Seite 3 - H_1998_06

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Nummer 6 –– 66. Jahrgang
O s t t i r o l e r H e i m a t b l ä t t e r
werden wie die slawischen. Als Beispiel
im Norden bei den 335 erfaßten Namen:
das romanische
Rumesoi
„Foissen =
Sauerampfer“ erscheint z. B. in sechs ört-
lich zusammenhängenden Formen, und
bairisch
Lucken
„Lücke, Einschnitt, Berg-
joch“ auch „Zaunlücke“ findet man an
zwei Stellen insgesamt sechsmal.
Um alles noch mehr zu komplizieren,
wäre nun wenigstens ein Beispiel zur be-
reits erwähnten Mehrdeutigkeit zu nennen.
Der Bergname
Muntanitz
mit acht örtlich
zusammenhängenden Namen in
Muntanitz-
Bach, Muntanitz-Balfen, Muntanitz-Kees,
Muntanitz-Trog
etc. kann (1) als
montanus,
-a + ica,
d. h. rom. „Berg“ plus slw. En-
dung gedeutet werden, (2) als
muntaníties,
-ia
ganz rom. und (3) ganz slaw. als
moNtbníca
„Trübenbach“. Vor 100 Jahren
war die Betonung noch auf dem
i,
deshalb
wären (2) und (3) durchaus zu verantwor-
ten. Die Entscheidung muß dann so getrof-
fen werden, wie sie vom Auswerter für am
wahrscheinlichsten gehalten wird. Man
könnte natürlich auch Mischformkatego-
rien einführen, die aber in Kals statistisch
unter die 3 %-Klausel fallen.
Für die 335 Namen des Dorfer- und
Teischnitz Tales ergibt sich so folgende
Statistik, wenn man zusammengehörende
Formen wie
Fruschnitz
und
Rumesoi
nur
je einmal,
Kasten
zweimal und
Balfen
achtmal einbringt. Vorrömisch sind die
Balfen
von
*palva
„Felshöhle, Vor-
sprung“: achtmal (im gesamten Kalser Tal
fünfzehnmal);
Pal-
Berg etc. von rom.
pa-
la
„steil abfallende Wiese“: dreimal (4);
Brazále von rom.
bruciale,
kelto-rom.
bru-
cus
„Dorngestrüpp, Heidekraut“: einmal
(3);
Tauern
von vorröm.
*taur-
„Berg“:
fünfmal (6);
Trojasil
zu vorröm.
*trogio-
„Fußweg, Steig“: einmal. Mit 18 Namen
beträgt der Anteil an vorröm. Namengut
8 % (von 222 an verschiedenen Orten vor-
kommenden Namen). Romanische Namen
der nächsten Sprachschicht findet man 67
mal = 30 %, slawische 15 mal = 7 % und
bairische 122 mal = 55 %.
Der mittlere Teil des Kalser Tales, von
der Daberklamm bis zur Knopfbrücke,
enthält in den Abschnitten II bis IV 746
Namen (von 1468). Da sich die restlichen
elf vorröm. Namen auf die obengenannten
vier Abschnitte und Abschnitte VI bis VIII
verteilen, fallen sie statistisch nicht ins
Gewicht. Ebenso spielen slawische Namen
mit etwa ein bis zwei Prozent in den Ab-
schnitten II bis V keine große Rolle. Hier
dominiert das Bairische mit über 60 %, der
große Rest ist romanischen Ursprungs.
Der Süden des Kalser Tales (Abschnitt
VI bis VIII) zeigt aber wieder die Diver-
sität des Nordens. Es dominiert das Bairi-
sche mit 65 %, gefolgt vom Slawischen
mit 20 % und mit dem geringsten Anteil
das Romanische mit nur 15 %.
