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51 - J

uli

2015

C

hronik

lich für dieses Kind kamen

sie in den nächsten Tagen um

eine Schaufel, um ein Klein-

kind begraben zu können.

Erschütternd, was diese Men-

schen mitmachten, auszuhal-

ten hatten, wenn man sich

vorstellt, dass die Familien

und Verwandtschaften zer-

rissen wurden, dass sie den

Tumult beim 1. Abtransport

zwar überlebt, aber zu „ver-

dauen“ hatten. Dass man die

Schreie aus Angst und Panik

bei diesem Überfall der Bri-

ten hinauf bis zu den höchs-

ten Höfen des Lienzer Tal-

bodens gehört hätte, daran

erinnert sich u. a. auch Sepp’s

Schwester Moidl. Vom Über-

lebenskampf der Geflüch-

teten berichtet eine weitere

„Geschichte“ vom Sepp:

Mitten in der Nacht hätte ein-

mal der Hund gebellt, was

sonst so gut wie nie vorkam.

Der Grund dafür dürfte der

Diebstahl von 2 Schafen aus

dem Stall des nahegelegenen

Raderhofes gewesen sein. In

der Nähe von Lienz war der

Aufenthalt in den Verstecken

sicherlich relativ gefährlich,

weil die Briten ihren Auftrag

der Auslieferung sehr ernst

nahmen. Darum werden viele

in die weitere Umgebung ge-

flüchtet sein.

Der Niedertscheider Hansl

kann sich noch daran er-

innern, wie bald nach den

fürchterlichen Szenen in der

Peggetz ein Mann den Steig

hinauf zum Raderhof gekom-

men sei und irgendwie ver-

ständlich machte, dass er ei-

nen Unterschlupf suche, was

ihm auch gewährt wurde. Er

hätte ganz fleißig beimArbei-

ten geholfen, sei aber bald -

vermutlich sicherheitshalber

- weitergezogen. Ebenso war

es mit einem Paar und einem

Kleinkind, das im Grießmann

Futterhäusl Unterschlupf ge-

funden und von den Grieß-

mann-Leuten Lebensmittel

erhalten hatte. So hat der Alt-

bauer „Anda“ erzählt.

Dem Senfter „Hons“, der

damals beim vulgo Putz in

Untergaimberg gewohnt hat,

sind auch noch die Schreie

aus der Peggetz in Erinne-

rung; ebenso, dass einige

Kosaken über den Schusterle

Graben heraufgeflohen wä-

ren. Er hat auch bemerkt, dass

die „englischen“ Soldaten zu-

mindest noch einige Tage auf

der Suche nach Flüchtlingen

unterwegs waren. Er kann

sich auch daran erinnern, dass

vor allem die Pferde der Ko-

saken nicht nur im Talboden

„jeden Halm“ weggefressen

hätten, sondern auch schon

über die unteren Berghänge

hinauf, sodass es dort schon

mehr braun als grün ausge-

schaut hätte. Dass die Bauern

in diesem Sommer zumin-

dest um die Heuernte, den

1. Schnitt, kamen, ist leicht

vorzustellen, war aber in der

allgemeinen Not knapp nach

dem Krieg nicht so leicht zu

verkraften.

Ein Lesachtaler, der auch

zur Einweihung der Kapelle

gekommen war, wusste zu

erzählen, dass eine größere

Gruppe über die Lienzer Do-

lomiten (Zochenpass) zum

Tuffbad und weiter geflüchtet

sei, aber von britischen Sol-

daten verfolgt und von Lkw’s

(außer einer Frau mit einem

Neugeborenen) wieder zu-

rückgebracht wurden.

Diese Geschichte leitet zur

nächsten über, die sehr viel

„Gaimberger-Bezug“ hat:

Bei der Einweihungsfeier

für die Kapelle am Kosa-

kenfriedhof begegnete mir

eine ehemals allen bekannte

Gaimbergerin, die „Pfarrer

Adelheid“, geb. Klammer.

Auf meine Frage, warum sie

- aus Nordtirol - heute da sei,

bekam ich zur Antwort: „Ich

bin ja ein Kosakenkind.“

Daraufhin ließ ich mir bei

uns daheim ihre Geschichte

erzählen. Ihr Vater sei einer

der Entkommenen gewesen,

der sich vermutlich bei ei-

nem Bauern in Tristach oder

in der Umgebung versteckt

halten konnte. Es wäre ihr

nur irgendwann erzählt wor-

den, dass er zwar die Absicht

gehabt hätte, mit ihrer Mutter

zusammenzuleben, aber in si-

cheren Verhältnissen, was al-

lerdings geheißen hätte, aus-

zuwandern. Diese Zukunft

war wiederum ihrer Mutter zu

unsicher, sodass sie sich ent-

schloss, ihr „Kosakenkind“

im eigentlichen Daheim bei

ihrer Mutter in Eggen, Ge-

meinde Untertilliach, auf die

Welt zu bringen. Dazu über-

querte sie hochschwanger

mit ihrer Schwester ebenfalls

die Dolomiten, aber über den

sogenannten „Kofel“. Hierzu

ist noch zu ergänzen, dass die

beiden Schwestern Johanna

und Amalie Klammer mit

rund 10 Jahren als Pflegekin-

der zum Koller-Bauern nach

Tristach gekommen waren.

Adelheid wurde dann wirk-

lich daheim bei der Oma in

Untertilliach geboren, aber

ihre Mutter kehrte auch bald

wieder nach Tristach zurück,

um sich dort ihren Lebensun-

terhalt verdienen zu können.

Einige Jahre später kam der

„frisch gebackene“ Pfarrer

Adolf Jeller als junger Seel-

sorger nach Untertilliach und

suchte eine Haushälterin. Es

wurde ihm empfohlen, Adel-

heids Oma dafür zu fragen.

Diese sagte zwar zu, aber

besonders Pfarrer Jeller wird

diese „Familien-Konstellati-

on“ aus verschiedenen Grün-

den nicht recht gepasst haben,

sodass die Enkelin Adelheid

vorübergehend zu ihrer Tante

Amalie nach Tristach kam,

wo sie dann auch das 1. Jahr

die Schule besuchte. Tante

Paula - sie war ca. 20 Jahre alt

- konnte jetzt als Haushälterin

bei Pfarrer Jeller beginnen.

Sie durfte ihre Mutter in den

Pfarrhof mitnehmen, welche

mit ihrer Mütterlichkeit von

Die „Pfarrer Adelheid“ mit

dem „Kosakenkind“ Micha-

el, dessen Vater erschossen

wurde.

Foto: Raimund Wolf

Adelheid (r.) mit ihrer Freundin Alberta Webhofer (Mesner)

im Widum Garten.

Foto: Ortschronik