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Os t t i r o l e r He i m a t b l ä t t e r
66. Jahrgang –– Nummer 12
heit der Liberalen sollte nicht das Feld über-
lassen werden, so daß in den elf Wahlkrei-
sen von Deutschtirol undVorarlberg überall
Bewerber antraten, die das kirchliche
Wohlwollen genossen. Die Wahl zur
Frankfurter Nationalversammlung vom
Mai 1848 war der erste halbwegs demokra-
tische Wahlakt im Deutschen Bund und in
Österreich, bis auf Dienstboten und Un-
selbständige war ein Großteil der erwach-
senen Männer wahlberechtigt, die Wahl-
beteiligung betrug – auf den Deutschen
Bund bezogen – rund 60 %. Österreich und
Tirol erlebten bis ins 20. Jh. hinein nie
mehr einen so machtvollen partizipatori-
schen Schub. Die Wahl war indirekt, Ur-
wähler wählten zunächst Wahlmänner, etwa
70-100 pro Wahlkreis, diese bestellten
dann den Abgeordneten in die Paulskirche.
Beda Weber hatte, wie nicht wenige sei-
ner geistlichen Mitbrüder, die Märzereig-
nisse begrüßt und sie auch dichterisch ge-
feiert, etwa im Gedicht „Auferstehung“:
Dumpfe Gräben aufgetan,
und gesprengt die Särge,
stimmet Freiheitslieder an,
grüßt die alten Berge!
Zugleich mit dem Freiheitsgruß folgte
sofort die Absage an jeden Radikalismus:
Alte Lieb’ und feste Treu’
soll uns niemand mindern,
Auferstanden sind wir frei,
Bleib’ es unsern Kindern.
Beda war die Kandidatur zur Paulskirche
recht unvermutet zugefallen, auf einem
Osterausflug in Welschtirol erreichte ihn in
Riva die Botschaft des Meraner Bürgermei-
sters, die Burggräfler wünschten ihn als
Kandidaten. Der Bischof von Trient, der
milde, inzwischen seliggesprochene Jo-
hann Nepomuk Tschiderer, bei dem er auf
der Rückreise zukehrte, drängte Beda
gleichfalls zum Einstieg in die Politik. We-
ber, dem seit Jahren ein Wechsel aus den
beengten Verhältnissen in Meran-Marien-
berg vorschwebte, nahm begeistert an.
„Meine Grundsätze sind bekannt“,
schrieb er am 23. April an Merans Bürger-
meister Haller,
„stets für Österreich, Tirol
und alle wünschenswerten Verbesserungen
in unserem Staats- und Kirchenhaushalte.“
In Windeseile war ein Wahlprogramm
verfaßt, mit dem Kandidat Beda im Wahl-
kreis Meran gegen einen prominenten
Konkurrenten, den jungen Kurarzt Dr.
Franz Tappeiner, später großer Förderer der
Kurstadt, antrat. Darin zeigte der bislang
eher schöngeistige Weber großes Ver-
ständnis für die unmittelbaren Anliegen der
Landbevölkerung, etwa in folgenden
Punkten: Zollerleichterungen, die den
Weinbauern unmittelbar am Herzen lagen,
Niederlassungs- und Gewerbebeschrän-
kungen und die Senkung der Verbrauch-
steuern bildeten eine handfeste Thematik.
In nationaler Hinsicht erblickte der katho-
lische Kandidat einen mächtigen deutschen
Bundestag mit starken föderativen Ele-
menten zugunsten der Länder. Der kirchli-
che Aspekt kam natürlich nicht zu kurz:
„Insbesonders sindwir nicht gesonnen in
Religions- und Kirchenangelegenheiten
von Jemand andern Räte und Befehle anzu-
nehmen, als von unsern ordentlichen
Bischöfen, von Pius dem neunten und seinen
rechtmäßigen Nachfolgern. Tirol ist ein
ganz katholisches Land und will es blei-
ben.“
Dank seiner Bekanntheit, aber auch dank
seiner politisch konformen Linie erlebte
Weber einen triumphalen Durchmarsch in
der Wählergunst und sicherte sich 72 von 90
Wahlmännerstimmen. Dieses respektable
Resultat entsprach jenem anderer konserva-
tiver Kandidaten, in fünf der elf Tirol-Vor-
arlberger Wahlkreise setzten sich Geistliche
durch, darunter künftige Spitzenmänner der
Hierarchie wie Alois Flir, später Rektor der
Anima in Rom oder Vinzenz Gasser, seit
1857 Fürstbischof von Brixen.
Nach dem Wahlgang vom 8. Mai reisten
Weber und die übrigen Parlamentarier um-
gehend nach Frankfurt, wo die National-
versammlung schon am 18. Mai zusam-
mentrat. Die alte Kaiserstadt schien dem
ambitionierten Weber endlich eine pas-
sende Wirkungsstätte zu sein:
„Das Leben ist wahrhaft großartig, die
merkwürdigsten Leute sind beisammen, und
man kann prachtvolle Bekanntschaften
machen,“
berichtete er am 20. Mai.
