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O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
66. Jahrgang –– Nummer 11
Am 6. November 1892
wurde in Matrei dem „Kros
Tischler“ Johann Steiner und
seiner Frau Maria als erstes
Kind ein Bub geboren, der
den Namen Franz erhielt.
Bald gesellten sich eine Anna
und ein Josef dazu.
Das Glück der jungen Fami-
lie wurde 1896 jäh zerstört.
Bei einer weiteren Geburt
starben Mutter und Kind. In
der Verwandtschaft war nie-
mand, der sich der kleinen
Halbwaisen hätte annehmen
können. Für bezahlte Hilfe
reichte das Geld nicht, es gab
ja noch keine Beihilfen. So
mußte sich der Vater schweren
Herzens entschließen, seine
Kinder „auszustiften“.
Franz (3
1
2
J.) kam zum Ge-
reiterbauern in Bichl, seine
Schwester Anna (2 J.) zum
Simiterbauern, ebenfalls in
Bichl. Der kleine Josef (1 J.)
fand bei Verwandten in Hopfgarten, bei
der Familie Josef Hintner ,,Beckin“, ein
neues Zuhause. Bemerkenswert ist, daß
die drei Geschwister, die so früh getrennt
wurden, stets engen Kontakt zueinander
hatten.
Josef durfte in Brixen das Gymnasium
besuchen. Er maturierte mit Auszeichnung
und rückte anschließend als Freiwilliger
ein. Im Juli 1917 wurde der 22jährige in
den Sextener Dolomiten von einer Hand-
granate getroffen und schwerstens verletzt.
Die Kameraden holten ihren Leutnant, der
aus über 40 Wunden blutete, aus der feind-
lichen Schußlinie und brachten ihn
zurück in ihre Stellung. Auf dem Sterbe-
bild steht: Seine Leiden, über deren töd-
lichen Ausgang er nie Zweifel hegte, er-
trug er durch 19 Monate wie ein Märtyrer.
Mein Vater arbeitete nach der Pflicht-
schule auf dem Gereiterhof, bis er mit 18
Jahren beim „Stocker Tischler“ Josef
Waldner eine Lehre beginnen konnte. In
seinem Lehrherrn fand er einen väterlichen
Freund und Ratgeber. Auch sein Vater hat-
te dort gearbeitet. Er war nach langer
Krankheit 2 Jahre zuvor gestorben.
Im Jahre 1914 brach der Erste Weltkrieg
aus und für den jungen Tischlergesellen
kam die Einberufung. Nach über drei-
jährigem Einsatz kehrte er zwar unver-
sehrt, aber gezeichnet von den schreck-
lichen Erlebnissen an der Dolomitenfront
und betroffen vom Schicksal seines Bru-
ders nach Matrei zurück. Nun beschloß der
inzwischen 26jährige, in verschiedenen
Betrieben Erfahrung zu sammeln und Geld
für die Weiterbildung zu verdienen. Aus-
gestattet mit einem kleinen Startkapital
und einem guten Schuß Matreier Optimis-
mus zog er von daheim weg. In Innsbruck
und in Bayern arbeitete er bei 5 Tischler-
meistern (davon drei Kunsttischler). In
allen Dienstzeugnissen werden sein Ge-
schick, der Fleiß und das selbständige Ar-
beiten hervorgehoben. In der Tischler-
Fachschule in Cöthen-Anhalt besuchte er
einen Beiz- und Poliermeisterkurs. Im
Zeugnis wird bestätigt, daß Herr Franz
Steiner befähigt ist, alle denkbaren effekt-
vollen Farbentöne auf allen Hölzern
schnell und sicher herzustellen und er da-
her jedem bestens zu empfehlen sei.
Im Jahre 1920 trat der Vater in München
in die Gewerbeschule ein und war nun sei-
nem angestrebten Ziel ein gutes Stück
näher gerückt. Nach 3 Jahren konnte er das
Geld nicht mehr aufbringen und mußte die
Schule „wegen Mittellosigkeit“ verlassen.
Dieser schwere Rückschlag entmutigte ihn
nicht. Sein Traum von Weiterbildung war
noch nicht ausgeträumt.
Nun ging er nach Wien und legte an der
Meisterklasse für Architektur an der
Kunstakademie die Aufnahmsprüfung
ab. Dabei waren ihm – nach eigenen Aus-
sagen – der erlernte Beruf und die schuli-
sche Vorbildung sehr behilflich. Seine
Schwester Anna (spätere Frau Köll) be-
gleitete ihn nach Wien und nahm eine
Stelle als Hausmädchen an. Gemeinsam
konnten sie nun eine Unterkunft bezahlen.
