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Heimat - Johanna Mariacher
Sept. 2016
Heimat
In der Serie „Heimat“ berichten wir über Zugezogene, die in Tristach Heimat gefunden haben.
Johanna Mariacher, geb. Schätzer
Ich wurde als viertes von acht Kin-
dern am 1.9.1927 in St. Peter ob Layen
in Südtirol geboren. Meine Eltern Emi-
lie geb. Santisfaller und Alois Schätzer
hatten eine kleine Landwirtschaft: vier
Kühe, ein Pferd, Schweine, Hühner und
ein paar Schafe. Meine Kindheit ist mir
lebhaft in bester Erinnerung. Die Namen
unserer Tiere sind mir noch vertraut:
z.Bsp. Fritz, das Pferd und Dschunka,
die Lieblingskuh meiner Mutter. Obwohl
das Leben einfach war - Mus, Erdäpfel,
Frigl, Knödel, Schlipfkrapfen, Kiachln
und wieder Mus - habe ich nichts ver-
misst. Vater und Mutter waren liebe, fei-
ne Leute und wir fühlten uns geborgen.
Wir hatten einen weiten Schulweg,
eine Stunde bei jedem Wetter und die
Winter waren sehr hart und schnee-
reich. In der Schule fiel auch ein Wer-
mutstropfen in meine Kindheit. Es war
streng verboten, Deutsch zu sprechen.
Selbst in den Pausen durfte kein deut-
sches Wort fallen. Wenn wir Kinder, von
der Schule heimkommend, italienische
Lieder sangen, schmerzte es meinen Va-
ter. Ihm war alles Italienische fremd, er
hegte großes Misstrauen gegen Italien,
er war Südtiroler durch und durch.
Durch Geldverleihung machte ein
großer Bauer aus St. Peter viele kleine
Bauern von sich abhängig. Die finan-
zielle Misere der Dreißigerjahre zwang
sie, Kredite aufzunehmen und als Si-
cherstellung ein Stück Wald einzuset-
zen. Durch Nichteinbringung der Schul-
den wuchs der Wald des Großbauern
zusehends und die Not der Optanten
ausnützend, erwarb er um wenig Geld
dann auch noch ihre Höfe. So erging
es auch meinem Vater, als er 1940 für
Deutschland optierte. Auf den unsaube-
ren Geschäften des Aufkäufers lag aller-
dings kein Segen. Unser Anwesen hatte
er einem seiner Söhne vererbt, der sich
dort das Leben nahm. Das Haus wurde
später abgetragen.
Zu neunt verließen wir unsere Hei-
mat (Karl war schon als Kleinkind ver-
storben). Wir durften nur unsere per-
sönlichen Habseligkeiten und etwas
Hausrat mitnehmen. Nachdem die
Quartiere in Lienz, für die sich mein
Vater in den Auswanderungspapieren
entschieden hatte, noch nicht bezugs-
fertig waren, ging die Fahrt mit dem Zug
zuerst nach Innsbruck und weiter nach
St. Johann in Tirol. Beim Bruggenwirt
erhielten wir eine kleine Wohnung.
Meine jüngeren Geschwister und
ich gingen dort zur Schule, ich nur mehr
ein Jahr. Obwohl wir fremd waren, wa-
ren unsere Mitschüler ganz nett zu uns.
In Rechnen tat ich mir schwer. Freilich
kannte ich die Zahlen in Deutsch, aber
alle mathematischen Begriffe waren mir
nur in Italienisch geläufig.
In Kufstein erhielt unser Vater eine
Arbeit als Zimmermann. Auf dem Heim-
weg nach Feierabend wurde er von ei-
nem Zwölfjährigen auf einer Schotter-
straße mit dem Fahrrad angefahren und
erlitt dabei einen Schädelbasisbruch
und eine Gehirnblutung und starb eines
qualvollen Todes. Erst einundvierzig-
jährig musste unser geliebter Vater sein
Leben lassen. Tiefe Trauer erfasste uns -
Heimat verloren, jetzt auch noch den
Vater verloren.
Meine Mutter bekam eine winzige
Rente. So waren wir Kinder angehal-
ten, etwas zum Lebensunterhalt beizu-
tragen. In den Ferien arbeitete ich bei
einem Fotografen als Kindermädchen.
Drei Kinder waren mir anvertraut. Der
Chef hätte es gerne gesehen, wenn ich
geblieben wäre, aber ich wollte richtig
verdienen, um unsere Mutter finanzi-
Frau Mariacher (4. v.l.) mit ihren Geschwistern und ihrer Mutter (2. v.l.)