Previous Page  45 / 68 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 45 / 68 Next Page
Page Background

Virgen

Aktiv

Österreich vor 70 Jahren

I

45

richten. So ist verständlich, dass sie auf

Hitler, den „Gegenpol“ zu Stalin, große

Hoffnungen setzten. Mit der Nazi-Ideo-

logie hatten sie jedoch nichts zu tun,

ihnen war nur die Bewahrung von Frei-

heit, Religion, Tradition, kurz: ihrer Kul-

tur wichtig.

Ab Herbst 1941 wurden mehrere Kosa-

ken-Verbände in die deutsche Wehr-

macht aufgenommen und vor allem zur

Bekämpfung von Partisanen eingesetzt

(sowohl die jugoslawischen als auch die

italienischen Freischärler waren Kom-

munisten und stellten daher für die

Kosaken „natürliche“ Feinde dar). Nach-

dem 1943 die Ostfront zu zerbröckeln

begann, mussten die deutsch-freund-

lichen Kosaken mit ihren Familien an

Flucht denken. Die NS-Regierung wies

ihnen bei Tolmezzo (Friaul) ein Sied-

lungsgebiet zu, in das 1944 ca. 25.000

Personen einzogen. Doch nach dem

29. April (Kapitulation der deutschen

Truppen – siehe oben) musste auch die-

ser Zufluchtsort verlassen werden, um

nicht den bekämpften Partisanen in die

Hände zu fallen. Und so machte sich ein

endlos langer Tross auf den Weg, er-

reichte am Donnerstag, 3. Mai bei

Schneegestöber den Plöckenpass und

schließlich völlig entkräftet Kötschach-

Mauthen. Nach mehreren Verhandlun-

gen wurde die Kolonne schließlich in

den Raum Oberdrauburg – Lienz ge-

schickt, wo sie während der folgenden

Tage auch eintraf.

Um eine Vorstellung zu gewinnen:

Kosaken waren gut ausgebildete, diszip-

linierte Soldaten, führten aber die ganze

Familie vom Baby bis zum Opa samt

allem Hausrat mit sich. Der von Pferden

gezogene, mit einer Plane überdachte

„Panjewagen“ stellte das bevorzugte

Transportmittel dar; motorisierte Fahr-

zeuge gab es nur wenige. Die zu Fuß Ge-

henden, etwa 100 „unverzichtbare“

Kühe und einige Kamele bremsten den

Marsch zusätzlich.

Die Reaktion der Einheimischen auf

diese „Invasion“ war zwiespältig: einer-

seits Angst vor den fremdländischen, be-

waffneten Männern, andererseits Hilfs-

bereitschaft Frauen und Kindern gegen-

über. Es gibt viele Aussagen von

Zeitzeugen, die übereinstimmend be-

richten, dass es nur selten Übergriffe ge-

geben hat. Die Kosaken waren zum

Großteil ehrlich, bezahlten, was sie zum

Leben brauchten, oder tauschten es

gegen Teppiche, Schmuck und andere

Gegenstände ein.

Das größte Problem verursachten die

ca. 5.000 Pferde – sie hatten in kurzer

Zeit riesige Flächen kahl gefressen, so-

dass die Bauern weder Heu noch Korn

ernten konnten.

Das ereignete sich bis Anfang Mai; die

Fortsetzung folgt, wie gesagt, im Herbst.

Hinweise:

A) Univ. Dozent Dr. Harald Stadler be-

schäftigt sich schon lange mit dem

Schicksal der Kosaken in Osttirol. Nun

hat er darüber die höchst interessante

Ausstellung „Einst Flüchtling – heute

Tourist“ zu Stande gebracht, die bis

Mitte September im ehemaligen „Heiz-

haus“ auf dem Gelände des Bahnhofs

Lienz besichtigt werden kann. Vielleicht

ein Ausflug-Tipp für einen verregneten

Sonntag?!

B) In unserer Bücherei gibt es reichhal-

tige Literatur über die beiden Weltkriege

und im Besonderen auch über die Kosa-

kentragödie (einer der Autoren: Dr. Ha-

rald Stadler) – wer sich also genauer

informieren möchte ...

Virgen

3. 5. 45:

Mord und Selbstmord:

Am 3. 5. 1945, 19 bis 20 Uhr, hat der

SS-Hauptsturmführer Helmut Bauer, ...

mit seiner Familie vorübergehend beim

vulgo Stöffer in Mitteldorf wohnhaft,

auf dem Fahrwege nach Zedlach seine

38 Jahre [alte] Frau Elisabeth, die Kinder

Bernhard, 8 Jahre alt, Dietmar 7, Hel-

mar 5 und Sieghard 3, mit seiner Pistole

durch Genickschuß ermordet und sich

selbst hernach durch einen Schuß in die

Schläfe entleibt. Motiv der Tat ist unbe-

kannt. Wahrscheinlich um den kom-

menden Ereignissen zu entgehen. Die

Opfer wurden am 5. 5. 1945 um 18

Uhr 30 still auf dem Ortsfriedhofe in

Virgen beerdigt.

8. 5. 45:

Kriegsende:

Es kam, wie es viele schlichte, einfache

und religiöse Bauern des Überwachungs-

bereiches bei Beginn vorausgesagt hat-

ten: Mit einer totalen Vernichtung

Deutschland.

26. 6. 45:

Britische Besatzung in Vir-

gen:

Am 25. 6. 1945 trafen 10 britische Sol-

daten zur Überwachung des Grenz-

sperrgebiets (Gemeindegebiet Prägraten)

in Virgen ein. Diese Besatzung wurde

am 14. 9. 1945 abgezogen.

Otfried Pawlin

Quellenangabe:

Druckwerke:

Manfred Scheuch: „Atlas zur Zeitge-

schichte – Europa im 20. Jahrhun-

dert“, Verlag Christian Brandstätter,

Wien; 4. aktualisierte Auflage; ISBN

3-85447-434-2

Div. Autoren: „Chronik des Dritten Rei-

ches“ in der Sammlung „Österreich

1938 – 1945, Dokumente“, Archiv-

Verlag, Wien

Dr. Christian Zentner (Hg.): „Chronik

Österreich von den Anfängen bis

heute“, Verlag Otus AG, St. Gallen,

2008, ISBN 978-3-907200-49-0

Dr. Martin Kofler: „Osttirol im Dritten

Reich, 1938 – 1945“, Studienverlag,

Innsbruck, 1996, ISBN 3-7065-1135-5

Dr. Martin Kofler: „Osttirol – Vom

Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart“,

Studienverlag, Innsbruck, 2005, ISBN

3-7065-1876-7

H. Stadler, M. Kofler, K. C. Berger:

„Flucht in die Hoffnungslosigkeit“ –

Die Kosaken in Osttirol, Studienver-

lag, Innsbruck, 2005, ISBN 3-7065-

4152-1

Protokolle des Gendarmeriepostens Vir-

gen, 1923 – 1973

Internet:

http://www.kurt-bauer-geschichte.at/

PDF_Lehrveranstaltung%202008_2009/...

(Hitlers Testamente)

http://

science.orf.at/stories/1758216/

(Selbstmord Hitlers)

http://

de.wikipedia.org/wiki/

Karl_Gruber

Bildnachweis:

Abb. 1: Aus dem o. a. Buch von

Dr. Christian Zentner: „Chronik

Österreich ...“

Abb. 2 und 3: Fotografin: Franziska

Baptist, Sammlung Foto Baptist bzw.

„Tirol Archiv Photographie“ (TAP),

zur Verfügung gestellt von Dr. Martin

Kofler