Seite 30 - Gemeindezeitungen

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• Dezember 2013
Chronik
so hoch, dass sie für uns Kinder unerreichbar war und
wir daher auch keinen Schaden anrichten konnten. Diese
wertvolle Krippe hat unser Großonkel, der „Niggl“ von
seinem „Herrn Vetter“, der 30 Jahre Pfarrer von Kartitsch
war, geerbt (gest. 1917).
Kein Tag im Jahr war so lang wie der Hl. Abend und nie im
ganzen Jahr hat man am Abend so lange zum Füttern des
Viehs gebraucht. Schon am Vormittag haben wir Kinder
die Stunden gezählt, wie lange es noch dauert, bis das
Christkindl kommt. Endlich waren alle mit der Stallarbeit
fertig. Nach getaner Arbeit setzen sich alle Hausleute zum
Abendessen gemütlich zum Tisch. Wir Kinder brauchten
vor Aufregung und wegen der ewigen Warterei nichts mehr
zu essen, denn das Christkindl mit seinen Gaben war sicher
schon in der Nähe unseres Hauses. Aber dann war die
ersehnte Stunde da. Alle haben wir uns warm angezogen.
Vater holte das Rauchpfandl, nahm vom Herd die rote Glut
und legte sie ins Pfandl. Dann streute er etwas von der
geweihten Meisterwurze darauf. Nun gingen wir durch
das ganze Wohn-und Futterhaus räuchern. Dabei wurde
der Rosenkranz gebetet und jeder Raum mit Weihwasser
besprengt. Zuletzt gingen wir auch noch hinüber in unsere
Hauskapelle zum Räuchern und Beten. Dort hatten wir
sehr zu kalt.
Aber heute durften nach dem Rosenkranz noch ein paar
„Vater unser“ für die armen Seelen angehängt werden.
Dabei haben wir geduldig ausgeharrt, um das Christkindl in
unserer Stube ja nicht zu stören oder gar noch zu vertreiben,
bevor es den Christbaum aufstellen und die Geschenke
dazulegen konnte. In freudiger Erwartung kamen wir
wieder zurück ins Haus und unsere Mutter versicherte
uns, dass das Christkindl schon da war. Alle gingen wir
nun in die warme, von den brennenden Christbaumkerzen
erhellte Stube. Jetzt las unser Vater noch aus der Bibel
das Weihnachtsevangelium vor und „Stille Nacht,
Heilige Nacht“ sang jeder mit, so gut er es konnte. „Der
Befehl von Kaiser Augustus“ hat uns Kinder nicht mehr
interessiert. Wir bestaunten den im Kerzenlicht glitzernden
Christbaum, suchten und sahen, was seine Zweige an
Essbarem trugen. Da hingen an einem Faden kleine rote
Äpfel, auch mehrere Kekse und in ausgefransten bunten
Seidenpapierchen waren Zuckerbröcklein (Würfelzucker)
eingedreht. Zuckerln und Schokolade waren anscheinend
auch im Himmel Mangelware. Aber das bedeutete für
uns keinen Verzicht. Denn solche Spezialitäten kannten
wir damals nicht. Auf dem Tisch stand für jeden, Groß
und Klein, ein Teller mit Mürbteigkeksen. Diese hatten
dieselbe Form, wie die Keksausstecher unserer Mutter. Nur
hat sie das ganze Jahr über von ihren Formen nie Gebrauch
gemacht. So war dieseWeihnachtsbäckerei für uns nicht nur
einmalig, sondern auch himmlisch. Schließlich war auch
noch für jeden ein kleines Geschenk auf dem Gabentisch.
So freuten sich die beiden Mägde über einen Schürzenstoff,
den man einmal im vergangen Jahr mit einem Bezugschein
oder mit der Kleiderkarte zu kaufen bekam. Anton, unser
Knecht aus Polen, war dankbar für die neue Lodenhose und
sagte: „Oh Christkindl schon wissen, dass auch ich zu kalt
habe“. Triumphierend zeigten die beiden größeren Buben
der Mutter ihre neuen Hosen und meinten: „Mir homms
woll gewisst, dass uns das Christkindl neue Hosen bringt
und die Schneiderin hätt ma gor nicht gebraucht“. Was von
den alten Hosen an Qualität und Quantität noch übrig blieb,
haben die kleineren Brüder geerbt. Ich bekam einen neuen
Mantel mit breitem Einschlag am Saum und Ärmel. Er
sollte die Fähigkeit haben, möglichst lange mit mir mit zu
wachsen. Der Mantelstoff kam mir irgendwie bekannt vor.