Die Abgeordneten zur Paulskirche, stän-
dig etwa 400-450 Mitglieder, standen vor
der Herausforderung, die Verfassung eines
deutschen Nationalstaates unter Einfluß
Österreichs zu entwerfen; dem großen Ziel
der „Einheit undFreiheit“ widmeten sie sich
in ausführlichen Plenardebatten und Aus-
schußsitzungen. Mochte das bereits von
Zeitgenossen, ja selbst von Weber ver-
spottete „Professorenparlament“ auch in
zahlreiche Fraktionen zerfallen und vielen
Beobachtern ein Bild heilloser Uneinigkeit
bieten, so ist das Ergebnis seiner
Bemühungen trotzdem respektabel. Die
Reichsverfassung vom 28. März 1849
konnte zwar gegen die aufstrebende Reak-
tion nicht mehr durchgesetzt werden, sie
diente jedoch fortan als fester Bezugspunkt
liberaler und nationaler Politik. Dies galt
besonders für den bereits am 27. Dezember
1848 verabschiedeten Katalog von Grund-
rechten, der über die Weimarer Verfassung
bis zum Bonner Grundgesetz wegweisend
blieb.
Vorrangiges Ziel der katholisch-konser-
vativen Abgeordneten aus dem deutsch-
sprachigen Landesteil war der Erhalt der re-
ligiösen Sonderstellung Tirols. Die Arbeit
an der Reichsverfassung, die Auseinander-
setzungen um eine dauerhafte Legitimation
der Nationalversammlung, das Bemühen um
eine von den Einzelterritorien des Bundes
unabhängige Regierung berührte die kon-
servativen Deutschtiroler nur in zweiter Li-
nie. Dies galt auch für Beda, der nach sei-
nem anfänglichen Enthusiasmus alsbald
vom parlamentarischen Betrieb und den
heftigen Auseinandersetzungen unange-
nehm berührt, ja sogar schockiert war. Dem
ästethisch sensiblen Weber war es
zunächst „
überaus schmerzlich, ein so brül-
lendes, unanständiges, rasendes Parla-
ment stundenlang ertragen zumüssen“
, Au-
g’ in Aug’ mit den Linken, die ihm rein
vom Aussehen her schon wie Räuber vor-
kamen.
Alsbald aber begann sich Weber im Par-
lament wohl zu fühlen, er griff häufig in die
Debatten ein und verblieb bis zum März
1849 in der Paulskirche, länger als die mei-
sten seiner Deutschtiroler Kollegen, die
froh waren, wieder ins ruhige Tirol zurück-
zukehren.
In den Debatten und Auseinandersetzun-
gen im kleinen Kreis, im Gespräch mit
seinen oft hochgebildeten und anregenden
Kollegen, verfestigte sich seine politische
Grundposition, die durch folgende vier Leit-
prinzipien bestimmt blieb.
1. Weber glaubte an die führende Rolle der
katholischen Kirche beim Aufbau eines
deutschen Nationalstaates. Der ge-
schichtskundige,
mittelaltersüchtige
Weber war vom Glaube an die katholi-
sche Mission durchdrungen, die Kirche
Petri sollte die Eck- und Tragpfeiler des
„deutschen Domes“ bilden. In diesem
Glauben an die Führungsaufgabe des Ka-
tholizismus fand er sich mit vielen deut-
schen Kollegen einig, vor allemmit dem
rheinischen und westfälischen Klerus.
Aus diesen Gründen hatte er auch die Re-
volution begrüßt, war sie es doch gewe-
sen, die auch die Kirche von staatlicher
Vormundschaft freigesetzt hatte. Im
Rückblick auf den Vormärz bemerkte We-
ber, damals sei der katholischen Kirche
zwar ein Friede gegönnt gewesen, aller-
dings ein fauler Friede,
„dessen zweideu-
tige Vorteile aber weit überwogen wurden
von der Feigheit der Geister, die sich um
dieses Friedens willen aberÜbergriffe ge-
fallen ließen und bemüht waren, selbst
die Bischöfe zu Vollstreckern dieser Hal-
tung zu machen“.
2. Weber erblickte Österreichs Aufgabe
darin, den Katholizismus in Deutschland
zu stärken und als Vormacht den Prote-
stantismus in die Schranken zu weisen.
Das größere Österreich sollte den deut-
schen Horizont offen halten und seine
universalen und europäischen Dimensio-
nen garantieren. Dies sollte Österreichs
Grabdenkmal BedaWebers am Frank fur-
ter Hauptfriedhof.
Foto: Elmar Oberkofler, Alteglofs-
heim/ Regensburg