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Os t t i r o l e r He i m a t b l ä t t e r
66. Jahrgang –– Nummer 12
sachlogisch und rational zu argumentieren
hat, daß sie ihre Entscheidungen gegenüber
Bürgerinnen und Bürgern begründen muß.
Ein Blick in die islamische Welt zeigt die
verhängnisvolle Verkettung von Religion
und Politik und belegt in greller Schärfe,
welch mörderische Irrgänge die fundamen-
talistische Verquickung beider Sphären her-
aufbeschwört.
Diese grundlegenden Anmerkungen sol-
len an einen Mann heranführen, dessen Per-
sönlichkeit Ihnen bereits in seiner
menschlichen, geistlichen und kulturge-
schichtlichen Dimension von meinen
Vorrednern vermittelt wurde. Für den Bene-
diktiner Beda Weber war die Trennung der
Sphären noch kein Thema, er hat in be-
merkenswerter Weise beide Seiten in seiner
Person vereint und kann damit als einer der
Väter des politischen Katholizismus in Ti-
rol gelten.
Meine kurze Vorbemerkung verweist auf
den für Weber selbstverständlichen Zusam-
menhang zwischen geistlichem Stand und
Politik. Die Gründe für die enge Verbindung
zeigen sich einerseits im Blick auf seinen
Lebensweg, vor allem aber durch die
Schilderung des historischen Rahmens, in
dem sich Weber als politisch Spätberufener
profilieren konnte.
Der junge Weber war in einem Staat und
einem Kronland aufgewachsen, in dem Po-
litik, in dem die politische Partizipation der
Bürger offiziell verpönt waren. Der Metter-
nich-Staat überwachte seit 1820, ver-
schärft seit 1830, mit Argusaugen die poli-
tischen Regungen seiner Untertanen. Hier-
zu diente ein Parteien- und Vereinsverbot,
eine strikte Kontrolle der Öffentlichkeit, ei-
ne strenge, erst allmählich gelockerte
Zensur und vor allem die Blockade einer par-
lamentarischen Öffentlichkeit. Anders als
in Süddeutschland gab es in Österreich kei-
ne Generalrepräsentation seiner Bürger in
Form eines Parlaments, sondern nur Land-
tage, die in ihren Kompetenzen stark ein-
geschränkt waren. Eine selbstverständliche
Ablehnung des bürgerlichen Anspruchs auf
Mitregierung durchzog Regierung und hohe
Bürokratie, die in einem straffen Verwal-
tungs- und Rechtsstaat die einzige Herr-
schaftsform erblickten, die den komplexen
Verhältnissen der Vielvölkermonarchie
gerecht werden konnte. Wohlgemerkt – das
vormärzliche Österreich war kein totalitärer
Staat, nicht von ungefähr hatte Kaiser
Franz I. sich das Motto „justititia funda-
mentum regnorum“ erwählt – das Gesetz ist
die Grundlage der Regenten.
Auch die Kirche war in diesem System
monarchischer Herrschaft den Bedürfnissen
des Staates untergeordnet. Zutiefst ge-
schwächt von den Umwälzungen der napo-
leonischen Ära hatte die katholische Kirche
auch in Österreich das 19. Jahrhundert be-
gonnen, und die Säkularisation der geistli-
chen Fürstentümer im Alten Reich hatte sie
1803 jeder weltlichen Macht beraubt. Der
Metternich-Staat des österreichischen
Vormärz betrachtete die Kirche als ihm un-
bedingt untergeordnete gesellschaftliche
Kraft,
er
kontrollierte
ihre
öffentlichen Kundmachungen und die
seelsorgliche Tätigkeit, er überwachte den
Verkehr der Diözesen untereinander und
griff in ihren Kontakt mit Rom ein.
Zugleich aber trug die Begrenzung der
Kirche auf ihre geistliche und seelsorgliche
Grundfunktion maßgeblich dazu bei, ihre
Glaubwürdigkeit und Zugkraft zu stärken.
Die Führung der katholischen Kirche verlor
nach der Aufhebung der Domkapitel und
nach großen Vermögensverlusten ihre
bisherige Nebenfunktion als Reservat des
Adels. Noch Ende des 18. Jhs. waren die
Domkapitel Bastionen der regionalen
Adelsgeschlechter, Orte der Plazierung
weichender Erben, die – auf sichere Jahres-
einkünfte gestützt – in guter Versorgung
ein standesgemäßes Leben führten. Nach
der Säkularisierung verbürgerlichte die
Kirche zusehends: Auch wer ohne Adelstitel
war, hatte nunmehr Chancen zum Aufstieg
in die kirchliche Hierarchie. Tirol ist hier-
für ein gutes Beispiel: In Brixen folgten
nach den drei gräflichen Bischöfen aus dem
Hause Spaur (1747-1791) und dem milden
Karl Franz Graf von Lodron 1828 Fürstbi-
schof BernhardGalura auf den Stuhl des Hl.
Kassian. Galura war der Sohn eines Gast-
wirts aus dem badischen Herbolzheim –
sein eigentlicher Herkunftsname lautete
„Katzenschwanz“.
Um 1830 strömte eine Schar junger Geist-
licher aus den erneuerten Seminarien in die
Seelsorge, vielfach durchdrungen von der
beinahe missionarischen Absicht, die
Menschen in eine vertiefte Glaubensdi-
mension zu führen: In den dreißiger
Jahren etwa verdoppelte sich die Zahl der
Brixner Theologiestudenten im Vergleich
zur Situation noch um 1820. Für den Staat
war diese verjüngte, zunehmend dynami-
sierte Kirche eine außerordentliche Heraus-
forderung. Einerseits brauchte er die kirch-
liche Mitwirkung als Stütze seiner Herr-
schaft, sie hielt die Gläubigen – ganz profan
gesprochen – bei der Stange, sie sorgte für
Ordnung und Stabilität im sozialen Leben.
Andererseits aber spürte die Bürokratie, daß
auch die kirchliche Seite die ihr zugemuteten
Bevormundungen immer schwerer ertrug,
daß sie sie als Belastung wahrnahm.
Rückblickend betrachtet, nimmt sich die
Figur von Beda Weber wie ein Seismograph
aus, der auf die untergründigen Beben seines
Zeitalters in großer Intensität reagierte. Der
junge Beda hatte früh gelernt, der eigenen
Kraft zu vertrauen. Seine handwerkliche
Grundausbildung hatte ihn mit Lebensfor-
men und Anschauungen bekannt gemacht,
die die wohlgesetzte Ordnung des geistli-
chen Lebens deutlich überschritten. Auf-
grund dieses Moratoriums hielt er zeitle-
bens Abstand zur kirchlichen Hierarchie, es
bewahrte ihn vor Unterwürfigkeit und
„Kopfhängerei“ – wie man damals sagte.
Sein geistlicher Stand und dessen macht-
geschützte Innerlichkeit hielten ihn nicht
davon ab, die vormärzlichen Verhältnisse
Tirols in schmerzlicher Deutlichkeit
wahrzunehmen. Mit Ingrimm registrierte
der junge Beda seit den zwanziger Jahren
wie viele seiner Zeitgenossen die gängeln-
Die Paulsk irche in Frank furt am Main,
wo 1848/1849 die Deutsche National-
v ersammlung tagte, in einem zeit-
genössischen Holzstich.
Blick in das Innere der Paulsk irche zur Zeit der Nationalv ersammlung; zeitgenössi-
scher Holzstich.