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Nummer 11 –– 66. Jahrgang
O s t t i r o l e r H e i m a t b l ä t t e r
Grunde löste der Vater 1935 den Tischle-
reibetrieb auf.
Als Bauberater der Bezirks-Bauern-
kammer plante er den „Müllerhof“ in der
Peggetz (Schule und Wirtschaftsgebäude),
zeichnete alle Detailpläne und führte die
Bauaufsicht. Er erstellte auch alle Neu-
oder Umbaupläne im Zusammenhang mit
der Besitzfestigung im Bezirk Lienz.
Während des Krieges und anschließend
bis zum Oktober 1947 gehörte Osttirol zu
Kärnten. In dieser Zeit hatte der Vater sei-
nen Arbeitsplatz in Klagenfurt. In den letz-
ten Kriegsjahren mußte er allerdings einem
Einberufungsbefehl zum Stellungsbau in
Italien (Provinz Udine) Folge leisten.
Sein Aufgabenbereich in Kärnten ist im
Dienstzeugnis der Landwirtschaftskammer
Klagenfurt beschrieben: Architekt Franz
Steiner oblag die Fertigstellung und die
Abrechnung aller in ganz Kärnten begon-
nenen landwirtschaftlichen Bauten.
Gleichzeitig hatte er als Berater der Be-
zirksbauernkammer die Planverfassung
und Bauüberwachung aller landwirt-
schaftlichen Bauten im Bezirk Lienz zu
besorgen. Die während der Kriegs- und
Nachkriegszeit sehr schwierige Aufgabe
der Materialbeschaffung meisterte er mit
Tatkraft und Energie. Durch seine ruhige,
angenehme Art und seine Fachkenntnisse
hat er sich das Vertrauen der maßgebenden
Behörden erworben und so in der
schweren Nachkriegszeit zahlreiche land-
wirtschaftliche Bauvorhaben erfolgreich
abschließen können. Besonders hervorzu-
heben ist noch seine Mitarbeit bei der
Fachzeitschrift „Der Kärntner Bauer“, für
die er eine Artikelfolge über „Landwirt-
schaftliches Bauwesen in den Alpenlän-
dern“ schrieb.
Mit seinem Heimatbezirk kehrte auch
mein Vater wieder nach Tirol zurück. Er
arbeitete beim „Amt für Landwirtschaft“
in Lienz noch 10 Jahre für die bäuerliche
Bevölkerung Osttirols bis zu seiner Pen-
sionierung im Jahre 1957.
Hofrat Hans Weingartner sagte: „Stei-
ners Sorge galt den Bergbauern. Den
schwierigsten Fällen widmete er seinen
ganzen Einsatz.“
Beim Mittagessen an den Sonntagen
waren wir nie allein. Es hatte sich einge-
bürgert, daß die Matreier, die Rat bei
ihrem Hausbau brauchten, nach dem
„Amt“ zum Steiner gingen. Wer in der
Küche nicht Platz hatte, wartete in der
Stube oder auf der Bank bei der Haustür.
Der Vater versprach, einen Bauplatz aus-
zustecken, Detailpläne zu zeichnen, irgend
eine Abänderung zu machen, bei den
Handwerkern vorzusprechen. Und man-
cher, der nach langem Warten noch einen
weiten Heimweg hatte, wurde von der
Mutter zum Mittagessen eingeladen. – Es
waren ungezählte kostenlose Sprechstun-
den. Auch heute höre ich noch manchmal:
Ohne deinen Vater hätten wir unser Haus
nicht bauen können.
Im Jahre 1957 kamen internationale
Agrarexperten nach Tirol, um Bergbau-
ernhöfe zu besichtigen. In Matrei war der
Strumerhof (1.450 m) dazu ausersehen.
Mein Vater mußte die Vorbereitungen
treffen und die Gruppe führen. – Es war
ein wunderschöner Herbst. Schon Wochen
vorher ging der Vater immer wieder zum
„Strumer“, damals selbstverständlich zu
Fuß über Prossegg und den Thiemeweg.
Im Rucksack hatte er Werkzeug für die
notwendigsten Reparaturen. Zum Schluß
kamen noch Pinsel und Farben dazu, um
die alte Küche ein wenig aufzufrischen.
Am 4. Oktober trafen die Gäste ein. Sie
waren beeindruckt von der extremen Lage
und dem schönen Ausblick und zeigten
großes Interesse am Wirtschaftsgebäude
und an den Feldaufzügen. Der Vater er-
zählte die Geschichte des Hofes, der früher
das Zulehen eines Zedlacher Bauern war
und stellte die Familie Holzer vor, die ihn
mit Zähigkeit und Fleiß technisch erschlos-
sen und so lebensfähig gemacht hatte. Be-
wunderung erntete dann der Strumer Sepp,
als er auf skeptische Fragen hin seine Sen-
se holte und den staunenden Experten zeig-
te, wie er als Invalide mit einem steifen
Bein die steilen Wiesen mäht. Dieser Tag
wurde für alle zum Erlebnis. Der Sepp sag-
te später noch sichtlich bewegt: „Die schö-
nen Worte, die der Franz gesagt hat, werde
ich mein Lebtag nicht vergessen.“
Zu seinem Vorgesetzten, Hofrat Hans
Weingartner, bestand ein fast freund-
schaftliches Verhältnis. Sie hatten auch
manches gemeinsam: Beide waren Natur-
liebhaber und Südtirolkenner, beide hatten
eine Lehrerin zur Frau. Ihre Gespräche
waren nicht nur beruflicher Art, sie wur-
den manchmal sehr privat. So meinte
Hofrat Weingartner: „Gelt, die Lehrerin-
nen sind gut, wenn man sie früh genug
heiratet.“
Über manche Episode aus seinem Leben
konnte der Vater herzlich lachen. Kurz
nach der Hochzeit ging er auf das Schloß
Weißenstein, um im Auftrag seines
Schwiegervaters mit dem Besitzer, Herrn
von Thieme, eine Arbeit zu besprechen.
Meine Mutter begleitete ihn. Sie wartete
auf der Bank beim Eingang und spazierte,
da die Unterredung länger dauerte, durch
den weitläufigen Park. – In Gedanken in-
tensiv mit dem neuen Auftrag beschäftigt,
Zwei begeisterte Bergsteiger: Franz Steiner mit seinem jüngsten Sohn Siegfried auf dem
Eichham.
Der „Stocker Tischler“ mit seinen Leuten auf der Wiere vor der Werkstatt. Von links:
Ludwig Rotschopf (Jaggler), Tonig Preßlaber (84 Jahre – lebt als einziger noch),
Schwiegersohn Sepp Niederlintner (Bergführer), Jörg Rainer, Ander Entstrasser, Schwie-
gersohn Franz Steiner, Sepp Waldner (Foto um 1930).