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• Juli 2013
Chronik
Ich begann mit meinen Aufzeichnungen im Jahre 2006 nach
einer Sendung des ZDF am 12.03.2006 über „Das Drama an
der Drau“ nach Recherchen des Prof. Harald Stadler – gebürtig
in Lienz – von der Universität Innsbruck.
Meinen Bericht übersandte Herr Prof. Stadler an den Heimat-
kundler Roland Domanig in Lienz.
Wegen der zunehmenden Luftangriffe auf deutsche Städte
wurden im 2. Weltkrieg Berliner Kinder auch nach Österreich,
u.a. Kärnten und Osttirol evakuiert, sog. Aktion Kinderland-
verschickung KLV.
Von 1943 bis 1946 lebte ich mit meiner Familie im Hotel Post
in Sillian. Mein Vater war Lehrer und unterrichtete und betreu-
te eine Schulklasse von 30 Berliner Jungen im Alter von 13
bis 15 Jahren.
Der Tageslauf in einem KLV-Lager war geregelt:
Vormittags Unterricht, nachmittags Sport, Wanderungen, Bee-
ren- und Pilzesammeln, die in Fabriken verarbeitet wurden,
Spielzeug basteln für Kriegswaisen, Erntehilfe bei den Bauern.
Ich besuchte 2 Jahre lang das Gymnasium in Lienz. Die letzten
Kriegsjahre waren in der Gebirgswelt keineswegs
friedlich. Das Pustertal war eine Nachschubstrecke
für Truppen und Material an der italienischen Front.
Tagsüber standen die Züge im Schutz der Wälder
(Ort: Mittewald), nachts rollten sie. Tiefflieger flo-
gen das Tal entlang – tiefer als die Bergbauernhöfe;
in Bad Weitlanbrunn explodierte ein Munitionszug,
die beiden Asthöfe Nahe Bahnhof Sillian wurden in
Brand geschossen.
Unser Schulbesuch wurde problematisch: Bei Flie-
geralarm saßen wir in Lienz in der Schule oder in
der Nähe des Bahnhofs im Luftschutzkeller bzw.
mussten den mittäglichen Schulzug verlassen und
unter den Waggons Deckung suchen (bei Abfalters-
bach).
Fast täglich dröhnten die amerikanischen Bomber-
geschwader von Italien kommend auf dem Weg
nach München oder Salzburg. Auf dem Rückflug
stürzte auch einmal – 29.12.1944 – ein angeschos-
senes Flugzeug beim Helm ab.
Mit meinen ersten Englischkenntnissen begleitete
ich den Piloten, der sich mit einem Fallschirm gerettet hatte
und die Landkarte der Dolomiten auf einem Taschentuch ge-
zeichnet bei sich trug, zur Gendarmerie, von dort wurde er in
das Kriegsgefangenenlager Leisach bei Lienz gebracht.
Zum Schutze der Dorfbevölkerung von Sillian wurde westlich
vom Ort ein Unterstand in den Berg gesprengt, aus dem wir
mit Loren die Gesteinsbrocken entfernen mussten.
Nachdem der Schulbesuch in Lienz nicht mehr möglich war,
ging ich täglich mit einer Freundin zum Unterricht in ein Ber-
liner Mädchenlager in Bad Weitlanbrunn in Arnbach. Der
Schulweg war entweder der Draudamm oder die Landstraße.
Die Tiefflieger schossen auch auf uns Zivilisten, und wir mus-
sten im Straßengraben Deckung suchen.
Durch die nahe Grenze zwischen (damals) „Reichsdeutsch-
land“ und Italien wurden die letzten Monate des Krieges dra-
matisch.
Die Amerikaner rückten von Süden an, die Engländer kamen
von Norden. An der Grenze befand sich eine Organisation
Todt OT zu Pionierarbeiten. Die ersten deutschen Soldaten
Kriegsjahre in Sillian – eine „Reichsdeutsche“ erinnert sich