Es waren überaus entbehrungsreiche Jah-
re. Der einzige Luxus, den sich die beiden
leisteten, war täglich eine Semmel. Sie
aßen aber immer die vom Vortag und
ließen die frischen wieder alt werden. So
stillten sie den Hunger besser.
Während des Tages widmete sich der
Vater dem Studium, in den Abend- und
Nachtstunden arbeitete er als Zeichner
oder als Tischler. Unter anderem fand er
auch bei den Kulissenmachern Beschäfti-
gung. Diese Tätigkeit brachte ihm neben
dem so bitter benötigten Geld auch man-
chen Galerie-Stehplatz in der Oper ein.
Die Aufführungen waren für die Ge-
schwister jedesmal ein großes Erlebnis.
Im Juni 1926 beendete
mein Vater das Studium. Er
hatte alle Fächer mit „vorzüg-
lich“ oder „lobenswert“ (sehr
gut oder gut) abgeschlossen.
Das Zeugnis, ein in schöner
Schrift angefertigtes Doku-
ment, enthält außer den Noten
und den Unterschriften der
Professoren
auch
eine
schriftliche Beurteilung. Hier
heißt es: Gesamturteil über
Herrn Franz Steiner: Ernst,
äußerst fleißig, klar, sehr
sachlich aber doch mit Phan-
tasie, beherrscht das Tischler-
handwerk und das Bauhand-
werk, Selbständiger Arbeiter.
(Professor Dr. Oskar Strnad)
Nach Abschluß seiner Aus-
bildung kehrte der Vater
nach Matrei zurück. Er trat
wieder beim „Stocker Tisch-
ler“ in die Werkstätte ein und
arbeitete nebenbei als selb-
ständiger Architekt. Im Jahre
1927 heiratete er Maria, die älteste Toch-
ter seines Lehrherrn. Er zog mit ihr in das
neu erbaute Eigenheim, das in den folgen-
den Jahren die Kinder (drei Buben und
ein Mädchen) mit pulsierendem Leben er-
füllten.
Von den Plänen, die in dieser Zeit ent-
standen sind, möchte ich nur einige Bei-
spiele anführen: ein Landhaus (Wiener-
häusl) samt vollständiger Einrichtung für
die Apothekerin Amalie Maurer in Matrei
– eine Bäckerei samt Wohnung und Ge-
schäftsraum für Eduard Bachlechner in
Matrei – Einfamilienhäuser für Franz
Schneeberger und Tobias Trost in Matrei –
das Haus „Erlschütt“ samt Einrichtung
für die Schriftstellerin Fanny Wibmer-
Pedit in Lienz – ein Landhaus für den
deutschen Maler Höck in Matrei – ein Ein-
familienhaus samt Einrichtung in Matrei
für den in Milwaukee lebenden Sepp
Unterrainer.
Bei manchen dieser Bauten ging der
Vater für die damalige Zeit neue, sehr
moderne Wege. Die wirtschaftlich so
schwierige Zwischenkriegszeit machte es
erforderlich, mit wenig Geld möglichst
viel Wohnraum zu schaffen. Daher nützte
er die Dachschrägen optimal aus. Er bezog
altes Kulturgut (Kästen, Truhen, …) in die
neue Bausubstanz ein und erzielte dadurch
eine warme, heimelige Atmosphäre in den
Räumen. Um seine praktische Ausbildung
zu vervollständigen, legte er die Meister-
prüfung im Tischlergewerbe ab. Sie er-
möglichte es ihm, nach dem plötzlichen
Tod seines Schwiegervaters im August
1932, dessen Betrieb weiterzuführen. Die
große Geldknappheit in dieser Zeit
brachte es mit sich, daß die ausgeführten
Arbeiten erst nach Monaten, wenn nicht
gar erst nach Jahresfrist bezahlt werden
konnten. Manch fertiges Stück wurde
überhaupt nie abgeholt. Aus diesem
Anni Eichhorner
Er war ein Freund und Helfer der Kleinen
Vor 25 Jahren starb Architekt Franz Steiner – Erinnerungen an meinen Vater
Architekt Franz Steiner (1892 – 1973) in seinem letzten Lebensjahr.
Foto: Lottersberger, Matrei i. O.