Das Kalser Tal war bis ins Mittelalter
von Romanen, Slawen und Germanen ge-
meinsam bewohnt. Da das Ladinische, das
Slowenische und das Bairische der Be-
wohner gewisse Sprachveränderungen
fast gänzlich durchführten, andere aber
wieder gar nicht stattfanden, kann folgen-
des gesagt werden: Es wurde im Kalser Tal
wohl bis ins 13. Jahrhundert Ladinisch ge-
sprochen. Das Slowenische ist vor dem La-
dinischen ausgestorben; und da gewisse
bairische Lautwandel nicht stattfanden,
muß angenommen werden, daß ein Teil der
Bewohner von Kals jahrhundertelang
zwei- oder gar dreisprachig war. Der Über-
gang vom Keltischen zum Alpenromani-
schen kann aber überhaupt nicht berück-
sichtigt werden. Alles Vorrömische wurde
durch den Mund der Romanen vermittelt.
Die erste schriftliche Erwähnung von Kals
stammt vom 19. August 1197, als ein „Ple-
banus (Leutpriester) de Calce“ in Patrias-
dorf (heute Teil von Lienz) als Zeuge einer
Amtshandlung erwähnt wurde. Deshalb fei-
ert man auch 1998 noch bis August das
800ste Jubiläumsjahr von Kals.
Wie kann man annehmen, daß die Kal-
ser bis ins Mittelalter zwei- oder gar drei-
sprachig waren? Es ist anzunehmen, daß
Slawen und Baiern frühestens im 7. Jahr-
hundert in Kals aufgetaucht sind, wo sie ro-
manisierte Kelten und Romanen vorfanden.
Vom Sprachwandel ist u. a. folgendes be-
kannt: Der ladinische Lautwandel von
ca-
(ka-) zu
ca-
(tscha-) wurde in Kals zu fast
100 % durchgeführt, z. B. in
Tschamp
vom
rom.
campus
„Feld“ und in
Tschadín
von
catinus
„Kessel, Kar“. Dieser Lautwandel
wird nach 800 angesetzt. Andererseits fand
die bairische Diphthongierung von langem
(i:) und (u:) in vielen Namen nicht statt,
z. B. in rom.
Tschadín
(oben) und
Volsch-
von
Val (ob)scura
„Finstertal“, sowie
slaw.
Ladíne
aus
Ledína
„Brache, Brach-
land“ und
Kalúse
aus
Kaluza
„Lache, Pfüt-
ze, Sumpf, Morast“. Der Lautwandel von
(i:) > (ai) und (u:) > (au) fand frühestens im
12. Jahrhundert statt. Auch die Hofnamen
Figer, Gliber
und
Mus
wurden nicht
diphthongiert. Daher müssen diese Namen
nach 1300 entlehnt worden sein (jedenfalls
solange man noch romanisch sprach).
Daß das Slowenische in Kals vor dem
Ladinischen ausstarb – darauf könnte u. a.
das Fehlen der Präjotation (j-Vorschlag
vor Vokalen) in Arnig hinweisen, die übri-
gens auch im restlichen Osttirol fehlt, z. B.
beim Auerling (BN in den Lienzer Dolo-
miten) und in Amlach (Ortschaft bei Li-
enz). An der Donau findet man dagegen z.
B. den Jauerling (BN) und in der Steier-
mark den Ort Jauering, die alle auf Javor
„Ahorn“ zurückgehen. Diese Präjotation
wird um 1100 angesetzt und hat Osttirol
nicht mehr erreicht.
Auch findet man heute in Kals von etwa
180 bodenständigen Vulgo- und Schreib-
namen nur vier slawische (drei im Süden):
(Nieder-)
Arniger, Oblasser „Lahner“,
Perloger
(von
prelog
„Brachland“), etwa
„Egartner“,
und den Hofnamen
Zöttl
in
Großdorf, wahrscheinlich von
Se(d)lo
„Dorf“, also etwa Dorfer. An romanischen
Namen gibt es aber noch über 20, wie
Gol-
liséller, Prädótzer, Rángetíner und Rubi-
sóier.
Abschluß des Symposiums 1998: Fahrt zum Lucknerhaus mit Blick auf die imponieren-
de Gebirgskulisse des Großglockners.
Foto: Wanda Furtschegger
Rupert Unterweger, vulgo Spöttling, der in
der ersten Welle der Erfassung der Kalser
Flurnamen die Hauptarbeit leistete und
somit als ein Wegbereiter der Kalser
Namenkundlichen Symposien gilt.
Foto: Archiv K. Odwarka