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verließ der Vater das Schloß und ging
heimwärts. Einige hundert Meter weiter
hielt er erschrocken inne: Er hatte seine
Frau im Schloßpark vergessen.
Die Liebe zur Natur führte meinen Vater
schon früh zum Alpenverein. Er gehörte
zu den Idealisten, die sich im Jahre 1928
mit dem rührigen Obmann Andreas
Girstmair auf den Weg machten, um einen
geeigneten Platz für eine Schutzhütte zu
suchen. Sie fanden ihn im Virgental in
2.780 m Höhe am Fuße des Eichham.
Nach den Entwürfen des Zimmermeisters
Florian Köll, der ein erfahrener Hütten-
planer war, fertigte der Vater ein Modell
für eine Fotomontage an. Mit diesem Bild
konnte der Hauptausschuß des ÖAV von
der herrlichen Lage überzeugt und die
Sektion Bonn des DAV als Partnerin für
den Bau der neuen Hütte gewonnen wer-
den. Jahrzehnte später zeichnete der Vater
den Plan für die Grünseehütte im Matrei-
er Tauerntal. Der Elektromeister Alois
Trost hatte nach Fertigstellung des Fel-
bertauerntunnels (1967) seine Bauba-
racke dem Alpenverein geschenkt und da-
mit den Grundstein für diese Hütte gelegt.
Bürgermeister Andreas Brugger schrieb
1973: Mindestens 25 Jahre lang waren
Andreas Girstmair, Florian Köll und
Franz Steiner die Pioniere, durch deren
Arbeit die Voraussetzung für die heute so
blühende Sektion geschaffen wurde.
Der dunkelste Tag im Leben meines Va-
ters war der 28. Juni 1965. Es war der Tag,
an dem meine Mutter im Alter von 65 Jah-
ren ganz plötzlich verstarb. Nach fast
40jähriger harmonischer Ehe traf ihn die-
ser Schicksalschlag zutiefst. – Erst all-
mählich kehrten die Lebensfreude und das
„leichte Matreier Gemüt“ – wie es die
Mutter bezeichnet hatte – wieder zurück.
Sie waren aber fortan viel verhaltener.
Meinen Vater hatte es schon in seiner
Jugend immer wieder auf den Zunig, den
Hausberg der Bichler, gezogen. Er war be-
geistert von der schönen Aussicht und er-
richtete in den dreißiger Jahren auf der
Alm eine Hütte für seine Familie. Die Zu-
niger waren froh, daß noch jemand mit
ihnen den Sommer verbrachte. Es war
eine abgelegene, einsame Gegend, nur
über einen steilen Weg mit den bezeich-
nenden Namen „der kleine und der große
Schinder“ zu erreichen. Außer den
Steiners und der Familie Keller aus Wien
verirrte sich niemand dorthin zur Som-
merfrische. Dem Vater war es ein großes
Anliegen, dieses schöne Gebiet auch
anderen Menschen zu erschließen. Er mar-
kierte Steige und brachte Wegweiser an,
die der Alpenverein zur Verfügung stellte.
Er hielt Ausschau nach Plätzen, zu denen
es sich lohnte, einen Weg anzulegen oder
Markierungen zu erneuern. Wenn es not-
wendig war, rückte er auch mit Pickel und
Schaufel aus. Bei den gemeinsamen
Wanderungen zeigte uns der Vater die
Schönheiten der Natur und führte uns in
die Grundbegriffe des Bergsteigens ein:
Während ein Fuß geht, muß der andere
rasten. – Die vielen kleinen, unscheinbaren
Freuden des Alltags summierten sich bei
ihm zu einer heiteren, optimistischen
Lebenseinstellung.
Auf der Zunigalm verbrachten wir jedes
Jahr eine überaus glückliche Zeit. Wir
liebten das einfache Leben und die herr-
liche Freiheit.
Wie oft ist der Vater vor der Hütte ge-
sessen und hat fast andächtig den Sonnen-
untergang am Großglockner beobachtet.
