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Seite 19

04/2016

„Wir haben Wurzeln und

die sind definitiv nicht in

Beton gewachsen“

Shinrin-yoku

nennt sich eine

japanische Tradition. Übersetzt

bedeutet das „Waldbaden“.

Damit ist nicht etwa das Baden in

einem Waldsee gemeint. Der

Vergleich passt allerdings: Ähn-

lich wie in einem See, so können

wir auch in einen Wald mit allen

Sinnen regelrecht eintauchen. Japanische Autoren übersetzen

Shinrin-yoku meistens als „Einatmen der Waldatmosphäre“.

Diese ist in Japan eine offiziell anerkannte Methode zur Vor-

beugung gegen Krankheiten sowie zu deren unterstützender

Behandlung und wird im staatlichen Gesundheitswesen geför-

dert und an medizinischen Universitäten und Kliniken

erforscht, durchgeführt und gelehrt.

Im Wald trifft das kommunikationsfähige Immunsystem des

Menschen auf die kommunizierenden Pflanzen. Wir können

uns ausmalen, dass dies nicht ohne Folgen bleibt. Das gesund-

heitliche Potential, das bei diesem Zusammentreffen entsteht,

ist so groß, dass im Jahre 2012 an japanischen Universitäten

ein eigener medizinischer Forschungszweig gegründet wurde:

Forest Medicine“ oder

„Waldmedizin

“. Innerhalb kurzer Zeit

begannen Wissenschaftler überall auf der Erde, sich an dieser

Forschung zu beteiligen.

Wenn wir die Luft in einem Wald einatmen, dann atmen wir

einen Cocktail aus bioaktiven Substanzen, die von Pflanzen an

die Waldluft abgegeben werden. Darunter befinden sich auch

die Terpene. Wenn wir durch den Wald gehen, kommen wir

vor allem mit jenen Terpenen der Pflanzenkommunikation in

Kontakt, die gasförmig sind. Wir nehmen sie teils über die

Haut, vor allem aber über die Lungen auf. Die Terpene aus der

Luft stammen aus den Blättern und Nadeln der Bäume. Sie

strömen aus den Baumstämmen und aus der dicken Borke

mancher Bäume. Büsche, Kräuter und Sträucher im Unterholz

sowie Pilze, Moose und Farne geben sie ebenfalls ab. Man

kann beim Spaziergang durch den Wald das Gefühl bekom-

men, in einen riesengroßen, atmenden Organismus einzutau-

chen, der mit einem kommuniziert.

Und jetzt kommen wir zur Quintessenz: Einige unter den Ter-

penen interagieren auf höchst gesundheitsfördernde Weise mit

unserem Immunsystem.

Waldluft ist wie ein Heiltrunk zum Einatmen.

Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben,

dass einige dieser immunstimulierenden Terpene aus der

Waldluft alte Bekannte für unser Immunsystem sind. Sie ent-

stammen zwar der Kommunikation der Bäume, Pilze und

Kräuter untereinander, aber auch unser Immunsystem kann sie

entschlüsseln. Und das faszinierende daran ist: Es entschlüs-

selt sie sogar auf ähnliche Weise, wie es die Pflanzen selbst

tun. Pflanzen reagieren auf Terpene häufig mit einer Steige-

rung ihrer Abwehrkräfte. Unser Immunsystem reagiert eben-

falls mit einer Stärkung der Abwehrkräfte. Waldmediziner

wissen, dass diese sogenannten „Anti-Krebs-Terpene“ sowohl

direkt auf das Immunsystem einwirken, als auch indirekt über

das Hormonsystem, zum Beispiel über die Senkung von

Stresshormonen.

Waldluft erhöht die Anzahl der natürlichen Killerzellen

Die natürlichen Killerzellen sind eine spezielle Form der wei-

ßen Blutkörperchen. Sie entstehen im Knochenmark und

schwimmen in unserem Blut, wo sie wichtige Aufgaben erfül-

len. Sie können erkennen, wenn Blutzellen oder Körperzellen

mit einem Virus infiziert sind und töten diese Zellen dann

durch Zellgifte. Somit sterben auch die Viren, von denen diese

Zellen befallen sind. Viren können nämlich ohne Wirtszelle

nicht überleben. Dasselbe stellen die natürlichen Killerzellen

mit entarteten Zellen an, die später zu Krebs führen könnten.

Und sie gehen auf dieselbe Weise gegen bereits bestehende

Tumorzellen vor.

Aus zahlreichen Studien erfahren wir, dass die Anzahl der

natürlichen Killerzellen deutlich ansteigt, wenn wir diese Ter-

pene aus der Waldluft einatmen. Professor Li Qing von der

Universität in Tokyo konnte nachweisen, dass der Effekt aus

der Waldluft sogar nachhaltig anhält. Bereits ein einziger Tag

in einem Waldgebiet steigert die Zahl unserer natürlichen Kil-

lerzellen im Blut durchschnittlich um fast 40 Prozent. Um die-

se Effekte zu erreichen, ist es nicht nötig, sich im Wald

körperlich anzustrengen. Wir müssen nur da sein, anwesend

sein. Und wir müssen atmen. Die Kommunikation mit den

Bäumen läuft dann auch ohne unser bewusstes Zutun ab.

Unser Immunsystem setzt ganz bestimmte Proteine ein, um

gegen entartete Zellen, die ein Krebsrisiko darstellen, vorzu-

gehen. Genau diese Anti-Krebsproteine werden durch das Ein-

atmen der Waldluft vermehrt produziert. Sie helfen sozusagen

ein wenig nach, wenn eine Zelle vergessen hat, nach einer

gewissen Zeit den programmierten Zelltod zu sterben und

stattdessen munter vor sich hin wuchert. Krebs beginnt mit

einer abnormalen Zelle, die sich für unsterblich hält.

Waldluft mit ihren bioaktiven Terpenen kann also ohne Über-

treibung als ein Faktor in der Vorbeugung gegen Krebs

betrachtet werden, als Unterstützung unseres Immunsystems

bei seiner alltäglichen Arbeit im Kampf gegen Krankheit. Da

genau diejenigen Funktionen unseres Immunsystems gestärkt

werden, die auch im Kampf gegen Tumore aktiv sind, liegt die

Schlussfolgerung nahe, dass die Tradition

Shinrin yoku

, das

Einatmen der Waldatmosphäre, auch bei einer bestehenden

Krebserkrankung eine Unterstützung sein kann, zumal der

Aufenthalt im Wald auch über psychische Mechanismen

gesund hält. Es versteht sich von selbst, dass es sich bei alle-

dem aber niemals um einen Ersatz für schulmedizinische

Behandlungen handeln kann, sondern lediglich um eine

zusätzliche gesundheitsfördernde Maßnahme.

„Waldmedizin“

Die Seite für die Gesundheit

mit Doktor Adelbert Bachlechner

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