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O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
68. Jahrgang –– Nummer 10-11
Einrichtung ihr Volk ,,kaufen“ will.
,,Beim Letzten Abendmahl“ vor seinem
Tod nahm Jesus das Brot, brach es und
sprach zu seinen Jüngern: Nehmet, esset,
das ist mein Leib. Er war nicht der erste,
der Brot mit Göttlichem in Verbindung
brachte. Bei den Ägyptern und den Grie-
chen der Antike war es eine Göttin selbst,
Isis oder Demeter, die den Menschen bei-
brachte, Getreide anzubauen und daraus
Brot zu backen. … Bei den Sumerern
waren die Götter hungrig und überlegten,
wer sie ernähren könnte; also schufen sie
die Menschen. Als die nun frisch geschaf-
fen und noch etwas schwächlich auf der
Erde herumstanden, da päppelte die Erd-
mutter sie erst einmal mit Brot auf. Diesen
Göttinnen und Erdmüttern opferten die
Menschen Brot und Früchte; die Götter be-
vorzugten Fleisch als Opfergabe.
Viele Rituale bezogen und beziehen sich
auf Brot. In christlichen Ländern werden
an Kirchenfesten, besonders an Ostern, be-
stimmte Brotformen gebacken – griechi-
sches Osterbrot ist noch heute ein belieb-
tes Reisesouvenir. Das jüdische Osterbrot,
flache ungesäuerte Mazze, wiederholt eine
Entwicklungsstufe in der Geschichte des
Brotes. Denn vor dem“ (mit Hefe versetz-
ten, gebackenen) ,,Brot gab es Fladen aus
ungesäuertem Teig.
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,,Im Schweiße deines Angesichts sollst
du dein Brot essen“, steht bei Moses 3,19
zu lesen.
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,,An ihren Früchten sollt ihr sie
erkennen“,
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schreibt Matthäus (7,16).
Der 2. Brief an die Thessaloniker enthält
unter 3,10: ,,So jemand nicht will arbeiten,
der soll auch nicht essen“
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Aus G. E. Les-
sings Liedern (1,6) zitiert man ungenau
den „Schluß der Antwort eines trunknen
Dichters“: ,,Zu viel kann man wohl trin-
ken, Doch trinkt man nie genug.“
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Von
Ludwig Feuerbach stammt der Satz:
,,Der Mensch ist, was er ißt.“ (Erlangen,
1850). Diese These löste bei den Gegnern
des Materialismus verständlicherweise
einen Sturm der Entrüstung aus. Lange vor
Feuerbach hatte allerdings schon Theo-
phrastus Paracelsus denselben Gedanken
ausgesprochen, allerdings in ganz anderem
als materialistischen Sinne.
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Aber auch die schlichte Volksüberliefe-
rung weiß eine Vielzahl an Sprüchen und
Meinungen, aus denen der unmittelbare
Bezug zum Essen und Trinken hervorgeht.
Einige Beispiele: ,,Essen und Trinken hält
Leib und Seele zusammen“, ,,Essen und
Trinken ist das Beste gegen einen großen
Seelenschmerz“ – spüren wir vielleicht
einen Zusammenhang zum Ausspruch
,,sich einen Kummerspeck anessen“ her-
aus?!; ,,Die Liebe geht durch den
Magen“ oder ,,Wie einer ißt, so schaffet
er.“ – Aus all diesen Zitaten und geflügel-
ten Worten, denen man problemlos eine
ganze Reihe hinzufügen könnte, spricht
die große Bedeutung von Essen und Trin-
ken beim Volke. Diese entspricht nicht
einem billigen oder groben Materia-
lismus. Essen und Trinken sind nicht allein
eine Frage des Magens, sondern eine Le-
bensfrage. Dementsprechend werden
Ernsthaftigkeit und vor allem ein würdiger
Genuss verlangt. Wie weit hat sich unsere
moderne industrielle bzw. postindus-
trielle Gesellschaft davon entfernt?!
