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Festessen erscheint der Anteil an Fischen,
an Hoch- und Niederwild und Vogelvieh.
Wer weiß heute noch Ausführlicheres über
Kapaunen
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oder Krametsvögel
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?! Unter
ersteren sind kastrierte Hähne zu verstehen
– als Hähnchen im Verzehr heute noch
aktuell (!) – , zweitere sind Wacholder-
drosseln, deren Genuss einen besonderen
Gaumenkitzel verhieß. Der Verzehr von
Eichhörnchen schließlich ist denn doch
eher als sehr ausgefallener, einmaliger Le-
ckerbissen zu betrachten – bei den übrigen
Gastmählern finden wir dieses Gericht
nicht – denn als eine regionalspezifische
Spezialität. Dass sich Santonino und
mehrere seiner ,,Mahlgenossen“ des Ge-
nusses von Speck und Kraut enthoben,
darf nicht verwundern; war es ihnen, wie
angedeutet, zweifellos eine zu derbe, un-
verdauliche bäuerliche Kost! Doch stand
diese besonders in deutschen Landen nicht
nur beim niederen Volk in hohen Ehren.
,,Kraut vom Kübel hilft gegen 99 Übel“ –
dieser Spruch deutet die heilsame Wirkung
von Wasserrüben- und Sauerkraut an. Der
Haller Spitalsarzt Hippolytus Guarinonius
sang in seinemWerk ,,Die Greuel der Ver-
wüstung menschlichen Geschlechts“,
1610, das Loblied auf das ,,Kowas-“ oder
,,Kabiskraut“ und legte einer verwitweten
Jungbäurin folgende Reime in den Mund:
,,Ich hab das Holtz bei der Wend
Und das Kraut in der Brendt (Krautfaß)
Darzu eine feiste Sau geschlagen
Und mein alten Mann vergraben
Erst will ich mit eim jungen ein guten
Winter haben.“
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Bischof Pietro und seine Reisebegleiter
verlassen am 6. Oktober Mauthen, über-
queren den Gailberg und erreichen als
nächste Station Drauburg im Drautal. Da-
selbst nehmen sie an zwei aufeinanderfol-
genden Tagen in ein- und demselben Orts-
und Einkehrgasthaus (1485!) ein her-
vorragendes Mahl ein. Beim ersteren fällt
Santonino ein Gericht aus gekochten
süßen Birnen auf, das in einer Schüssel an-
gerichtet, mit Butter und halbsüßen Ge-
würzen versetzt ist.
Hier haben wir es offenkundig mit einer
,,latwerge“ zu tun, einer heute so gut wie
völlig vergessenen Köstlichkeit. ,,Lat-
werge“
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stellte ursprünglich eine Arznei in
Brei- bzw. Musform dar, die im Mittelalter
insbesondere in deutschen und welschen
Apotheken zubereitet, in Zinnmodel ge-
gossen und aufbewahrt wurde – was übri-
gens manch ,,lockeren“ Zeitgenossen zur
Dieberei verleitete –, und bei Genuss ,,von
allen Orten und Enden des Leibes aus-
trieb“. Sie wurde insbesondere als
,,Haupt-“ und ,,Magenstärkung“ auf
nüchternen Magen eingenommen. Martin
Luther war die ,,latwerge“ nicht unbe-
kannt, wenn er in seinen Schriften einmal
bemerkt: ,,obzwar ich nun dergestalt aus
dem gänsstall glücklich entkommen, so
ward ich jedoch erst meines unglücks recht
gewahr; denn meine hosen waren voll,
und ich wuste nicht wohin mit der latwer-
gen.“
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Latwergen“ als schmackhaftes, begehr-
tes ,,Nachgericht“ bestanden aus einge-
dicktem Obstmus aus Birnen oder Äpfeln
oder Zwetschken, das mit Honig gesüßt
und mit eingerührten Würzkräutern ver-
setzt war.-Auch hier (Oberdrauburg) be-
richtet Santonino von hervorragenden
Weinen, die zum Mahle kredenzt wurden,
darunter von einem ausgezeichneten
Malvasier, dann von einem spritzigen
Friulaner Tropfen und schließlich zum
Nachtische von einem süßen, süffigen Re-
bolio (ein weißer Süßwein aus Friaul).
Beim zweiteren Mahle von sieben Gängen
wurde u. a. ein zweifaches Knödelgericht
aufgetragen, das eine in Käsesuppe mit
Zwiebeln und Gewürz, das andere mit Öl
und schärferem Gewürz bereitet.
,,Wir Ita-
liener“,
schreibt Santonino,
,,haben uns
fast alle von dieser Kost enthalten, um
nicht Husten zu kriegen oder Gehirnkon-
gestionen
[vermehrte Blutansammlung
im Gehirn]
oder sogar Magenschmerzen.
Dagegen hatten wir es eilig mit den Fo-
rellen und Äschen, mit denen wir nach un-
serer Erfahrung gut fuhren. Immer wieder
war einer da, der den Tafelnden den Mal-
vasier einschenkte, besonders den deut-
schen Klerikern, welche bei Tische
saßen.“
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– Da sage noch einer, die lieben
Kleriker wären Kostverächter gewesen!
So viel kann gesagt werden, dass unsere
Drauburger Nachbarn bereits über eine
sehr beachtliche Gasthauskultur verfügt
haben. Der Gebrauch von silbernem Ta-
felgeschirr, der bei Paolo Santonino be-
zeugt ist, spricht nicht zuletzt dafür. – Was
den Weinbezug anlangt, wickelte er sich
wie bei unseren angesehenen Herr-
schafts- und Herrenhäusern großteils
über die alte, alpenquerende Nord-Süd-
verbindung (Venetien-Plöcken-Gailberg-
Drautal-Tauernübergänge-Salzburg) ab,
die im Großen und Ganzen jedem Adria-
Urlauber von heute geläufig ist. – Die kurz
erwähnten Knödelgerichte sind zweifels-
frei bodenständiger Herkunft. Die hiefür
hauptsächlich erforderlichen Nahrungs-
stoffe Milch, Käse (Topfen?) und Mehl
waren seit vielen Jahrhunderten im Ge-
Nummer 10-11 –– 68. Jahrgang
O s t t i r o l e r H e i m a t b l ä t t e r
St. Josef beim Eierkochen mit Darstellung von Feuerstelle, Dreifußkessel und Kochlöf-
fel, Ausschnitt aus dem Fresko „Christi Geburt“ in der Pfarrkirche von St. Veit i. D., An-
fang 15. Jahrhundert.
Foto: Meinrad Pizzinini