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Nummer 12 –– 66. Jahrgang
O s t t i r o l e r H e i m a t b l ä t t e r
de Kontrolle aller Lebensverhältnisse
auch
im
Kronland
Tirol.
Vor
allem die Überwachung der studen-
tischen Jugend im Umfeld der Innsbrucker
Universität hatte geradezu groteske Züge
angenommen, wodurch die Polizei die
Entstehung burschenschaftlicher Verbin-
dungen und politischer Vereine wirkungs-
voll unterband.
In seinem geistlichen Stand erkannte P.
Beda zwar enthusiastisch die wachsende
Rolle der katholischen Kirche als neue Le-
bensmacht. Sie schien ihm jene gesell-
schaftliche und transzendentale Kraft, die
allein in der Lage war, die auseinanderstre-
benden Zeittendenzen zu bündeln und zu in-
tegrieren. An dieser Überzeugung wach-
sender Zentralität der Kirche in der aufstei-
genden Moderne hielt Beda während
seines ganzen Lebens unverbrüchlich
fest. Zugleich aber war der junge Geistliche
enttäuscht von der Lebensführung vieler
Mitgeistlicher, geradezu angewidert vom
Geist des Schlendrian und der Ziellosigkeit
in seiner klösterlichen Gemeinschaft, er
blickte mit Verachtung auf die geringe Vi-
sionskraft der geistlichen Führung, die er in
schmerzlichem Gegensatz erfuhr zum eige-
nen, hochfahrenden Temperament, zu den
eigenen seherischen Qualitäten, zur eige-
nen stupenden, aber auch zügellosen Bega-
bung.
An seinem Konvent Marienberg galt
manchen Mitbrüdern,
„den dick köpfigen
Knödelfressern ohne Geschick undAnmut“,
seine Verachtung, er verwarf die fehlende
„Bewältigung dessen, was die Welt aus-
macht“; und bemerkte bitter:
„daher
schaut man noch immer auf mich und bin
(in deren Augen) doch ein Kind des Teu-
fels.“
(An Schuler, 24. 1. 1842)
Der ständige Konflikt zwischen Konvent
und seinem hochtalentierten Mitbruder
war durch diese Positionen vorprogram-
miert, gefördert durch das wohltemperierte
Mittelmaß auf der Seite der Mehrheit, die
sich rieb an der exzentrischen, gewiß auch
arroganten Art des gelehrten, hochpoeti-
schen und weitgerühmten Mitbruders. In
Bedas Charakter und politischem Profil tra-
fen in merkwürdiger Weise sehr unter-
schiedliche Komponenten zusammen.
Zum einen ein unbändiger Freiheitsdrang,
die Lust an autonomer Lebensgestaltung. In
dieser Hinsicht traf er sich mit den wenigen
Vertretern des politischen Fortschritts in
Tirol, die seit 1830 zunehmend enger an-
einanderrückten. Die entschiedenen Frei-
heitswünsche, die in scharfem Gegensatz
standen zu den drückenden politischen Ver-
hältnissen Tirols, verbanden Beda Weber
und die beinahe gleichaltrigen Freunde wie
Johann Schuler oder Joseph Streiter. Be-
sonders am letztgenannten, dem bekannten
Bozner Rechtsanwalt und späteren Bürger-
meister, hing Weber mit großer Zuneigung,
die erst in den 1840er Jahren in eine Hal-
tung schroffer Ablehnung umschlug.
Was die Freunde schließlich trennte, war
Webers unbeirrbares Festhalten an der
Führungsrolle der katholischen Kirche, der
er auch im politischen Leben Tirols, Öster-
reichs und Deutschlands eine zentrale, prä-
gende Kraft zuwies. Der politische
Führungsanspruch der Kirche hatte sich in
Tirol seit 1838 immer deutlicher herauskri-
stallisiert und führte zu einer Herausbildung
politischer Lager. Zwei Ereignisse markier-
ten die Entstehung eines scharf konturierten
politischen Katholizismus: die Auswei-
sung der Zillertaler Protestanten und die
Wiedereinführung der Jesuiten in Tirol.
