stifter ist ein profun-
der Kenner des Alten Testamentes. Ins-
besondere die Propheten Jeremia und
Jesaja waren des Öfteren Inhalt sei-
ner Predigten. Einmal ging es um den
Propheten Jeremia, der sich energisch
gegen Kriegspläne stellte und dafür in
eine Zisterne geworfen wurde. Lieber
Herr Pfarrer, du kannst dem nachemp-
finden. Du hast erzählt, du seiest des Öf-
teren während deiner Missionstätigkeit
in die Tiefe einer Zisterne hinabgestie-
gen, dorthin, wohin sich die Eingebore-
nen nicht gewagt hätten. Die Missions-
gemeinden mit gutem Trinkwasser zu
versorgen, war dir, lieber Herr Pfarrer,
ein besonderes Anliegen. Was für Jere-
mia zutrifft, gilt vielleicht auch für dich:
„Er wurde von seiner Sendung zerrissen
und konnte sich ihr doch nicht entzie-
hen.“
Vor kurzem hast du in der Predigt
deinen Abschied von Kals angekündigt:
Ich werde Kals verlassen mit einem wei-
nenden Auge und mit freudigem Herzen.
Lange habe ich über diese ambivalenten
Worte nachgedacht. Mit freudigem Her-
zen? Du hast uns wissen lassen, dass du
deinen Vorgänger in Kals, Pfarrer Mi-
chael Bernot, gut gekannt hast. Pfarrer
in Kals zu sein, hattest du dir schon frü-
her gut vorstellen können.
Die erste Bekanntschaft mit uns Kal-
sern hast du mit der Wallfahrt nach
Heiligenblut gemacht. Jetzt warst du 5
Jahre Pfarrer für uns, hast die Menschen
kennengelernt, Sakramente gespendet,
zu Eucharistiefeiern geladen, Viele be-
gleitet. All das war auch in Hopfgarten
zu tun. Traf das Wort von Jeremia Er
wurde von seiner Sendung zerrissen“,
wiederum auf dich zu? In einer deiner
ersten Predigten hast du uns wissen las-
sen: „Lieber als die Pfarren hier führen,
würde ich in der Mission Brunnen bau-
en und Wasserleitungen graben.“ Deine
Predigt heute hat auch gezeigt, dass du
uns Kalserinnen und Kalser sehr zuge-
tan warst und bist.
Mit einem weinenden Auge wirst du
Kals verlassen. Der Prophet Jesaja ver-
langte von seinem Volk, dass es an Gott
festhalte. Auf Gott allein soll man bauen
und vertrauen. Und heute? Vor kurzem
berichtete eine Nachrichtensendung von
einer Veranstaltung im Haller Stadtsaal:
Ein indischer Guru brachte mehr Men-
schen auf den Weg als die heimischen
Priester. Stunden warteten Menschen
auf ein Zeichen des persönlichen Zu-
spruches von diesem Inder.
Wie das? Das Leben ist nicht so ein-
fach, als dass sich nicht eines Tages
die Frage nach Gott stellte. Auf Gott
zu bauen, ihm zu vertrauen, ist aller-
dings seltener geworden. Vor mehr als
400 Jahren hat ein englischer Philosoph
gelehrt: „Denk daran, wenn ein Zweif-
ler, ein Agnostiker an das Ende seines
Lebens kommt, geht er ein in das große
Vielleicht.“ Dieses Vielleicht war und ist
unserem Pfarrer zu wenig.
In den 5 Jahren in Kals war Pfarrer
Walter Stifter immens bestrebt, das
Glaubensfundament der Kirche als
Klammer in Gemeinde und Gesell-
schaft anzubieten. Sicher hättest du, lie-
ber Herr Pfarrer, in der Kirche zur Eu-
charistiefeier gerne mehr Menschen, vor
allem junge Menschen, angesprochen. –
Bringt dir dies das weinende Auge?
Lieber Herr Pfarrer Walter Stifter:
Im Namen der Pfarrgemeinde danke
ich dir für die intensive Betreuung der
Pfarre Kals, ein ½ Jahrzehnt lang. Oft
hast du heuer auf das Jahr der Barmher-
zigkeit hingewiesen. Und mit diesem
Gedanken möchte ich auch schließen:
Das Wort Jesu „Seid barmherzig, wie es
auch euer Vater ist“, gilt nicht nur ein
Jahr, sondern es ist der letzte Maßstab,
an dem wir gemessen werden.