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O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
68. Jahrgang –– Nummer 10-11
zu eigen. Wie den Renaissance-Menschen
allgemein, zeichnete ihn Wissensdurst
und Lebensfreude, Kunstsinn und Dies-
seitsbejahung aus. Geistigen und leib-
lichen Wohlgenüssen war er keineswegs
abhold. Er war wachen Sinnes für alles
Hohe und Hehre und zeigte lediglich res-
pektvolle Zurückhaltung angesichts ihm
völlig fremder, natürlich-bedrohlicher
und ihn bisweilen barbarisch anmutender
Gegebenheiten. Ein Mann schließlich, der
mitten im Leben und doch auch über den
Dingen stand. Seinen Tagebuchaufzeich-
nungen, die uns in der deutschen Überset-
zung Rudolf Eggers und Erstausgabe vom
Jahre 1947 vorliegen
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, stellt der Verfasser
die einleitenden Worte: ,,HERR JESUS
CHRISTUS.
REISE-TAGEBUCH,
HERAUSGEGEBEN VON PAOLO
SANTONINO, DEM SEKRETÄRE
DES EHW. HERRN MARCO BARBO,
KARDINALS VON S. MARCO UND
PATRIARCHEN VON AQUILEIA,
ZUR ZEIT, ALS DER EHW. VATER
HERR PIETRO, BISCHOF VON
CAORLE, INS DEUTSCHE GEBIET
GEREIST IST, UM BEI DEN UNTER-
TANEN DER KIRCHE VON AQUILEIA
DIE BISCHÖFLICHEN FUNKTIONEN
AUSZUÜBEN.“ voran. Die kostbare Ge-
schichtsquelle aus dem späten 15. Jahr-
hundert ist lateinisch abgefasst und behan-
delt die drei Visitationsreisen, welche der
vorgenannte Bischof Pietro im Auftrag des
Patriarchen mit seinem Gefolge 1485 bis
1487 durchführte. So gelangten sie 1485 in
das kärntnerische Gailtal und in den Lien-
zer Raum, im Folgejahr ins Rosental und
nach Villach und 1487 schließlich in die
alte Untersteiermark zwischen Drau und
Sotla. Zweck der für die feinen italieni-
schen geistlichen Herren und den ihnen als
Begleiter und Sachverständigen zugeteil-
ten ,,secretarius“ Santonino denn doch
sehr beschwerlichen Landfahrten war es,
das religiöse Leben wiederum aufzurich-
ten und zu bestärken, Gotteshäuser und
Kapellen, die im Zuge der Türkeneinfälle
geplündert, gebrandschatzt, entweiht und
der Würde ihrer Altäre beraubt waren, zu
weihen, Sakramente, insbesondere die Fir-
mung zu spenden und den Klerus zu über-
prüfen. Hiezu wurden wie bei Visitationen
allgemein üblich Protokolle angefertigt,
diesfalls durch den Juristen Paolo Santo-
nino. Seine Aufzeichnungen sind aller-
dings nur zu einem geringen Teil von
offiziellem Charakter, der dem kirchen-
amtlichen Aktenbestand des Patriarchats
zuzuordnen ist, der überwiegende Teil ist
für die Öffentlichkeit geschrieben und
durch glückliche Umstände der Nachwelt
erhalten geblieben.
Besonderes Augenmerk bei seinen
Aufzeichnungen verwendete der Verfasser
– daran mag man die Hinwendung und
Lust der zeitgenössischen Gastgeber, sei-
nes Vorgesetzten und letztlich seiner selbst
an weltlichen (Wohl-)Genüssen ermessen
– auf die Schilderung der erlesenen Fest-
mähler mit ihrer kaum abschätzbaren Spei-
sen- und Getränkefolge, die ihnen allerorts
zuteil wurden. Zum besseren Verständnis
seien dem Weiteren einige entsprechende
,,Kostproben“ vorangestellt. Begleiten
wir also in gebotener Kürze unsere Visita-
tions-Reisegesellschaft auf ihrem aben-
teuerlichen Weg in die schreckhafte Welt
des Hochgebirges.
Am 29. September 1485, vor 515 Jahren
also, trat Bischof Pietro von Caorle mit
seinen Begleitern von San Daniele aus
seine Visitationsreise an. Die Route, die
mit Reitpferden bewältigt wurde, führte
zunächst nach Venzone, anderntags von
dort nach Tolmezzo, Paluzza und Timau.
Von Timau zog man am 1. Oktober über
den Plöcken nach Mauthen, wo man drei
Tage zubrachte, die mit wichtigen amts-
kirchlichen Geschäften, mit Weihen von
Altären und Spenden von Sakramenten in
Mauthen und Kötschach ausgefüllt
waren. In letzterem Ort wurde der vor-
nehmen Herrschaft ein überaus opulentes
Festessen aufgetischt, worunter sich bei-
spielsweise allerlei wilde und zahme
Vogeltiere, ,,Vierfüßler“, was immer das
sein mochte, und sogar ein in Kräutersauce
getunktes Eichhörnchen befanden.
,,Nach
dem Essen“,
berichtet Santonino,
,,trat ein
Schauspieler des hohen Herrn Leonhard,
des Grafen von Görz, auf, der Zither
spielte, manches Stück auf dem Waldhorne
blies, mit reicher Mimik Possen vortrug
und alle Gäste durch seine Schalkhaftig-
keit zu frohem Lachen brachte, was uns
ganz erfrischte.“
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Bemerkenswert wie das erlesene Fest-
mahl erscheint dem Autor der Gastauftritt
des gräflichen Gauklers und Possentrei-
bers, der erheblich zur Steigerung der Ta-
felfreuden beitrug.
