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02/2016
„Es gibt eine Kraft aus der
Ewigkeit, und diese ist grün.“
(Hildegard von Bingen, 1098 – 1179)
Im zwölften Jahrhundert schrieb
die Benediktinerin und Gelehrte
Hildegard von Bingen ihre
Erkenntnisse über die Heilwir-
kungen der Wildpflanzen nieder.
Noch 900 Jahre später ist ihr
Name für viele Menschen eng
mit der Kräuterheilkunde verwo-
ben. Die Kraft, die in den Pflan-
zen und in allen anderen Lebewesen wirkt, nannte sie
„Grünkraft“. Hildegard von Bingen wusste ebenso wie die
Bauern des Mittelalters, von denen sie einen großen Teil ihres
Wissens vermittelt bekam, vom heilenden Band zwischen
Mensch und Natur.
Heute entdeckt die Wissenschaft atemberaubende Details und
Tatsachen, die sich Hildegard damals selbst in ihren kühnsten
Nächten vermutlich nicht erträumt hätte. Die Pflanzen, die es
ihr so sehr angetan hatten, wirken nicht nur über ihre Inhalts-
stoffe auf uns ein. Was Hildegard von Bingen vermutlich
schon ahnte, wird heute durch die moderne Forschung durch-
leuchtet und aus dem Reich des Mysteriösen auf eine solide
wissenschaftliche Basis gestellt.
„Pflanzen kommunizieren direkt mit unserem Immunsystem
und unserem Unbewussten, ohne dass wir sie auch nur berüh-
ren müssten, geschweige denn schlucken. Diese faszinierende
Interaktion zwischen Mensch und Pflanze, welche die Wissen-
schaft erst allmählich zu verstehen beginnt, ist von großer
Bedeutung für Medizin und Psychotherapie. Sie hält uns kör-
perlich sowie psychisch gesund und beugt Krankheiten vor. In
Zukunft muss die Begegnung mit Pflanzen eine wichtige Rolle
bei der Behandlung von körperlichen Erkrankungen und psy-
chischen Störungen spielen. Es darf keine Klinik, kein Alters-
heim ohne Garten oder Zugang zu Wiesen oder Wäldern mehr
geben, keine Siedlung ohne Naturflächen und keine Stadt ohne
Wildnis.“
Pflanzen heilen uns, ohne dass wir sie zu Tees, Salben, Essen-
zen, Extrakten, Ölen, Düften oder auch zu Tropfen und Tablet-
ten verarbeiten müssen.
Sie heilen uns durch biologische Kommunikation, die unser
Immunsystem und unser Unbewusstes verstehen. Diese Vor-
stellung wäre der guten Hildegard vermutlich zu weit gegan-
gen. Aber Hildegard hatte uns gegenüber einen
entscheidenden Nachteil: Sie lebte noch nicht im Zeitalter der
Neurowissenschaften, der Molekularbiologie und der Immu-
nologie.
Kommunikation wird definiert als Informationsübertragung
zwischen einem Sender und einem Empfänger. Der eine sen-
det Information und der andere empfängt und entschlüsselt sie.
Und das beherrschen Pflanzen sogar ausgesprochen gut.
Damit Kommunikation funktioniert, muss die Information in
irgendeiner Form kodiert werden. Wir Menschen tun das zum
Beispiel durch Sprache. Bestimmte Wörter tragen bestimmte
Bedeutungen und über diese Bedeutungen sind wir uns zumin-
dest so weit einig, dass sprachliche Kommunikation im Alltag
funktioniert. Information kann aber auch ganz anders kodiert
werden. Von Computer zu Computer wird beispielsweise mit
endlosen Reihen von Nullen und Einsen kommuniziert.
Pflanzen kommunizieren, so wie Insekten, über chemische
Substanzen miteinander. Sie senden Moleküle aus, das sind
winzige chemische Einheiten, die aus Atomen bestehen. Diese
Moleküle können durchaus mit der menschlichen Sprache ver-
glichen werden, denn genauso wie unsere Wörter, tragen sie in
der Welt der Pflanzen bestimmte Bedeutungen und somit
Information. Es sind „Pflanzenvokabeln“. Diese Vokabeln
entwischen den Pflanzen keinesfalls nur beiläufig. Pflanzen
geben ihre Kommunikations-Moleküle zweckgerichtet ab und
nicht unkontrolliert.
Ein klassisches Beispiel, Erkenntnisse aus neuester For-
schung: Wenn sie von Schädlingen angegriffen werden, geben
viele Pflanzen Substanzen ab, die andere Pflanzen in der
Nachbarschaft alarmieren. Diese Substanzen tragen die Infor-
mation „Achtung Fressfeinde“ sowie genauere Angaben über
diese Feinde. Ohne selbst schon in Kontakt mit diesen Schäd-
lingen gekommen zu sein, bilden dann die alarmierten Pflan-
zen aus der Nachbarschaft, welche die Botschaft empfangen
haben, vorsorglich Abwehrstoffe gegen die jeweiligen Schäd-
linge. Ihr Immunsystem reagiert also auf die Botschaft und
wird aktiviert. Doch damit nicht genug. Dieselben Kommuni-
kations-Moleküle alarmieren nicht nur andere Pflanzen, son-
dern locken auch natürliche Feinde der Schädlinge an. Diese
Nützlinge rücken dann zum großen Schädlings-Schmaus her-
an. Auf diese Weise kommunizieren Pflanzen also nicht nur
untereinander, sondern auch mit Tieren. Mehr noch: Ihre che-
mischen Botschaften enthalten Informationen über die Art der
Angreifer und das Ausmaß des Befalls.
Inzwischen haben Biologen herausgefunden, dass Pflanzen
auch über „Knackgeräusche“ miteinander kommunizieren, die
sie mit ihren Wurzeln erzeugen. Diese sogenannten bio-akusti-
schen Signale versucht man derzeit zu entschlüsseln.
Pflanzen können also kommunizieren, das steht jetzt fest!
Neu und faszinierend ist, dass wir Menschen diese Sprache,
wohl aufgrund unserer gemeinsamen Jahrmillionen langen
Evolutionsgeschichte, auch verstehen können. Das Sinnesor-
gan dafür scheint unser Immunsystem zu sein. Wissenschaftler
finden eine bahnbrechende Neuigkeit nach der anderen über
unser Immunsystem heraus. Nach und nach wird klar, wie sehr
der Mensch mit seiner Umwelt verbunden und vernetzt ist.
Das Immunsystem ist der Schlüssel zur Gesundheit.
„Wir sind mit der überraschenden Tatsache konfrontiert,
dass es sich beim Immunsystem um ein Sinnessystem handelt,
das fähig ist, wahrzunehmen, zu kommunizieren und zu han-
deln.“
(J. Dimsdale, Prof. für Psychiatrie, San Diego)
Fortsetzung demnächst!
Die grüne Kraft: Heilung aus demWalde
Die Seite für die Gesundheit
mit Doktor Adelbert Bachlechner