Seite 3 - H_1998_08-09

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Nummer 8-9 –– 66. Jahrgang
O s t t i r o l e r H e i m a t b l ä t t e r
war von Soldaten zur Hauptwache ge-
macht, und in meinem Schlafzimmer war
kein Tisch, und weder Sonne noch Mond
schien hinein. Ich mußte also an einem
Platz im Hause meine Vorrichtung treffen,
wo ich lästige Zuschauer genug hatte, und
noch obendrein die herrliche Beihülfe ei-
nes warmen Ofens entbehren mußte. Die-
ses, und der theure Preiß aller [S. 125] Be-
dürfnisse**, machten mir Lienz verhaßt,
und nur aufs dringende Bitten des Herrn
Rauschenfels entschloß ich mich, noch zu
bleiben.
Da ich die
Saponaria ocymoides
und
Cardamine resedifolia
auf dem Iselsberge
nicht gefunden hatte; so führte mich Hr.
Doctor Nachmittags an einem [!] nahege-
legenen Orte; aber auch dort fanden wir
keines von beiden.
Freitags den 3ten Aug. machte ich mich
in aller Frühe mit dem Führer auf, um die
Schleinizalpe zu besteigen. Hier fanden
wir einige Wiesen, die noch nicht
gemähet waren, und mithin mehrere Wie-
senpflanzen. Das
Hieracium Pilosella
war
hier von solcher Größe, [S. 126] daß ich es
für eine ganz andere Pflanze ansah. Auch
sahe ich hier die schöne
Hypochaeris hel-
vetica
zum erstenmal. Sie war zum Einle-
gen zu groß und zu dick, und gleichwohl
sind die wenigen Exemplare, so ich ge-
sammelt habe, nach Wunsch ausgefallen.
Poa sudetica
Haenk war schon verblühet.
In der höheren Region zwischen den Fel-
sen sammelte ich
Poa laxa
Haenk.
Poa di-
sticha, Cerastium latifolium, Juncus spi-
catus, J. spadiceus, Cardamine resedifolia
u. m. Nun kamen wir an einige Bergseen,
wo aber nichts wuchs. Die kahlen Wege
waren mit einem
Polytrichum
gar schön
und häufig bewachsen. Endlich sahen wir
den Gipfel, die sogenannte Schleinitzspit-
ze, in der Nähe. Aber wir hatten noch lan-
ge zu klettern, bis wir hinauf kamen. Der
steile Weg gieng eine ganze Stunde lang
über lauter Granitblöcke, die hier zu tau-
senden neben einander lagen, und wo man
von einem auf den anderen springen muß-
te. Ueberall war
Poa disticha
in Menge,
und je höher wir kamen, desto schöner
stand es in Blüte. Unter dem höchsten Gip-
fel war
Senecio incanus
in den Felsenrit-
zen – aber man konnte die Exemplare
nicht erreichen. Mit Mühe sammelten [S.
127] wir die prachtvolle rosenrothe
Silene
Pumilio,
und endlich
Primula glutinosa.
Nun kamen wir nahe an die höchste Spit-
ze, und fanden dort das prachtvolle
Geum
reptans,
aber meistens verblühet, das sel-
tene
Anthericum serotinum,
sparsam, und
endlich den längst gewünschten
Rannun-
culus glacialis,
in Menge. Nun erstiegen
wir die Schleinizspitze, und weil es hell
Wetter war; so hatten wir eine ganz unbe-
greifliche Aussicht, davon sich auch der
kleinste Gedanke nicht beschreiben läst.
Lienz lag in der unermeßlichsten Tiefe,
wie eine, auf ein Kartenblatt gezeichnete
Landschaft, und in den weitesten Entfer-
nungen die höchsten Berge, zum Theil, mit
ewigem Schnee bedeckt. Italiensgebürge
schienen ganz in der Nähe zu seyn. Ich zog
ein Stück kalten Braten, samt einem Gläs-
chen Tyrolerbrandwein hervor, und ließ
es mir an diesem unermeßlichen Orte wohl
schmecken. Mein Führer aß nichts, weil es
Fasttag war. Nach gelegtem Wahrzeichen,
kletterten wir auf die andere Seite, mit vie-
ler Lebensgefahr, hinunter, und es ver-
giengen ein paar Stunden, ehe wir aus den
Steintrümmern herauskamen. Wir fanden
noch einige
Astragali
und andere schon
angeführte Arten, aber [S. 128] wir waren
schon mit Pflanzen schwer beladen, und
eileten nach Lienz zurück, wo wir gegen
Abend eintrafen. Ich wollte noch einlegen,
aber ich war zu müde, und hatte der Pflan-
zen zu viel. Ich packte also alles in die ble-
cherne Büchse, und gieng den andern Tag
früh Morgens, mit meinem Führer, über
den Iselsberg nach Heiligenblut zurück.
Der Führer konnte nur 3 Stunden, bis
Winklern, mitgehen, dann mußte ich alle
meine Sachen selbst auspacken, und allein
reisen. Nach ein paar Stunden kam ich in
ein anmuthiges Gehölze, wo ich mich nie-
derlegte, und durch das Geräusch des
Möllflußes eingewiegt, bald einschlief,
und erst nach drei Stunden wieder auf-
wachte. Abends erreichte ich Heiligenblut,
und nun war auch alle Last des heutigen
Tages vergessen.