Am Fünften des Monats unternahm die
Gesellschaft von Mauthen aus einen Ab-
stecher zur nahe gelegenen Burg Golden-
stein, wo ihr vom Burghauptmann ein
schier unvergessliches Festmahl bereitet
wurde. Darin drückt sich wohl auch die
Freude des Gastgebers über die ihm zuteil
gewordene Auszeichnung durch den Be-
such des Bischofs und dessen persönliche
Konsekration seiner kleinen Hauskapelle
aus:
,,An der Tafel des Bischofs“
wird be-
richtet,
,,wurden als erstes Gericht aufge-
tragen zwei junge gemästete und im eige-
nen Safte gedünstete Kapaune
5
.
Von diesen
blieb nichts übrig, weil sie schmackhaft
waren und weil sie als erstes Gericht gie-
rig von den Mahlgenossen verzehrt wur-
den, welche wegen der Reise und der
etwas verspäteten Speisestunde schon mit
dem Hunger kämpften. Als zweiter Gang
folgten Forellen und Äschen ähnlich ge-
sotten in breiten Pfannen aufgetragen
ohne Suppe; von einigen wurden sie mit
Kräuteressig genossen, obwohl der vom
Schweiße durchnässte Fischer sie kurz
vorher gebracht hatte. Den dritten Gang
bildete Fleisch von Vögeln, die schneller
fliegen, und Tieren, die rascher springen,
Rebhühner und Braten von jungen Gem-
sen. Dabei kann ich die Überraschung be-
richten, daß alle Mahlgenossen doch mit
Messer und Zähnen dem Fluge der Reb-
hühner in der Schüssel nachgingen, ob-
wohl sie selbst besser sprangen, als flogen.
Dann wurde aufgetragen ein Gericht, das
sie Gepfeffertes nennen, bestehend aus viel
Gemsfleisch, von dem nahmen nur mehr
wenige. Es kamen hierauf Äschen und Fo-
rellen, länger als die früheren, schwim-
mend in einer durch Gewürze buntgefärb-
ten Brühe. Wir fischten sie sofort heraus,
ließen die Brühe dem Gastgeber und dem
Koch. Die Reihe setzten fort andere Reb-
hühner, in Wasser gesotten mit Waldhüh-
nern, die in den wilden Gebirgen der
Gegend erbeutet werden. Die in einer grü-
nen Kräutersoße eingemachten haben wir
leicht gegesssen. Der Bischof selbst und
seine Begleiter glaubten, daß nach diesen
vielen Gängen das Essen beendet wäre,
und schon hatten wir uns an den mit uns
schmausenden Gastgeber gewendet, um
uns für die große Ehre und den ausge-
suchten und üppigen Aufwand vielmals zu
bedanken, da gebot der Gastgeber mit der
Hand Schweigen. Und, sieh‘ da, sofort
brachte einer von den Dienern eine breite
Schüssel, sie auf erhobenen Händen tra-
gend, mit Kraut über einem Stücke Speck.
Von dem enthielt sich Santonino, weil es
für seinen schwachen und wenig auf-
nahmsfähigen Magen zu schwer war, und,
um die Wahrheit zu gestehen, bei diesem
Gerichte schienen fast alle dasselbe Ma-
genleiden zu haben. Nichtsdestoweniger
entfachte den durch das aufgetischte Kraut
verlorenen Appetit die Ankunft von klei-
nen, von ihnen Pastillen genannten Krap-
fen, die mit Honig übergossen waren, und
die der sauren Milch. Den Beschluss
machten aber Birnen verschiedener Art,
manche von staunenswerter Größe,
ebenso Äpfel von bestem Geschmacke und
schön gefärbt… Süßigkeiten gab es bei
dem Mahle nicht, weil sie, wie die Leute
sagen, in diesen Bergen nicht wachsen.
Endlich erhoben wir uns vom Tische, den
ausgezeichnete Weine verschiedener
Gattung, kredenzt in silbernen Bechern,
noch erfreulicher gestaltet haben.“
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Zu diesen Ausführungen sind einige An-
merkungen angebracht. Wie später noch
zu hören sein wird, unterschieden sich
Gastmähler der gehobenen Gesellschaft
bei unseren unmittelbaren Nachbarn
kaum von jenen auf unserer Seite. Das
liegt daran, dass die Landesprodukte
nahezu identisch sind und sich der regionale
wie der überregionale Warenaustausch,
auch Zukauf und Import auf sehr ähn-
lichen Bahnen und Verkehrswegen abwi-
ckelten. Dass die wenigen Herrschafts-
häuser unserer näheren Umgebung regen
Kontakt pflegten, soferne sie nicht tief ver-
feindet waren, liegt auf der Hand. Hiezu
zählte sicher auch die Ess- und Trinkkul-
tur, kurzum die Tischkultur als Ganzes.
Das inkludierte allerdings noch lange nicht
die völlige Preisgabe aller kleinen, in-
dividuellen Geheimnisse der Kochkunst,
an denen der ,,große Geschmack“ und das
Besondere einer herrschaftlichen Küche
gelegen sind.
So sehr Paolo Santonino herausstreicht,
was Küche und Keller bei der kleinen
Schicht Wohlhabender und niedriger
Adeliger in Görzer Landen im auslaufen-
den 15. Jahrhundert zu bieten vermögen,
so wenig weiß er über die Ess- und Trink-
gewohnheiten und den Lebensstandard des
gemeinen Mannes überhaupt zu berichten.
Als Kind seiner Zeit und eines Standes
weit über dem einfachen Volke scheint er
dessen weder gewahr zu werden, noch
eine Persönlichkeit dahinter zu entdecken.
Bemerkenswert hoch bei den kurz zitierten