Als dann Großmutters Sonntagslodenkittel nicht mehr in
der alten Truhe war, wusste ich genau, dass diesen einmal
während des Jahres die Engel holten, um für mich daraus
einen Mantel zu nähen. Auf der Ofenbank saß unsere
Marie und weinte. Sie war aus der Krim und wurde hierher
zur Zwangsarbeit verschleppt. Schon dreimal hat sie mit
uns Weihnachten gefeiert, ohne jede Nachricht oder ein
Lebenszeichen von ihren Lieben daheim. „Mame warum
reat die Marie?“ „Hat ihr das Christkindl nichts gebracht?“,
fragte unser kleiner Bruder. „Ja, das Christkindl hat ihr auch
etwas gebracht. Aber sie ist weit weit weg von daheim und
heute wäre sie auch gerne dort bei ihrer Mama“, versuchte
die Mutter ihrem Vierjährigen das Leid der jungen Russin
zu erklären. „Ich leihe dir mein Rössl, damit kannst du
heim fahren zu deiner Mama. Aber morgen musst du es
mir wieder bringen!“ So machte ihr der kleine Seppl sein
vermeintlich hilfreiches Angebot und deutete dabei auf
sein himmlisches Geschenk, dass er an einer Schnur hinter
sich herzog. Meine Schwester und ich bekamen noch
eine aus Stoffresten gemachte neue Puppe. Ihr Gesicht
war nicht schön, denn beide Puppen schielten. Aber wir
hatten doch eine Freude damit. Die alten Puppen haben
das Jahr nicht überlebt. Dazu haben auch unsere Brüder
das Ihrige beigetragen. Nach der Bescherung machten wir
noch ein Schläfchen bis uns die Mutter zum Kirchgang zur
Mitternachtsmette aufweckte.
Die Heilige Nacht
war eine sternenklare Winternacht. Wir gingen über den
Feldweg zur Mette in die Kirche. Der Schnee knirschte
bei jedem Schritt unter den Füßen und der Hauch fror am
Handschuh, mit demwir das Gesicht vor der Kälte schützen
wollten. Rundum war es still. An der gegenüber liegenden
Sonnseite flackerte bald da, bald dort ein Laternenlicht
der Kirchgänger auf. An den Häusern war kein Fenster
beleuchtet. Auch durch die hohen Kirchenfenster strahlte
kein Licht nach außen und keine Straßenlampe erhellte
das nächtliche Dunkel. Die Verdunkelung war amtliche
Vorschrift und jeder musste sich daran halten. Nur der
Mond leuchtete herab auf die gefrorene Schneedecke und
die Schneekristalle glitzerten und funkelten, als wäre heute
der ganze Himmel über die Erde gewandert. Die große
Glocke, unsere alte Löfflerin, die bei beiden Weltkriegen
nicht abgeliefert werden musste, ertönte nun im Kirchturm
und läutete hinein in die Stille der Heiligen Nacht. Von allen
Seiten und Wegen kamen Gläubige zur Mitternachtsmette.
Alle beteten und wünschten sich Frieden, Frieden nach
dem die ganze Welt sich sehnte. Wie viele Tränen geweint,
Sorgen und Nöte damals dem göttlichen Kind in die
Krippe gelegt wurden und sicher auch Dank und Freude
so mancher Mutter, die einen Feldpostbrief von ihrem
Sohne als das wertvollste Weihnachtsgeschenk in ihren
Händen hielt. Nach altem Brauch gab es daheim nach der
Christmette noch Suppe mit Würstl. Auf ein warmes Essen
freute man sich, da man ganz durchfroren heimkam und
sich damit wieder aufwärmen konnte.
Der Christtag
war ein wolkenloser schöner Wintertag. Unsere Mutter
ging zur Frühmesse, alle Hausleute und wir Kinder zum
feierlichen Hochamt am Vormittag in die Kirche. Am
späten Vormittag heulte die Sirene – Fliegeralarm! Vom
Kirchgang waren wir alle daheim. Auch Ludwig, aus dem
Gefangenenlager, war schon da. Ihn hat unser Vater zum
Mittagessen eingeladen, da er im Sommer viel bei uns
gearbeitet hat. Ludwig freute sich riesig über die Einladung
und erzählte uns: „Heute auf Speisekarte imLager proMann
eine Kartoffel samt Montur“. So freuten wir uns alle auf
das Festtagsessen des Jahres. Nach dem Tischgebet setzten
wir uns als internationale Tischgemeinschaft friedlich um
den großen Stubentisch. Nach einer kräftigen Fleischsuppe
brachte die Mutter die gebratenen Schweinsrippen mit