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OSTTIROLER
NUMMER 11/2012
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HEIMATBLÄTTER
einem „winterlehnigen“ Hang. Dieser be-
kommt im Herbst (auch im Frühjahr) erst
spät das Sonnenlicht wie in der „Wirts
Wetschete“ außerhalb des Fretzgrabens
und unterhalb des Weges ins Außeregg.
Der Bereich der „Wirts Wetschete“ mit
Schupfe hat dem Straßenbau weichen
müssen.
Durch den steten Wechsel von Feuch-
tigkeit durch Tau (auch Regen) und dem
Abtrocknen bei Sonne vollzieht sich ein
Gärungsprozess, der dann beim Brecheln
das Trennen der Flachsfaser vom Holzan-
teil der Pflanze erst ermöglicht. Der Flachs
hatte durch das lange Liegen ein asch-
graues Aussehen bekommen.
Nach dem Einsammeln der Flachsscha-
beln (größere Bündel) warteten diese in
der Dille (Scheune) auf das Brecheln. Das
musste vor dem Zuschneien erfolgen,
unter Umständen im nächsten Jahr.
Das Brecheln
Im Defereggen gab es keine Badstuben,
die auch als Flachsrösten verwendet wer-
den konnten, also erfand man das „Bre-
chelloch“.
Das ist eine Grube, etwa 2 m lang, 1 m
breit, 2 m tief und mit Trockenmauerwerk
vor dem Einsturz gesichert.
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Es wird Ende Oktober gewesen sein, als
Mama, die Tante Christl und ich zum „Jag-
ler Stallele“ kamen – zehn Minuten am
Berg oben; es brannte schon das Feuer in
der Grube. Die Flachsbündel, die Brechel,
Holz und Leiter hatte der Vater am Vortag
mit der Kraxe hinaufgetragen. Auf der
Grube lagen dünne Holzstangen als Rost.
Mit dem Auflegen des Flachses musste
noch gewartet werden, bis ein glühendes
Kohlebett entstanden war, das keine
Flamme mehr erzeugte. Dann breitete
Vater das Brechelgut auf den Rost und gab
acht, dass es nicht Feuer fing. Sobald mit
dem Rösten die Feuchtigkeit verdampft
war, übernahm die Tante den Flachs und
Mama trennte dann mit Hilfe der Brechel
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(Abb. 5) die Hoarfasern von den verholz-
ten Flachsstengeln.
Zu Hause folgte in den nächten Tagen
ohne Zeitdruck das Hacheln. (Abb. 6)
Diese Arbeit entfilzte die Flachssträhne,
sonderte die letzten Holzreste aus und
legte die Flachsfasern parallel. Sie wurden
zu schönen Zöpfen geflochten und im
Laufe des Winters versponnen. Meine
Abb. 4: Flachs-
riffel zum Abreißen
der Samenkapsel am
Flachsstängel, Auf-
nahme von 1971.
Fotos: Hans Kurzthaler
Abb. 5: Flachs-
brechel zum Ausbrechen
bzw. Trennen der
Flachsfaser vom ver-
holzten Stängel nach
dem Rösten, 1956.
Abb. 6: Hachel zum Parallellegen der Flachsfasern, 1965.
Foto: Hans Kurzthaler
Mutter saß viele, viele Stunden am Spinn-
rad, bei Flachs wie auch Wolle. (Abb. 8)
Auch das Werg, Abfall beim Hacheln,
ergab einen Faden. Verwendete man ihn
beim Weben als Eintrag (Faden in der
Webspule), entstand das Rupfentuch, das
sehr gejuckt hat.
Für den Weber wurde von der Spinnrad-
spule oder vom Haspel der Faden auf die
längere Webspule übertragen. (Abb. 7)
Die Endprodukte
Den Großteil der „Ernte“ ließ Mutter
vom Weber zu Bettlaken verarbeiten. Ich
erinnere mich nicht, wie er hieß und wo er
wohnte. Ein kleiner Rest deckte den
Eigenbedarf, wie erwähnt, und geschickte
Bauersleute erzeugten auch Stricke.
(Abb. 9) Ich denke an den alten Gatterer –
er hieß Ander –, dem ich zugeschaut habe.
Die langen Tuchbahnen legten die Eltern,
wie vorher den Flachs, in der Wetschete
zum Bleichen aus. Das Mondlicht ersetzte
die Bleichmittel! In regelmäßigen Abstän-
den musste „genetzt“ werden. Tat es nicht
der Regen, war Wasserschleppen mit Gieß-
kanne und Eimer aus dem Fretzgraben an-
gesagt. Da schmerzten die Arme!