Ein faszinierendes Farbspiel, wenn das
leuchtende Gelb in ein zartes Rosa über-
geht, um allmählich in einem samtenen
Violett zu erlöschen. Die Matreier sagten:
„Wenn der Franz nicht mehr auf den
Zunig gehen kann, lebt er nicht mehr
lange.“ Sie hatten recht.
Nach Vaters Tod erfüllte der Alpenver-
ein noch einen seiner Wünsche. Anläßlich
des Jubiläums zum 100jährigen Bestehen
der Sektion Matrei errichtete er einen Weg
vom Zunigsee zum Kleinen Zunig
(2.448 m), der dem Vater zu Ehren Franz-
Steiner-Weg benannt wurde. Im Juli
1979 feierte Dekan Eduard Außerdorfer
mit 250 Bergfreunden eine Gipfelmesse
und segnete den neuen Weg.
Den 80. Geburtstag konnte der Vater noch
als rüstiger Jubilar im Kreise der Familie
und seiner Freunde feiern. Nur 5 Monate
später – er war nach einer Gallenoperation
bereits auf dem Wege der Besserung –
beendete ein Kreislaufzusammenbruch am
11. April 1973 sein erfülltes Leben.
Hofrat Weingartner sagte am Grabe:
„Achtung vor Tiroler Eigenart und alter
Baukultur bestimmten das Schaffen Ar-
chitekt Steiners. Er glaubte an die Mög-
lichkeit der Weiterentwicklung der alten
Hausformen und sein großes fachliches
Können hat dies auch in unzähligen Fällen
bewiesen. Er besaß in außerordentlichem
Maße das Vertrauen der bäuerlichen Be-
völkerung. Neben seinem Können zeich-
nete ihn eine besondere menschliche Güte
aus, beides zusammen verlieh ihm eine
seltene Überzeugungskraft.“
Bgm. Andreas Brugger schrieb im
Nachruf: „Unsere Freundschaft war nicht
nur einer jahrzehntelangen beruflich be-
dingten Zusammenarbeit zu danken, son-
dern in erster Linie Steiners menschlicher
Qualität. Sie wurde während meiner lan-
gen Bürgermeisterzeit noch vertieft. Wie
oft war ich bei ihm zu Gast, um die ver-
schiedensten Probleme unserer Gemeinde,
meine Sorgen, Pläne, ungezählte leidige,
manchmal auch freudige Angelegenheiten
zu unterbreiten. Franz wußte fast immer
einen Rat und wenn nicht, so war nach ei-
ner Aussprache mit ihm manches leichter,
konnte man manches schwierige Problem
auch von einer anderen Seite beurteilen …
Steiner hat das Baubild Osttirols durch
mehr als ein Vierteljahrhundert weitge-
hend mitgeprägt. Eine besonders glückli-
che Hand hatte er bei der Weiterentwick-
lung von Bauernstuben. Beispiele in Ost-
tirol und auch in Südtirol geben davon
Zeugnis – Franz Steiner war der Architekt
und zugleich der Freund und Helfer der
Kleinen.“
Die privaten Fotos stellte Frau Anni
Eichhorner zur Verfügung.
O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
66. Jahrgang –– Nummer 11
IMPRESSUM DER OHBL.:
Redaktion: Univ.-Doz. Dr. Meinrad Pizzi-
nini. Für den Inhalt der Beiträge sind die Au-
toren verantwortlich.
Anschrift der Autorin dieser Nummer:
Anni Eichhorner, A-9900 Leisach, Gries 18.
Manuskripte für die „Osttiroler Heimat-
blätter“ sind einzusenden an die Redaktion
des „Osttiroler Bote“ oder an Dr. Meinrad Pi-
zzinini, A-6176 Völs, Albertistraße 2a.
Anna Köll gratuliert ihrem Bruder zum 80. Ge-
burtstag.
Einige der 13 Enkelkinder zu Besuch bei den Groß-
eltern in Matrei.