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04/2016
„Wir haben Wurzeln und
die sind definitiv nicht in
Beton gewachsen“
Shinrin-yoku
nennt sich eine
japanische Tradition. Übersetzt
bedeutet das „Waldbaden“.
Damit ist nicht etwa das Baden in
einem Waldsee gemeint. Der
Vergleich passt allerdings: Ähn-
lich wie in einem See, so können
wir auch in einen Wald mit allen
Sinnen regelrecht eintauchen. Japanische Autoren übersetzen
Shinrin-yoku meistens als „Einatmen der Waldatmosphäre“.
Diese ist in Japan eine offiziell anerkannte Methode zur Vor-
beugung gegen Krankheiten sowie zu deren unterstützender
Behandlung und wird im staatlichen Gesundheitswesen geför-
dert und an medizinischen Universitäten und Kliniken
erforscht, durchgeführt und gelehrt.
Im Wald trifft das kommunikationsfähige Immunsystem des
Menschen auf die kommunizierenden Pflanzen. Wir können
uns ausmalen, dass dies nicht ohne Folgen bleibt. Das gesund-
heitliche Potential, das bei diesem Zusammentreffen entsteht,
ist so groß, dass im Jahre 2012 an japanischen Universitäten
ein eigener medizinischer Forschungszweig gegründet wurde:
Forest Medicine“ oder
„Waldmedizin
“. Innerhalb kurzer Zeit
begannen Wissenschaftler überall auf der Erde, sich an dieser
Forschung zu beteiligen.
Wenn wir die Luft in einem Wald einatmen, dann atmen wir
einen Cocktail aus bioaktiven Substanzen, die von Pflanzen an
die Waldluft abgegeben werden. Darunter befinden sich auch
die Terpene. Wenn wir durch den Wald gehen, kommen wir
vor allem mit jenen Terpenen der Pflanzenkommunikation in
Kontakt, die gasförmig sind. Wir nehmen sie teils über die
Haut, vor allem aber über die Lungen auf. Die Terpene aus der
Luft stammen aus den Blättern und Nadeln der Bäume. Sie
strömen aus den Baumstämmen und aus der dicken Borke
mancher Bäume. Büsche, Kräuter und Sträucher im Unterholz
sowie Pilze, Moose und Farne geben sie ebenfalls ab. Man
kann beim Spaziergang durch den Wald das Gefühl bekom-
men, in einen riesengroßen, atmenden Organismus einzutau-
chen, der mit einem kommuniziert.
Und jetzt kommen wir zur Quintessenz: Einige unter den Ter-
penen interagieren auf höchst gesundheitsfördernde Weise mit
unserem Immunsystem.
Waldluft ist wie ein Heiltrunk zum Einatmen.
Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben,
dass einige dieser immunstimulierenden Terpene aus der
Waldluft alte Bekannte für unser Immunsystem sind. Sie ent-
stammen zwar der Kommunikation der Bäume, Pilze und
Kräuter untereinander, aber auch unser Immunsystem kann sie
entschlüsseln. Und das faszinierende daran ist: Es entschlüs-
selt sie sogar auf ähnliche Weise, wie es die Pflanzen selbst
tun. Pflanzen reagieren auf Terpene häufig mit einer Steige-
rung ihrer Abwehrkräfte. Unser Immunsystem reagiert eben-
falls mit einer Stärkung der Abwehrkräfte. Waldmediziner
wissen, dass diese sogenannten „Anti-Krebs-Terpene“ sowohl
direkt auf das Immunsystem einwirken, als auch indirekt über
das Hormonsystem, zum Beispiel über die Senkung von
Stresshormonen.
Waldluft erhöht die Anzahl der natürlichen Killerzellen
Die natürlichen Killerzellen sind eine spezielle Form der wei-
ßen Blutkörperchen. Sie entstehen im Knochenmark und
schwimmen in unserem Blut, wo sie wichtige Aufgaben erfül-
len. Sie können erkennen, wenn Blutzellen oder Körperzellen
mit einem Virus infiziert sind und töten diese Zellen dann
durch Zellgifte. Somit sterben auch die Viren, von denen diese
Zellen befallen sind. Viren können nämlich ohne Wirtszelle
nicht überleben. Dasselbe stellen die natürlichen Killerzellen
mit entarteten Zellen an, die später zu Krebs führen könnten.
Und sie gehen auf dieselbe Weise gegen bereits bestehende
Tumorzellen vor.
Aus zahlreichen Studien erfahren wir, dass die Anzahl der
natürlichen Killerzellen deutlich ansteigt, wenn wir diese Ter-
pene aus der Waldluft einatmen. Professor Li Qing von der
Universität in Tokyo konnte nachweisen, dass der Effekt aus
der Waldluft sogar nachhaltig anhält. Bereits ein einziger Tag
in einem Waldgebiet steigert die Zahl unserer natürlichen Kil-
lerzellen im Blut durchschnittlich um fast 40 Prozent. Um die-
se Effekte zu erreichen, ist es nicht nötig, sich im Wald
körperlich anzustrengen. Wir müssen nur da sein, anwesend
sein. Und wir müssen atmen. Die Kommunikation mit den
Bäumen läuft dann auch ohne unser bewusstes Zutun ab.
Unser Immunsystem setzt ganz bestimmte Proteine ein, um
gegen entartete Zellen, die ein Krebsrisiko darstellen, vorzu-
gehen. Genau diese Anti-Krebsproteine werden durch das Ein-
atmen der Waldluft vermehrt produziert. Sie helfen sozusagen
ein wenig nach, wenn eine Zelle vergessen hat, nach einer
gewissen Zeit den programmierten Zelltod zu sterben und
stattdessen munter vor sich hin wuchert. Krebs beginnt mit
einer abnormalen Zelle, die sich für unsterblich hält.
Waldluft mit ihren bioaktiven Terpenen kann also ohne Über-
treibung als ein Faktor in der Vorbeugung gegen Krebs
betrachtet werden, als Unterstützung unseres Immunsystems
bei seiner alltäglichen Arbeit im Kampf gegen Krankheit. Da
genau diejenigen Funktionen unseres Immunsystems gestärkt
werden, die auch im Kampf gegen Tumore aktiv sind, liegt die
Schlussfolgerung nahe, dass die Tradition
Shinrin yoku
, das
Einatmen der Waldatmosphäre, auch bei einer bestehenden
Krebserkrankung eine Unterstützung sein kann, zumal der
Aufenthalt im Wald auch über psychische Mechanismen
gesund hält. Es versteht sich von selbst, dass es sich bei alle-
dem aber niemals um einen Ersatz für schulmedizinische
Behandlungen handeln kann, sondern lediglich um eine
zusätzliche gesundheitsfördernde Maßnahme.
„Waldmedizin“
Die Seite für die Gesundheit
mit Doktor Adelbert Bachlechner
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