Essen begleitet Rechtshandlungen und
Gottesdienste. Bei Verlobung wurde
(wird) Apfel geteilt oder aber auch Brot.
Diese Zeremonie galt bei den Römern als
Verlobungsritus. In unseren Trinksitten
leben verborgen Bruderschafts- und
Freundschaftsriten
fort:
,,Bescheid
geben“ hält dies sprachlich noch fest. Im
christlichen Abendmahl entsteht durch ge-
meinsamen Genuss von Brot und Wein
eine geheimnisvolle innere Verbindung
von Christ zu Christ, von Mensch zu Gott.
Gott sich einzuverleiben, indem man ihn
isst, ist und war eine weitverbreitete Kult-
handlung. Bei den Azteken z. B.
herrschte ein ähnlicher Vorgang wie im
christlichen Kult, sodass die missionie-
renden Jesuiten daran anschließen konn-
ten.
Untrüglich bilde(te)n Essen und Trinken
im Festtag und Alltag eines der wichtig-
sten gemeinschaftsbildenden und ge-
meinschaftserhaltenden Brauchelemente.
Hausgemeinschaft z. B. vollzog/vollzieht
sich auch als alltägliche Tischgemein-
schaft. Dazu gehörten auch die Hausange-
stellten. Die Hausgemeinschaft bei Tisch
verlief/verläuft zeremoniell: wir kennen
eine Tafel-, Tisch- und Sitzordnung, auch
(noch) das Tischgebet. Wenn der Hausva-
ter den Löffel ablegte, war Schluss mit der
Mahlzeit. Noch heute gilt: Ein Gast des
Hauses muss etwas zu sich nehmen bzw.
essen, auch wenn er keinen Hun-
ger/Appetit hat; ansonsten wirkt sein Ver-
halten brüskierend, beleidigend. – Wie
viele Wünsche kennen wir heute noch zum
Essen Gebräuchlich sagen bzw. wünschen
wir heute noch zum Essen ,,guten Appe-
tit“, ,,Mahlzeit“ oder gar das als veraltet
empfundene ,,wohl zu Speisen“ bzw.
,,wohl gespeist zu haben“. Bedarf es noch
weiterer Hinweise auf die Bedeutung von
Essen und Trinken und die damit ursäch-
lich zusammenhängenden gemeinschafts-
bildenden Faktoren, dann sei nur noch an
folgende Phänomene erinnert: Jedermann
kennt den Hochzeitsschmaus, auch ist der
Totenschmaus noch in Übung, seltener das
Primizmahl. Erfreut nimmt man einen
Taufschmaus oder ein Erstkommunion-
mahl ein usw.
Für den Einzelnen bedeutet die Heimat-
kost eine wesentliche Bindung an seine
Heimat bzw. sein Herkunftsland. ,,Was der
Bauer nicht kennt, ißt er nicht.“ Diese
Volksweisheit trifft auf alle Berufsstände
zu. Essgewohnheiten und der an ihnen ge-
bildete Geschmack sind Teil unseres We-
sens, ob wir es nun zugeben oder nicht.
Essen und Trinken als Grundvorausset-
zungen menschlicher Existenz begegnen
uns in sehr vielen volkstümlichen Über-
lieferungen und Erzählungen, insbeson-
dere in Sagen und Märchen auf vielfältige
Weise. Fast jedes Zaubermärchen kennt
als Höhepunkt das festliche Essen oder ein
mehrere Tage anhaltendes Hochzeits-
mahl. An der Tafel überhaupt spielen sich
vielfach entscheidende Szenen ab.
