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Virger

Zeitung

Geschichte

46

Oktober und November 1918

waren zwei schicksalsträchtige

Monate für die Monarchie Öster-

reich-Ungarn. Radio, Fernsehen

und Presse werden jetzt sicher viel

über die Ereignisse jener Tage be-

richten. Doch auch in unserer Ge-

meindezeitung soll das damalige

Geschehen kurz Erwähnung fin-

den, ohne auf seine Vorgeschichte

und die Zusammenhänge ausführ-

licher einzugehen.

In Österreich-Ungarn hatte nur ein

Viertel der Bevölkerung Deutsch

als Muttersprache, die restlichen

drei Viertel verteilten sich auf zehn

Nationalitäten. Mehrere von ihnen,

vor allem die slawischen Völker

(Polen, Tschechen, Slowaken, Kroa-

ten, Slowenen) drängten schon

lange auf Eigenstaatlichkeit oder zu-

mindest mehr Autonomie, was

ihnen aber von dem erzkonservati-

ven, „sturen" Kaiserhaus verwehrt

blieb. Nur Ungarn erhielt 1867 weit

gehende Zugeständnisse, sonst wäre

das Reich schon damals zerfallen.

Diese Bemerkung ist notwendig, um

zu verstehen, wie es zur heutigen

Form und Größe von Österreich

gekommen ist. Kurz vor dem Ende

des Ersten Weltkriegs waren die Un-

abhängigkeitsbestrebungen nicht

mehr aufzuhalten: Am 7. Oktober

schloss sich Galizien dem neu ge-

gründeten Polen an, am 24. Okto-

ber „verabschiedete“ sich Slowe-

nien aus der Monarchie, am

28. Oktober kündigten die Tsche-

chen, am 29. Oktober die Kroaten

und Bosnier, am 30. Oktober die

Slowaken ihre Gefolgschaft auf.

Ungarn trennte sich ebenfalls am

30. Oktober offiziell von Österreich.

Nachdem diese Entwicklung abzu-

sehen war, hatte schon zuvor, am

21. Oktober eine Sitzung der

deutschsprachigen Abgeordneten

des Reichsrates stattgefunden, in

der die Bildung eines „deutsch-

österreichischen" Staates prokla-

miert wurde (man hat also de facto

akzeptiert, dass sich die ehemals

verbündeten „Völker" demnächst

„abmelden“ werden). Bei weiteren

Tagungen einigten sich die Par-

teien auf den Sozialdemokraten

Karl Renner als Leiter der Staats-

kanzlei (heute wohl: Bundeskanz-

ler).

3. November:

Ende des Krieges

für Altösterreich. Mit den Alliier-

ten wurde ein Waffenstillstand aus-

gehandelt, der am 4. November

um 15.00 Uhr in Kraft treten

sollte. Schlamperei verhinderte die

korrekte Weitergabe

dieses Termins, sodass

die

österreichische

Heeresführung befahl,

alle Kampfhandlun-

gen schon in der

Nacht vom 2. zum

3. November einzustel-

len. Auf diese Weise

konnten italienische

Truppen Südtirol bis

zum Brenner besetzen,

ohne auf Widerstand

zu stoßen, und außer-

dem noch 400.000

Österreicher gefangen

nehmen.

11. November:

Kaiser

Karl dankte als Souve-

rän der Monarchie ab

(„... das Volk hat

durch seine Vertreter

die Regierung über-

nommen. ...“)

CHRONIK

100 Jahre republik Österreich