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FODN - 60/02/2015

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UMWELT & NATUR

genheit, um Bartgeier zu

beobachten?

Für mich als Biologen

war es jedenfalls eine

großartige

Erfahrung,

Tag für Tag die Entwick-

lung von zwei Junggei-

ern zu verfolgen, die im

Alter von rund 100 Ta-

gen (noch flugunfähig)

in eine völlig neue Um-

gebung kamen und sich

dann innerhalb von rund

zweieinhalb Monaten in

die Selbstständigkeit ent-

wickelten. So ist es auch

kein Wunder, dass mir

die beiden sehr schnell

ans Herz gewachsen sind.

Gleiches gilt für unser

kleines, aber feines Be-

obachtungsteam, das aus

Michael Knollseisen, der

mittlerweile schon seit 16

Jahren die Bartgeierfrei-

lassungen in den Hohen

Tauern durchführt, Vanessa Berger, Ka-

thrin Falk und mir bestand.

Der Freilassungstermin fiel dieses

Jahr auf den 28. Mai. Nach der feierli-

chen Präsentation der beiden Geier im

Kalser Musik-Pavillon, wurden unsere

beiden Schützlinge gegen Mittag zum

Freilassungsplatz gebracht. Dort muss-

ten sie sich dann erst einmal gegenseitig

kennenlernen, da sie bis zu diesem Zeit-

punkt getrennt voneinander aufgewach-

sen waren: Fortuna schlüpfte am 22.

Februar im Zoo von Ostrava, während

Lea zwei Tage später in der Nähe von

Wien das Licht der Welt erblickte. An-

ders als die Namen der beiden vermu-

ten lassen, handelt es sich übrigens um

zwei Männchen. Aber die Geschlechter

lassen sich bei Bartgeiern ohnehin äu-

ßerlich nicht unterscheiden. Am Freilas-

sungstag ging es aber nicht nur für die

beiden Geier an ihren neuen Bestim-

mungsort, sondern sozusagen auch für

mich. Während Lea und Fortuna ab nun

Wind und Wetter im Dorfertal ausge-

setzt waren, durfte ich jedoch Quartier

in Kals beziehen.

Nach dem Rummel des Freilassungs-

tages kehrte Anfang Juni bei überschau-

baren Besucherzahlen erst einmal Ruhe

am Beobachtungsstand ein. Allerdings

hielten uns die beiden Geier auf Trab.

Für gewöhnlich fliegen Bartgeier etwa

im Alter von 125 Tagen das erste Mal,

bei Lea sollte der Erstflug jedoch nicht

lange auf sich warten lassen. Man konn-

te am Anfang den Eindruck gewinnen,

dass Lea es gar nicht erwarten konn-

te, den Freilassungsplatz zu verlassen.

Gleich mehrere entsprechende Versu-

che endeten in den ersten Tagen unter-

halb des Freilassungsplatzes inmitten

von Latschen. Uns blieb dann nichts

anderes übrig, als den Vogel aus dieser

misslichen Lage zu befreien und wieder

an den Freilassungsplatz zurückzubrin-

gen. Eine anstrengende und Nerven auf-

reibende Angelegenheit! Bereits nach

eineinhalb Wochen segelte Lea dann

das erste Mal quer über das Tal. Zum

Fliegen war es jedoch eigentlich noch zu

früh und so ließen sich in den folgenden

Wochen dann auch nur wenige Flüge be-

obachten.

Lea fliegt im morgendlichen Sonnenlicht

Einheimische und Touristen bestaunen vom Beobachtungsstand aus die beiden jungen

Bartgeier Lea und Fortuna. Insgesamt konnten am Stand in den zweieinhalb Monaten knapp

9000 Besucher gezählt werden