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O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
68. Jahrgang –– Nummer 10-11
brauch. Ebenso bekannt war die Zuberei-
tung und die Abstimmung der Gerichte auf
die lokalen Verhältnisse. Ein alt-überlie-
ferter Spruch in unserem Lande besagt
zwar:
,,Knödeln, Nocken, Nudeln, Plenten
sein die vier Tiroler Elementen“,
doch als Erfinder dieser, zugegebener-
weise für die Tiroler Bauernküche jahr-
hundertelang unverzichtbaren Gerichte
kann man unsere Altvorderen nicht be-
zeichnen. Der Knödel beispielsweise
könnte auf einen ,,Verwandten“ vor über
5.000 Jahren verweisen, als man in Pfahl-
bauten am Ledrosee schon sehr ähnliche
Kost verspeiste. Dass er schließlich im
18./19. Jahrhundert zur ,,Tiroler National-
speise“ mutierte, ist seiner geschmack-
lichen Verbesserung durch Zugabe von
(Selch-)Speck und Wurst und Selchfleisch
(Henkele), ja sogar Fisch, oder der sub-
stanziellen Geschmacksänderung durch
Hauptbestandteile wie Topfen und Käse
zuzuschreiben.
Endlich, am 8. Oktober, betritt die be-
rittene Visitationsgesellschaft heutigen
Osttiroler Boden, genau genommen die
Gegend von Lienz. In Tristach, wo der
Bischof in der Laurentiuskirche mehrere
Altäre weihte und an die 600 Erwachsene
und Kinder firmte, fiel das Mittagsmahl
zwar wesentlich bescheidener aus, dafür
werden wir aber über eine höchst interes-
sante, vermutlich lokalspezifische Gepflo-
genheit, d. i. eine praktische ,,Übung“ zu
gesundem Essverhalten, unterrichtet.
,,Es
nahm“,
das gemeinsame Essen nämlich,
,,seinen Anfang mit gesottenem Kuttelfleck
vom älteren Kalb.“
Kuttelflecksuppe be-
steht aus gereinigten, zwei bis drei Stun-
den lang gekochten ,,Wampm“ vom
Kalbs- oder auch Schweinsmagen, wobei
dem siedenden Wasser Wurzelwerk zuge-
geben ist. – Dieses
,,Gericht“,
schreibt
Tischgedeck
mit Tellern,
Messer,
Schüssel,
Karaffe und
Gläsern,
Ausschnitt
aus dem
Gemälde
„Das Letzte
Abend-
mahl“ eines
unbekann-
ten Meisters
aus der Zeit
gegen 1400
in der Vor-
halle der
Wallfahrts-
kirche von
Obermau-
ern.
Foto:
Meinrad
Pizzinini
Menschen,
die einen
Fleischspieß,
hart gekochte
Eier bzw. ein
weiches Ei
essen, Aus-
schnitt aus
dem Fresko
"Fastenmah-
nung" in Ver-
bindung mit
dem Me-
mento-mori-
Motiv. Das
Gemälde
eines nicht
mit Namen
bekannten
Künstlers
stammt aus
dem letzten
Viertel des
15. Jahrhun-
derts und be-
findet sich in
der Lienzer
Stadtpfarr-
kirche
St. Andrä.
Foto: Mein-
rad Pizzinini
m Ge-
00 in
zinini
Santonino weiter,
,,hat der Priester aus
Österreich, Michael, bestellt. Besagter Mi-
chael ließ als vorsichtiger Arzt uns nach
dieser Speise einen Schluck besten und un-
verfälschten“,
gemeint ist weder ver-
schnitten noch gewässert,
,,Rebolio trin-
ken, damit die Verdauung rascher erfolge.
Aufgetragen wurden an zweiter Stelle ge-
dünstete Kapaune und Kalbfleisch, an drit-
ter einige gebratene Hühner und Lende
vom Rind zugleich mit roher Zwiebel, den
die Deutschen gerne an Stelle einer
Kräutersoße essen. Zum vierten und letz-
ten kamen verschiedene andere Ge-
richte, …“
13
An dieser Stelle der Lektüre gewinnt
man beinahe den Eindruck, als sei Santo-
nino der ausführlichen Schilderung aller,
ach so üppigen und für seinen übersen-
siblen ,,Renaissance-Magen“ unzuträg-
lichen Speisen überdrüssig!
Auf den weihe- und gottesdienstlichen
Besuch der Kirchen in Amlach, Lavant und
Nußdorf, für welch letztere Schilderung
der Zeremonie und den Auftritt des Fürsten
Graf Leonhard von Görz, seiner Gemahlin
Paola und ihres Gefolges man den ge-
wandten und aufmerksamen Sekretarius
ehren muss, folgen zuletzt St. Martin in
Dölsach und die neue Burg Lengberg des
vornehmen Recken Virgil von Graben. In
Dölsach reicht man den Männern der Kir-
che ein Mahl von mehreren Gängen, dar-
unter ein, Herrn Santonino neues, unbe-
kanntes Gericht aus Mehlnudeln, welche in
Milch und fetter Suppe gekocht waren und
allen vorzüglich mundeten, weil sie von
herrlich duftendem, süßen Geschmack
waren. Diese Mehlnudeln, sehr wahr-
scheinlich aus feinem Weizenmehl zube-
reitet, sind hier als exquisite Mehlspeise
zum Nachtisch und nicht als Zuspeise oder
Beilage zu einem Hauptgericht zu verste-
hen. Am 13. Oktober ist Bischof Pietro mit
seinem Gefolge auf Schloß Lengberg zu
Gast. Hier ist der Höhepunkt aller lukulli-
schen ,,Anstrengung“ erreicht. Daher soll
unser bekannter Zeitzeuge ungeschminkt
zu Wort kommen:
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,,Nach der heiligen Zeremonie“
Bischof und Gefolge hatten sehr wohl vor
dem Gelage ihre Funktionen auszuüben
(Weihe der Burgkapelle) –
,,begannen wir
zu tafeln im schöneren und nobleren Spei-
sezimmer der Burg. Dort waren auf einem
besonderen Tische Gefäße und sehr viel
Zierat in vergoldetem Silber, und Becher
und Löffel, kostbare von verschiedenen
und wunderbaren Formen, ausgestellt, die
jedes Fürsten Tafel und Hausrat hätten
hervorragend schmücken können. … Der
treffliche Gastgeber ließ zuerst auftragen:
Kuttelfleck vom älteren Kalb, gut gerichtet
und mit Safran gewürzt; als zweiten Gang
gesottene Fische, nur Rutten, Äschen und
Forellen gemischt. Wir aßen von beiden
Gängen, ohne dass es einer Nötigung be-
durfte. Als dritte Speise kamen herein