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Dorfleben – Menschen
Virger
Zeitung
zu nähen und zu flicken. Teilweise
waren sie die ganze Woche im sel-
ben Haushalt. Es wurden alte Klei-
der aufgetrennt und für neue ver-
wendet. In Lienz gab es ein Lager,
wo man gegen Butter Kriegswäsche
eintauschen konnte. Die groben
blau-weiß karierten Stoffe wurden
dann zu Hemden und Dirndl ver-
arbeitet.
„Einmal kann ich mich erin-
nern, waren wir über eine Woche beim
Islitzern beschäftigt, dort waren zu-
gleich sieben Handwerker. Die Männer
nähten die Loden für die Hausherren
und wir den Rest. Am Abend durften
wir immer mit den Kindern noch ein
bisschen spielen. Das ist eine sehr
schöne Erinnerung“,
schwärmt Anna.
„Ein bisschen geschwindelt wurde natür-
lich auch, so haben wir bei Männer-
hemden nur am Kragen und vorne
einen Teil mit Hemdenstoff genäht, der
Rest wurde aus Kriegswäsche angefer-
tigt“,
lacht die rüstige Virgerin.
„Ich
kann mich erinnern, ich habe dafür,
dass ich für meine alte Nachbarin
Granten gepflückt habe, drei alte Bay-
rische Gewänder bekommen und aus
diesen dreien hat mir meine Tante ein
eigenes geschneidert.“
Als der Winter
vorbei war, hat Anna in der Mau-
rer Alm 29 Kühe gehütet:
„Als Be-
zahlung bekam ich pro Kuh einen
1
/
2
Kilo Butter. Mit dieser hart verdien-
ten Butter ist meine Mutter dann nach
Lienz gefahren und hat für meine Brü-
der Schuhe eingetauscht. So wurde alles
gegen alles ein- und umgetauscht.“
In
dem Sinne als Schneiderin gearbei-
tet, hat Anna nicht, aber sie hat ihr
erlerntes Handwerk natürlich spä-
ter für alle Näh- und Flickarbeiten
in ihrem eigenen Haushalt gut
brauchen können.
Am 12. März 1930 wurde Anna in
Obermauern beim „Rösser“ als äl-
testes von sieben Kindern geboren.
Als sie 15 Jahre alt war, ist ihr
Vater im Krieg gefallen und somit
war das junge Mädchen die wich-
tigste Stütze für ihre Mutter. Anna
war eine sehr gute Schülerin, in
allen Zeugnissen alles Einser, doch
in die Hauptschule, wie es ihr Leh-
rer Hr. Brandstätter vorgeschlagen
hatte, durfte sie nicht, denn sie
war die wichtigste Arbeitskraft bei
der Haus- und Hofarbeit. So ging
sie acht Jahre Volksschule in Vir-
gen.
„Wir haben sehr viel gelernt beim
Brandstätter Lehrer, er hat mit viel
Hausverstand unterrichtet“,
erinnert
sich die heute 89-Jährige. Mit 16
Jahren durfte sie dann das Schnei-
derhandwerk bei ihrer Tante erler-
nen.
„Zu dieser Zeit musste man für
die Lehrstellen bezahlen, da habe ich‘s
bei meiner Tante gut getroffen. Ge-
schneidert haben wir immer in den
Wintermonaten, denn im Sommer war
als schneiderlehrling
auf der „stea“
VIRGER LEBENSBILDER
anna jestl, vlg. „jaggla nanne“.
auch so schon genügend Arbeit.“
Von
Montag bis Samstag sind die drei
Handwerkerinnen (Annas Tante
und noch ein weiteres Lehrmäd-
chen) von Haus zu Haus gezogen,
um dort in den jeweiligen Häusern
anna (l.) mit ihrer schwangeren mutter maria raffler und ihren fünf jüngeren
brüdern.