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Ein heute besonders hoch im Kurs ste-
hendes Lebensmittel, die Kartoffel, ge-
langt erst um die Mitte des 16. Jahrhun-
derts aus Amerika nach Europa. In der
Lienzer Gegend ist sie allerdings erst um
1775 bekannt und in Verwendung, wobei
Deferegger Händler, die bekanntlich halb
Europa bereisten, die begehrte Feldfrucht
von ihren Handelsfahrten mitbrachten. –
Von Obst und zwar Äpfeln, Birnen, Kir-
schen, Zwetschken und Nüssen berichtet
Santonino selbst. Zweifellos sammelte die
Bevölkerung bereits Beeren – Heidelbee-
ren, Himbeeren, Erdbeeren, Johannesbee-
ren, Wacholderbeeren u. a. – und verwer-
tete sie in eingedickter, vielleicht Marme-
ladeform und zur Herstellung von Säften.
Zum Süßen stand wilder Honig oder aber
auch bereits solcher von gezüchteten Bie-
nenvölkern zur Verfügung.
Bleiben noch die Gewürze, von denen
Salz das allerwichtigste war. Im Herren-
und Bauernhaus zogen mit Fortdauer und
Ausweitung des Warenaustausches Kno-
blauch und Zwiebel, Zimt, Oregano,
Minze und Wacholder ein. Pfeffer (aus In-
dien) brachten bereits die Römer in die Al-
penprovinzen mit sich.
Domestizierte und wilde Tiere deckten
den Fleisch- und Fettbedarf. Federvieh und
Federwild, einst Vorzugsspeise der Vor-
nehmen wie das Brot, stand in unzähligen
Arten und zur willkommenen Abwechs-
lung auf dem Speisezettel. Milch- und Kä-
seprodukte waren Standard-Lebensmittel
für Adel, Ritter, Bürger und Bauer. Be-
merkenswert groß scheint bei Santoninos
Schilderungen der Anteil an Fischen; doch
standen Jagd und Fischerei immer unter
besonderer, wenn nicht ausschließlicher
Hoheit und Nutzung der Landes-
und/oder Grundherren, die als ,,fideocom-
missium“ = d. i. eine zeitlich begrenzte
Nutznießung an hochrangige Dienstleute
vergeben werden konnte. Dem einfachen
Manne vom Volke kam mehr die ver-
pflichtende Teilnahme an der Fang- und
Treibjagd, auch bei wilden Tieren (Wolf,
Luchs, Bär), und weniger ein fetter Hap-
pen aus der Jagdbeute zu. Hier zeigen sich
sehr deutliche, soziale Unterschiede (!).
Was trank das Volk? Vom natürlich be-
lassenen Wasser über Milch, diese aller-
dings in entrahmtem, entfetteten Zustand,
als Mager- oder Buttermilch; bis über
Obst- und Beerensäfte zum Bier. Weinge-
nuss war nicht des Volkes Begehr und
schon gar nicht seines wirtschaftlichen
Vermögens! Es gibt allerdings genug Be-
lege schriftlicher Art, dass trunkene Bür-
ger zur Ausnüchterung ins „Narrenhäusl“
(mitten in der Stadt) gesperrt oder in die
,,Keuchen“ gelegt wurden.
Kaffee und Tee tauchen erst viel später
(16./17. Jhdt.) in Europa auf und gelten als
Genussmittel. Bier, Wein, Brandwein,
Kaffee haben die Menschen überhaupt
verändert oder anders gesagt das gesell-
schaftliche Leben. Sie tun es auch heute
noch.
Von so manchem Zeitgenossen, der
Santoninos Reiseberichte gesehen hat,
kommt gelegentlich Kritik auf, wie auf-
wendig, ja verschwenderisch und mora-
lisch bedenklich im ausgehenden Mittel-
alter (auch hierorts) getafelt worden
wäre. Dem war jedoch ganz und gar nicht
so! Es wäre ein fataler Irrglaube annehmen
zu wollen, dass die geschilderten Ver-
hältnisse die Regel gewesen seien. Ein
Bischofsbesuch war seinerzeit etwas
ganz Außergewöhnliches und Seltenes,
dessen man sich nicht zuletzt durch die
allerbeste Aufwartung und Gastfreund-
schaft würdig erweisen wollte. Denn die
Ehre, die man dem Bischof und seinem
Gefolge angedeihen ließ, kehrte zu einem
selbst zurück.
* Gekürzte Fassung des Vortrages vom 29.
September 2000 als Veranstaltung im Rah-
menprogramm des Kulturreferates der
Stadt Lienz zur Landesausstellung auf
Schloß Bruck.