Kehren wir nach dieser Abschweifung
noch einmal zu Paolo Santonino zurück:
Am 14. Oktober besucht er mit dem
Bischof und der ganzen Visitationsgesell-
schaft St. Chrysanthen. Hernach nehmen
sie im nächstgelegenen Nörsach eine
Mahlzeit unter freiem Himmel ein,
,,weil“,
wie der vornehme Herr Sekretär
argumentiert,
,,die Häuser niedrig und nur
für die Bauern hergerichtet sind. Doch
hatten wir gute Fische, herausgebacken in
der Pfanne und gesottene, desgleichen
Knödel aus Brot, das zuerst am Feuer
geröstet und dann in einer mit Öl versetz-
ten Tunke aufgeweicht worden ist, ferner
Kohl …“.
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Dieser entzückende, frühe schriftliche
Beleg über ein zauberhaftes Picknick in
Nörsach soll allerdings nicht über die all-
gemein beobachtbare Gleichgültigkeit
des Autors gegenüber den sogenannten
kleinen Leuten, sprich dem einfachen
Landvolk, hinwegtäuschen. Die Zeit der
Sensibilisierung für derlei Phänomene ist
noch nicht reif.
Zusammenfassend zu Paolo Santoninos
Reisebericht und zur Ernährungssituation
an der Schwelle vom Mittelalter zur Neu-
zeit allgemein und im besonderen in unse-
rem Lande ist festzuhalten:
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Land-, Feld- und Ackerbau sowie
Gras-, Vieh- und Milchwirtschaft waren so
weit entwickelt, dass die Versorgung der
Bevölkerung gewährleistet und die im Ein-
bzw. Zweijahresrhythmus erforderlichen
Aussaat- und Fruchtfolgen gesichert
waren. Man betrieb biologischen Landbau
im Wortsinne, der durch die Säkularisie-
rung verlorengegangen war und erst wie-
der durch die Anthroposophie eines Ru-
dolf Steiner aufgenommen und gefördert
wurde.
Der Landmann, so er über angemessene
Wirtschaftsflächen verfügte, fand durch-
wegs sein Auslangen und Fortkommen. In
mittleren und guten Lagen gediehen die
wichtigsten Brot- und Mehlgetreidearten:
Roggen, das ,,Kind des Gebirges“, wie es
poetisch ausgedrückt wird, Weizen, das
,,Getreide der Sonne“, Einkorn, Emmer,
Haiden = Buchweizen und Dinkel, Hafer,
der ,,Muntermacher“, Hirse, ,,eine Erinne-
rung ans Schlaraffenland“, die, so klein
und unscheinbar sie auch sein mag, nahezu
überall auf der Welt ihre Spuren hinterlas-
sen hat und hierorts im Görzer Urbar von
1300 als Getreidenart schriftlich belegt ist;
Mais, das ,,Korn der neuen Welt“, welches
aus Amerika in die Mittelmeerländer ge-
langte und bei uns durch die gewaltsamen
Expansionsunternehmungen, sprich Er-
oberungsfeldzüge des osmanischen Rei-
ches in mittleren Lagen als ,,Tirggischer
Weizen“ Fuß fasste und heimisch wurde;
schließlich Gerste, das ,,Getreide der Viel-
falt“, wie es Nicolette Waechter in einer
Publikation bezeichnet hat.
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Desgleichen schon lange bekannt und in
Gebrauch standen die sogenannten
,,Schmalsaatfrüchte“ wie die ,,Puff-“
oder ,,Saubohnen“, die ,,Schalen-Erbsen“
(Fisolen), der Leinsamen, neben Naturfa-
serlieferant auch als besondere Medizin
für Mensch und Tier in Verwendung, und
der Mohn, der hierzulande schon eher als
Genussmittel betrachtet wurde. Der Vita-
minbedarf wurde durch eine bunte Palette
an Kräutern und Gemüsen gedeckt,
wobei die Wasser- oder ,,Wadelrübe“ (Rü-
benkraut) und das Kohlkraut (Sauerkraut
oder ,,Zettelkraut“) die alleinigen ,,Win-
terlieferanten“ waren.