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„Niedere Dienste“
September 2015
In den frühen Sechzigerjahren des vorigen Jahrhun-
derts durfte ich in den Schulferien mehrere Wochen im
Oberland bei meiner Tante M. (eigentlich eine Großtan-
te) verbringen. Die Tante führte ein Gasthaus, ihr Mann
eine Fassbinderei. Das Haus war sauber und solide, ein
typisches Landgasthaus mit zwei Stuben, einigen Gäst-
ebetten („Fremdenzimmer“, wie man das im vortouristi-
schen Zeitalter nannte), zwei großen Gemüsegärten und
einem winzigen Gastgarten.
Zum Haus gehörte ein eigenes E-Werk. Außer einer
Waschmaschine, einem Bügeleisen, zwei Kochplatten
und ein oder zwei Elektroöfen deutete nichts auf eige-
nen Strom hin.
Ich durfte dort, meinem Alter entsprechend, niedere
Dienste verrichten: Kartoffel und Karotten schälen, aus
den von den Bäuerinnen angelieferten Butterknollen
mittels einer raffinierten Maschine Sterne für die Früh-
stücksteller formen, um 11:35 Uhr Salat waschen (vor
½ 12 durfte er zwecks der absoluten Frische nicht aus
dem Garten geholt werden), aus einem riesigen, ge-
mauerten Trog im Keller, in den ständig frisches Wasser
zu- und abfloss, Almdudler, Sinalco und Bier holen und
dabei flink die im Wasser schwimmenden Etiketten her-
ausfischen und anbringen, Geschirr abwaschen und ab-
trocknen. Gläser, obwohl keineswegs von Riedl, wurden
mir nicht anvertraut.
Der Tochter des Hauses durfte ich beim Zimmerma-
chen „beistehen“. Ich füllte die porzellanenen Wasch-
krüge mit kaltem Wasser. Nur ganz „Sektische“ beka-
men am Morgen einen Eimer mit heißemWasser vor die
Tür gestellt. Papierkorb gab es in keinem Zimmer - es
gab nichts zum Wegwerfen.
Ich niederdiente gerne. Zu den weniger geliebten
Arbeiten zählte meinerseits die Hilfe beim Hühnerrupfen
und einmal wurde meine Dienstbereitschaft auf eine
harte Probe gestellt. Im Haus gab es zwei Plumpsklo,
die jeden Samstag mit heißem Wasser, Soda und Bürste
gereinigt wurden. Natürlich wurde auch unter der Wo-
che geputzt, wenn ein Gast nicht ganz zielsicher war.
Die „Geschäfte“ liefen gut und so drohten mitten in der
Saison die Gruben überzulaufen. Tante M. war es nicht
gelungen, einen Bauern mit Rössl und Jauchefass zu
überreden, ihr in dieser misslichen Lage beizustehen.
Das Korn stand im Schnitt, die Bergmahd hatte begon-
nen und jeder bei sich selber zu tun. So bat sie mich, ihr
beim „Häuslraggern“ zu helfen, ein Stoff für eine Schür-
ze würde dabei herausschauen.
Bar jeder Erfahrung und einen Schürzenstoff in Aus-
sicht, sagte ich zu.
In der nächsten Vollmondnacht wurde ich um vier
Uhr früh geweckt und in alte Männerkleider gesteckt.
Mittels eines, auf einem langen Stiel angebrachten
Stahlhelms, Relikt aus dem Krieg, hatte ich die Kacke
in bereitstehende Blecheimer zu schöpfen. Die Tante lud
die Eimer auf einen Handwagen und fuhr damit zum
nahegelegenen Bach, um sie zu entsorgen. Wir arbei-
teten kraftsparend. Während sie fuhr, rastete ich, wäh-
rend ich schöpfte, rastete sie. Beim fahlen Schein des
Mondes war es nur nasal eine Qual, aber als es tagte,
kam das große Würgen. Doch die Schürze musste ver-
dient werden.
Als die ersten Gäste, „Heaschaften“ wurden sie in
diesem Haus genannt, aus ihren Betten stiegen, lag völ-
lige Unschuld über dem Land. Nur der Duft des nächt-
lichen Treibens hielt sich noch einige Stunden. Ich lag
im Wäschekeller in der Badewanne. Nie mehr im Leben
habe ich so heiß gebadet.
Von einem Fischsterben wurde nichts bekannt. Es
war alles bio, das Abwasser der Waschmaschine ging
nicht in die Grube.
Burgl Kofler
„Niedere Dienste“
Eine Kindheitserinnerung.