Anmerkungen:
1 Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Spra-
che. Band 3, Dudenverlag Mannheim 1999. S. 1133.
Brockhaus Enzyklopädie. Band 7; Brockhaus
Mannheim 1988. S. 16.
2 Vgl. einleitende Worte bei: Egger, Rudolf: Die Rei-
setagebücher des Paolo Santonino 1485-1487. Kla-
genfurt 1947. S. 5 bis 9.
3 Die Reisetagebücher des Paolo Santonino 1485-
1487. Übersetzt von Rudolf Egger, verlegt von Fer-
dinand Kleinmayr; Klagenfurt 1947.
4 Paolo Santonino Reisetagebücher 1485 bis 1487,
S. 15.
5 Grimm, Jacob und Wilhelm: Deutsches Wörterbuch,
Band 11. dtv 1991. S. 182. – Kapaun, m. für
Kastrat.
6 Paolo Santonino Reisetagebücher 1485 bis 1487,
S. 17 bis 19.
7, 8 Grimm, Jacob und Wilhelm: Deutsches Wörterbuch,
Bd.11/1991, S. 182 bzw. 2005.
9 Zit. bei: Drewes, Maria – Kostenzer, Otto: Tiroler
Küche. Innsbruck 1977. S. 178.
10, 11Grimm, Jacob und Wilhelm: Deutsches Wörterbuch,
Bd.12/1991, S. 281 bzw. 282.
12 Paolo Santonino Reisetagebücher 1485-1487, S.
23/24.
13 Paolo Santonino Reisetagebücher, S. 27.
14 Vgl. hiezu: Paolo Santonino Reisetagebücher,
S.35/ 36.
15 Vgl. hiezu bw. : Gürtler, Eleonore: Esskultur und
Tafelsitten, in: circa 1500, Katalog zur gleichnami-
gen Tiroler Landesausstellung 2000, 2000. S. 166 f.
16 Im Hofstaat von Paola de Gonzaga befand sich bw.
auch ein „aromaticus“, d. i. ein Kost- bzw. Gewürz-
abstimmer, ,,Gewürzmeister“. Es ist keineswegs
abwegig anzunehmen, dass Virgil von Graben über
einen vergleichbaren Bediensteten verfügt haben
könnte.
17 Grimm, Jacob und Wilhelm: Deutsches Wörterbuch.
Bd.11/1991, S. 1965 f.
18 Vgl. Heyne, M. : Deutsche Hausaltertümer.
19 Vgl. Paczensky, Gert von – Dünnebier, Anna: Kul-
turgeschichte des Essens und Trinkens, München
1994.
20 Paczensky, Gert von – Dünnebier, Anna: Kultur-
geschichte des Essens und Trinkens, München 1994,
S. 78/79.
21-25 Alle zit. bei Büchmann: Geflügelte Worte, Bd. 1 und
2, München 1967.
26 Paolo Santonino Reisetagebücher 1485-1487, S. 40.
27 Zur Lektüre grundsätzlich zu empfehlen: Bitsch,
Irmgard – Ehlert, Trude – Ertzdorff, Xenja von:
Essen und Trinken in Mittelalter und Neuzeit, Sig-
maringen 1990.
Kolmer, Lothar/Rohr, Christian (Hrsg.): Mahl und
Repräsentation. Der Kult ums Essen. Paderborn
2000.
Laurioux, Bruno: Tafelfreuden im Mittelalter,
Augsburg 1999.
Maier-Bruck, Franz: Vom Essen auf dem Lande,
Wien 1981.
Paczensky, Gert von – Dünnebier, Anna: Kulturge-
schichte des Essens und Trinkens, München 1994.
Montanari, Massimo: Der Hunger und der Überfluß.
Kulturgeschichte der Ernährung in Europa, München
1995.
28 Waechter, Nicolette: Nahrung und Heilmittel. Sieben
Getreideporträts, S. 9 f., in: Küster, Hansjörg-Nefz-
ger, Ulrich – Seidl, Hermann-Waechter, Nicolette:
Korn. Kulturgeschichte des Getreides. Salzburg-
München 1999.
Nummer 10-11 –– 68. Jahrgang
O s t t i r o l e r H e i m a t b l ä t t e r
Kanne, Schüssel, Becher und Korb mit Broten, Ausschnitt aus dem Freskenzyklus „Leib-
liche Werke der Barmherzigkeit“ des Leonhard von Brixen, 1458/1460, in der Pfarr-
kirche St. Jakob in Strassen.
Foto: Meinrad Pizzinini
IMPRESSUM DER OHBL.:
Redaktion: Univ.-Doz. Dr. Meinrad Pizzinini.
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