1837 hatte Kaiser Ferdinand auf Veran-
lassung des Tiroler Landtages eine kleine
Gruppe von Kryptoprotestanten aus dem
Zillertal, wo die Familien seit langem an-
sässig waren, ausweisen lassen. Dieser Be-
schluß, der darauf abzielte, die Glaubens-
einheit Tirols unter allen Umständen zu
wahren, erregte in ganz Europa größtes Auf-
sehen. Perfide war vor allem die Begrün-
dung des Entscheids. Nach der deutschen
Bundesakte, dem Grundgesetz des Deut-
schen Bundes, genossen Protestanten und
Katholiken auf dem gesamten Bundesgebiet
Freizügigkeit und Niederlassungsfreiheit.
In Tirol verwies der Landtag jedoch darauf,
die Ausgewiesenen seien keine authenti-
schen „Lutherischen“, sondern nur Kryp-
toprotestanten („Inklinanten“) und stünden
daher außerhalb des Rechtes der Deutschen
Bundesakte.
Ähnliches Aufsehen erregte die Wieder-
einführung der Jesuiten, die als Inbegriff der
Reaktion galten, womit man ihnen gewiß
auch Unrecht tat. Beide Ereignisse teilten
die politisch bewußten Tiroler erstmalig in
zwei scharfe Lager, wobei sich Beda Weber
abrupt von seinen bisherigen Gesin-
nungsgenossen, seinen langjährigen
Freunden Schuler undStreiter, abkehrte. Für
die jüngere Generation der liberalen
„Jungtiroler“ schließlich, die freisinnigen
Hermann von Gilm, Johann Senn oder
Magnus Beyrer gehörte der nun über
40jährige Weber bereits zum alten Eisen.
Am Vorabend der Revolution 1848 stand
Weber also bereits beinahe im Lager der
Konservativen oder noch besser: Er saß
zwischen sämtlichen Stühlen, da seinem
überschäumenden Temperament und seinem
unorthodoxen Mystizismus auch die ver-
zopften Konservativen und die jungen Ul-
tramontanen, die Tirol zum Gottesstaat in
den Alpen bauen wollten, nicht unbedingt
nahestanden. Beda war zur Zeit der Märzre-
volution 1848 ein geachteter, bewunderter,
wohl auch belächelter Einzelgänger.
Der Frühlingssturm der Freiheit erfüllte
freilich auch den bald 50jährigen
nochmals mit großer Begeisterung. Dem
Freudentaumel über die Märzereignisse
konnten sich nur wenige Gebildete, aber
auch ein Großteil der übrigen Bevölkerung,
vor allem der Handwerker undArbeiter kaum
entziehen. Der Sturz des Staatskanzlers
Metternich, die sofort gewährte Presse- und
Versammlungsfreiheit, die Aussicht auf ei-
ne Verfassung kamen nach Jahrzehnten po-
lizeistaatlicher Käseglocke als unerwartetes
Geschenk.
Auch das katholische Lager reagierte
nach anfänglichem Zögern entschlossen
und zielte darauf, die neuen Verhältnisse
mitzugestalten. Die neue Freiheit konnte
auch der Kirche zugutekommen und sie aus
der Bevormundung des Staates lösen. Als
Prüfstein der Katholiken Tirols erwiesen
sich alsbald schon die Wahlen zur verfas-
sungsgebenden Versammlung des Deut-
schen Bundes, zur Frankfurter Nationalver-
sammlung.
Nach anfänglichem Zögern entschlossen
sich die führenden Männer der Amtskirche
Deutschtirols rasch dazu, das Risiko einer
Kandidatur zu wagen. Der kleinen Minder-
BedaWeber,
Stadtpfarrer
von Frank furt
am Main in
den
Jahren 1849
bis 1858, und
Domherr zu
Limburg in
geistlichem
Gewand;
Stich von
I. Eisenhardt
nach einer
Daguer-
reotypie von
Schäfer,
1850/55.
Reproduk -
tion:
Seitz-Gray ,
Frank furt
a.M.
(Historisches
Museum
Frank furt am
Main)