Seite 29 - Gemeindezeitungen

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• Dezember 2013
Chronik
Das Kriegsjahr 1944 neigte sich seinem Ende zu. Wir waren
damals sieben Geschwister und hatten das große Glück,
dass unser Vater daheim sein durfte. 1942 wurde er als
Vater von sechs kleinen Kindern, von der Marschkompanie
weg, UK gestellt. Nachher hat er nie mehr eine
Einberufung bekommen. Von unserer Mutter wurden wir
liebevoll umsorgt. Die großen Sorgen, Ängste, Nöte und
Bedrängnisse der Erwachsenen haben wir als Kinder noch
nicht begriffen. Von besseren Zeiten wussten wir nichts.
So haben wir trotz allem eine schöne Kindheit erlebt. Das
Leben gestaltete sich einfach und bescheiden, aber Hunger
leiden mussten wir nicht. Gekocht und gegessen wurde,
was auf eigenem Grund und Boden gewachsen, erarbeitet
und geerntet wurde. Am Hof lebten und arbeiteten damals
auch unsere Großonkel „der Niggl“, zwei Mägde und ein
Knecht. „Nannile“ war in Außervillgraten daheim. Wir
Kinder verehrten sie wie eine zweite Mutter. „Marie“ die
junge Russin, kam aus der Krim und „Anton“, 19 Jahre alt,
aus Polen. Beide hatten das gleiche Schicksal. Sie wurden
in ihrer Heimat gefangen genommen und zur Zwangsarbeit
verschleppt. Bei der vielen, damals noch händischen
Arbeit, im Feld und Acker, half uns auch Ludwig die Heu-
und Kornernte einzuarbeiten. Er war ein Familienvater
aus Frankreich und musste im hiesigen Gefangenenlager
leben. Wir drei älteren Geschwister gingen in die Schule.
Soviel ich mich noch erinnern kann, hatten wir immer
wieder Aushilfslehrerinnen. So war auch während dem
Schuljahr manchmal ein Lehrpersonenwechsel. Schuld an
dem schlechten Lernerfolg der Schüler waren sicher auch
die vielen Fliegeralarme. So heulte zwei bis drei Mal pro
Woche, schon am frühen Vormittag die Sirene. Die Schüler
mussten in den Bunker laufen. Neben der Elendkapelle war
dafür ein bergwerksähnlicher Stollen gegraben. Im Winter
wären wir da fast erfroren. Daher durften wir in einem
dunklen Kellerraum oder war das ein ehemaliger Kerker,
ins Gerichtshaus (heute Apotheke) übersiedeln. Auch dort
hatten wir zu kalt und der Hunger plagte uns, bis endlich
am Nachmittag die Entwarnung kam und wir heim gehen
durften.
Advent:
Die Adventzeit hat Einzug gehalten. Tief verschneit
zeigten sich Felder, Wiesen und Wälder. Alle freuten sich
auf Weihnachten. Wir Kinder zählten schon die Tage, wie
lange es noch dauert, bis das Christkind kommt. In der
Schule wurde uns vom Knecht Ruprecht erzählt, der vor
Weihnachten durch die verschneiten Wälder streift und
zu den braven Kindern kommt um diese zu beschenken.
Unsere Mutter ärgerte sich sehr über diese heidnische
Figur und hat uns wohl eines Besseren belehrt, wenn sie
sagte: „Was soll denn der euch bringen, wenn er doch für
sich selber nichts hat.“
Religion durfte während der Kriegsjahre in der Schule
nicht unterrichtet werden. So hatten wir zwei Mal in der
Woche Religionsunterricht in einem dafür ausgebauten
Raum im alten Pfarrer-Futterhaus, allgemein als die
„Hennsteige“ bekannt. Unser Herr Kooperator verstand es
ausgezeichnet uns auf Weihnachten vorzubereiten und wir
Kinder fühlten uns wie die Hirten zu Bethlehem, die auch
wie wir sehnsüchtig auf das Kommen des Christkindls
warteten. Unsere Mutter war sichtlich erleichtert, als die
Störschneiderin noch im Advent zu uns kam und wieder
das Notwendigste für alle Hausleute schneiderte. Da
kam das vorrätige Lodenpingele, das aus der eigenen
Schafwolle von der Mutter und den Mägden gesponnen
und imVillgraten in Heimarbeit gewebt und gewalkt wurde
auf den Stubentisch. Weniger erfreut über das Dasein der
Schneiderin waren wir Geschwister, denn wir kannten sie
schon von früher. Hat sie in ihrer Nervosität den Faden
aus der Nähnadel gezogen oder die Schere verlegt, dann
waren ganz sicher wir Kinder Schuld daran. Sie hat es
soweit gebracht, dass wir uns schon ab dem zweiten Tag
ihres Daseins nicht mehr in die warme Stube trauten. Aber
zum abendlichen Rosenkranzgebet mussten wir hinein.
Mit einem mulmigen Gefühl haben wir uns in die Stube
gewagt, den Bereich der Schneiderin wohl kaum eines
Blickes gewürdigt und so schnell wie möglich zuhinterst
auf den Stubenofen geflüchtet. Laut und deutlich haben
wir nachgebetet und hofften dabei auf die Gebetserhörung,
dass die Schneiderin am Hl. Abend nicht mehr da ist
und sich das Christkindl in unsere Stube hinein traut.
Vor den Feiertagen war auch noch der Schlachttag. Die
Hausschlachtung musste gemeldet werden. Für unseren
13-Personen-Haushalt wurden zwei Schweine bewilligt.
Der Heilige Abend!
Statt zur täglichen Schülermesse gingen wir heute mit
unserer Mutter zum Rorateamt. Der Großonkel nahm die
klein geschnittene Meisterwurze, die er im Sommer auf
der Hochalm ausgrub, mit in die Kirche zum Weihen.
Weihrauch gab es damals nicht zu kaufen. Am Nachmittag
stellte dann der Großonkel die Krippe auf. Unser Vater
half ihm den Krippenberg vom Dachboden in die Stube zu
tragen. Dann holte der Onkel aus seinem Zimmer die große
Schachtel mit den vielen wertvollen handgeschnitzten
Krippenfiguren. Jede einzelne Figur war in vergilbtem
Seidenpapier eingewickelt. Interessiert standen wir
Kinder auf der Bank hinter dem Stubentisch und schauten,
wie der Onkel bald einen Hirten, dann wieder Schafe
auspackte und auf das Hirtenfeld stellte. Mittendrin
platzierte er dann wieder einen Engel, der den Hirten die
Weihnachtsbotschaft verkündete. Doch der größte und
schönste Verkündigungsengel schwebte über dem Stall, in
dem das göttliche Kind in der Krippe lag. Maria und Josef
schauten ehrfürchtig auf das mit ausgebreiteten Armen in
Windeln eingewickelte neugeborene Christkindl. Einige
Hirten knieten vor dem Stall und beteten es an. In den
hintersten Winkel des Krippenstalles hat der Onkel nun
auch noch den Ochs und den Esel hinein gestellt. Dann
kamen ein Tisch auf die Eckbank in der Stubenecke und
darauf der bevölkerte Krippenberg. So stand nun die Krippe
Weihnachtliche Kindheitserinnerungen!
Sommeraufnahme 1944
Asthof Kinder: vlnr: Seppl, Peter, Maria mit Aloisia,
Engelbert, Bernhard und Anna