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„Der gefesselte Delin-

quent wurde vorge-

führt. Den Frauen

waren schon vorher

die Haare abgeschnit-

ten worden. (…) Nun

erst riß der Scharfrich-

ter mit einem harten

Ruck den schwarzen

Vorhang auf, die Guil-

lotine wurde im Schein

des elektrischen Lichtes sichtbar. Der Verurteilte

hatte sich an ein hochgeklapptes, am Kopf-

ende ausgekehltes Brett zu stellen. Ehe er sich

besinnen konnte, warfen ihn die Henker-

knechte auf das Brett, das an einem Scharnier

befestigt war und um neunzig Grad umschlug.

Der Delinquent kam mit dem umgeklappten

Brett blitzschnell in eine Lage, in der sich sein

Kopf genau unter dem Fallbeil befand. In der-

selben Sekunde drückte der Scharfrichter auf

den Knopf, das Fallbeil sauste herab. Der Kopf

des Verurteilten flog in einen bereitgestellten

Weidenkorb. Der Blutverlust war ungeheuer,

die Beine des Sterbenden zuckten jedesmal so

zusammen, daß die Holzpantinen in weitem

Bogen fortgeschleudert wurden. (…)“

So beschreibt Harald Poelchau, Gefängnis-

pfarrer in Berlin-Plötzensee, in seinem Buch

„Die letzten Stunden“ den Ablauf der Voll-

streckung eines Todesurteiles in der dortigen

NS-Hinrichtungsstätte.

Am 12. November 1943, also vor 75 Jah-

ren, starb dort auf diese grau-

same Art und Weise Helene

Delacher. Sie wurde am 25.

August 1904 in Burgfrieden

beim Riepl geboren, ver-

brachte dort ihre ersten 26 Le-

bensjahre und fand 1930

Arbeit als Küchengehilfin im

Krankenhaus Hall i. T. 1936

lernte sie den Südtiroler Alois

Hochrainer kennen, mit dem

sie ab Ende 1937 im gemein-

samen Haushalt in Innsbruck

lebte. 1937 schloss sie sich

den Zeugen Jehovas an. An

den geheimen Versammlun-

gen der Glaubensgemein-

schaft, diese war in

Österreich schon

1935 verboten wor-

den und nach dem

Anschluss 1938

wurde der Verfol-

gungsdruck natürlich

noch härter, nahm sie

aufgrund ihrer Beein-

trächtigung, Helene

war schwerhörig, nur

selten teil.

1940 wurden Helene und ihr Verlobter sowie

elf weitere Zeugen Jehovas der Innsbrucker

Gruppe verhaftet. Sie wurde zu acht Monaten

Gefängnis verurteilt. Ihr Verlobter erhielt nach

Absitzen der Strafe keine Aufenthaltsbewilli-

gung im Deutschen Reich mehr und musste

deshalb nach Südtirol zurückkehren. Ab 1943

lebte er in Sterzing und arbeitete als Hirte auf

einer Alm in der Nähe des Brennerpasses. Der

Kontakt zu Helene blieb durch Briefwechsel

aufrecht. Am 14. Juni 1943 wollten sich die

beiden dort treffen. Helene nahm verbotene

Bibelforscherliteratur mit. Sie wurde von einem

Grenzpolizeibeamten angehalten. Bei der

Durchsuchung ihres Gepäcks kamen mehrere

Ausgaben des „Wachtturms“ zum Vorschein.

In deren Inhalt sah die Behörde „eine schwere

Gefahr für das Ansehen des deutschen Vol-

kes“. Sie wurde in die Haftanstalt Innsbruck

überstellt und angeklagt.

Seit Jahresbeginn 1943 war bei „Wehrkraft-

zersetzung“ der Volksgerichtshof zuständig.

Die dadurch verschärfte Ver-

folgungspraxis traf Helene

Delacher nun mit voller Härte.

Ihr Fall wurde an die Ober-

reichsanwaltschaft in Berlin

weitergeleitet, die Anklage

wegen „Volksverrat durch

Lügenhetze“ erhob. Im August

1943 wurde Helene nach Ber-

lin in das berüchtigte Frauen-

gefängnis in der Barnimstraße

überstellt. Am 4. Oktober

fand die Hauptverhandlung

vor dem Volksgerichtshof statt.

Auf die Fangfrage, ob sie zur

Arbeit in einer Munitions-

fabrik bereit sei, erklärt sie

offen, dass ihr Glaube ihr

„IST HALT DOCH BESSER, DEM HERRN TREU ZU BLEIBEN.“

DEM NS-OPFER HELENE DELACHER ZUM GEDENKEN