* Ein Bergstock ist sehr lang und dick, auch unten mit ei-
nem Stachel versehen. Wenn man an einem Berge seitwärts
fortschreitet; so setzt man den Stock allemal gegen die Höhe
des Berges, niemals gegen die Tiefe. Bei einem möglichen
Sturz fällt man aufwärts, niemals unterwärts; und dies heißt,
auf eine geschickte Art den Bergstock führen.
** Mein Führer auf dem Untersberge war mit 36 kr. ganz
zufrieden; der hiesige verlangte einen Kronenthaler. Frei-
lich war dieser durch die Herren Barone v. Wulfen, v. Ho-
henwarth, v. Cenis, v. Zoys u. a. verwöhnt worden, denn
lezterer gab ihm einen Ducaten, als er die
Valeriana supi-
na
zum erstenmal brachte.
Dem Wunsch des verstorbenen Freun-
des HOPPE nachkommend, „demselben
Lesezirkel, an welchen er sich als feuriger
Jüngling gewandt hatte, [...] nun als le-
bensheiterer Greis die Geschichte seines
Lebens zu erzählen“, vollendet FÜRN-
ROHR (1804-1861) das von HOPPE be-
gonnene autobiographische Manuskript
und gibt dieses 1849 als „Botanisches Ta-
schenbuch“, 23. Band, (38 Jahre nach
Band 22) „gleichsam als Schlußpunkt der
ganzen Reihe“ (FÜRNROHR 1849:VII) in
Regensburg heraus.
Folgen wir der Vita HOPPES. Neben ei-
nem kurzen Überblick über seine Lauf-
bahn als Pharmazeut und Arzt soll sein
tirolbezogener Beitrag in der klassischen
Epoche der botanischen Erforschung der
Alpen aufgezeigt werden.
In Vilsen, Grafschaft Hoya/Hannover,
wird David Heinrich am 15. Dezember
1760 als jüngstes von 16 Kindern geboren.
Daß er „ein geübter Bergsteiger geworden
ist“, führt er auf die im Kirchhof seines
Geburtsortes „in aller Größe und Höhe“
aufgestellten hölzernen Grabmonumente
zurück, über die er mit seinen Schulkame-
raden „die Höhe des Monuments mit bei-
den Händen erfassend mit ausgespreizten
Beinen hinüber flog“ (FÜRNROHR
1849:14).
Nach dem Besuch der deutschen Schule
in Vilsen tritt HOPPE im neunten Lebens-
jahr in die lateinische Schule in Hoya ein.
„Da erschien einstmalen der merkwürdig-
ste Tag meines Lebens, der Tag, welcher
[...] das Schicksal meines ganzen nach-
maligen Lebens bestimmte“: fasziniert von
den Erzählungen seines Mitschülers
Friedrich JORDAN, Apothekerssohn zu
Hoya, der mit seinem Vater „botanisiren
gehen“ muß, beschließt HOPPE, dessen
Familienname auf die plattdeutsche Be-
zeichnung für Hopfen zurückgeht, selbst
ein „Botanicus“ zu werden (FÜRN-
ROHR 1849:30-31, 38).
Bereits während seiner fünfjährigen
Pharmazeutenlehrzeit (1775-1780) in der
Königlichen Hof-Apotheke zu Celle, spä-
ter in Hamburg, Halle, Wolfenbüttel und
ab 1786 in Regensburg (wo er sich auch
später als Arzt niederläßt und 1803 am
dortigen Lyzeum zum Professor der Bota-
nik ernannt wird, was ihn wiederum dazu
veranlaßt, seine ärztliche Praxis aufzuge-
ben), ist HOPPE immer in persönlichem
oder brieflichem Kontakt zu Pharmazeu-
ten, Apothekern, Floristen und Botanikern
seiner Zeit. Dieses soziokulturelle Umfeld
ist für seine persönliche Entwicklung von
eminenter Bedeutung: sie führen ihn in die
botanische Systematik ein, stellen ihm
ihre Bibliothek zur Verfügung, es werden
gemeinsame Exkursionen unternommen,
sodaß er durch diesen Wissenstransfer
bald Anschluß an aktuelle Fragestellungen
der wissenschaftlichen Botanik findet.
Während seines Aufenthaltes in Wol-
fenbüttel besteigt er im Sommer 1784 mit
zwei befreundeten Botanikern, den Herren
HEINTZE und WAGENFELD, mit „einer
Landcharte über den Harz, mit Pappen-
deckeln und ein paar Büchern Löschpapier
und dergleichen mehr, versehen“, den da-
mals vielbesuchten, 1.142 m hohen
Brocken im Harzgebirge (HOPPE
1790:21, FÜRNROHR 1849:40, 78, 79,
113). Auf dem Weg zur höchsten
Brockenspitze werden „wahre Alpen-
pflanzen“ gesammelt. Erst 1792 publiziert
HOPPE die Ergebnisse dieser achttägigen
„Fußreise“, „die einen solchen Eindruck
auf uns machte, daß wir uns derselben
zeitlebens mit der grösten Empfindung der
Freude erinnern werden“ (HOPPE
1792:101). Gegen Ende seines Berichtes
kündigt er die zukünftige geographische
Zielregion seiner Forschungstätigkeit an,
nachdem ihm eine botanische Alpenreise
in die bereits besser erforschte Schweiz
von SCHRANK (1747-1835, damals
Professor in Landshut, ab 1809 Professor
für Botanik und Direktor des Botanischen
Wolfgang Neuner
Erinnerungen an Dr. David Heinrich Hoppe
(15. 12. 1760 – 1. 8. 1846)
Sein Leben, seine botanischen Reisen in den „Tyrolischen Alpen“