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gen wochenlang in Beugehaft genommen,
ohne dass sie etwas verraten hätten.
Die Nazi-Justiz bekam es im Jänner
1945 sehr eilig, das Urteil gegen P.
Edmund zu vollstrecken, weil es immer
mehr Wirklichkeit zu werden schien, was
P. Edmund schon 1942 im Brief an seinen
Erzabt vorausgesagt hatte, nämlich den
sicheren Untergang Deutschlands sowie
Europas, durch die Schuld des „Führers“!
Um diese Zeit stand die Rote Armee vor
Belgrad und vor Riga. Athen war von den
Deutschen geräumt; im Westen befand
sich Aachen in alliierter Hand. Weite Teile
Belgiens und Hollands waren befreit.
So ordnete der Reichsminister für Justiz
am 17. Jänner 1945 mit „Ermächtigung
des Führers“ die Vollstreckung des über P.
Edmund gefällten Todesurteiles an.
Diese Anordnung enthielt auch, dass dar-
über kein Pressevermerk erfolgen dürfe,
wohl aber eine Urteilsabschrift dem
Reichs-Propagandaministerium
(Göb-
bels) vorzulegen sei. Ebenfalls mit 17.
Jänner 1945 erteilte der Oberreichsanwalt
beim Volksgerichtshof die Weisung, „das
Weitere mit größter Beschleunigung“ zu
veranlassen.
Über die Vollstreckung des Urteiles fin-
det sich ein Vermerk, der sehr, sehr traurig
und betroffen stimmt. Er lautet: „Der ru-
hige Verurteilte, der seinen Kopf unter
dem Beil hielt, starb sofort. Zwischen der
Vorführung und dem Tod verliefen neun
Minuten!“
Die nun vorliegende gründliche und um-
fassende Dokumentation über Leben und
Schicksal des P. Edmund (Josef) Pontiller
OSB lässt den sicheren und unumstöß-
lichen Schluss zu, dass P. Edmund einem
kriminellen und teuflischen Urteil des be-
rüchtigten Volksgerichtshofes zum Opfer
gefallen ist – es war ein bewusster und ge-
zielter Priestermord!
Von der Arbeit des Volksgerichtshofs
Es seien noch kurze Ausführungen über
Besonderheiten und Auffälligkeiten er-
laubt, die bei den Nachforschungen über P.
Edmund zu Tage getreten sind. Ohne
etwas wiederholen zu wollen, darf noch-
mals darauf hingewiesen werden, dass P.
Edmund wegen homosexueller Beziehun-
gen weder angeklagt war, noch verurteilt
wurde.
Nur nebenbei wird in der Begründung
des Todesurteiles erwähnt, P. Edmund
habe „zwei deutsche Lehrjungen in einer
gewissen Erregung getätschelt und an sich
gedrückt“.
Die Anklageschrift hingegen hatte sich
dazu etwas konkreter ausgedrückt:
„Wegen homosexueller Beziehungen zu
zwei landwirtschaftlichen Lehrlingen der
Ordensfiliale in Kirchschletten ist gegen
den Angeschuldigten beim Oberstaatsan-
walt in Koblenz ein Ermittlungsverfahren
anhängig.“
Genügend Recherchen haben eindeutig
ergeben, dass diese Vorwürfe jeder Realität
entbehrten, vor einem politisch motivierten
Hintergrund entstanden sind und somit aus
der Welt geschafft werden können:
Die vormalige Äbtissin der Benedikti-
nerinnen-Abtei „Maria Frieden“ in
Kirchschletten Nr. 30, Gemeinde Zapfen-
dorf, Bayern, Ehrwürdige Mutter Gertraud
Reiter OSB, machte dazu eine interessante
Aussage. Sie hatte sich auf Ersuchen an
der Wahrheitsfindung beteiligt und
konnte am 27. Februar 1999 dem
Autor schriftlich Folgendes mit-
teilen:
„Ich habe auch herausgefun-
den, dass zwei vormalige Zög-
linge von 1936 noch leben. Herr
Heinrich Dotzer aus Weilers-
bach und Herr Franz Schatz aus
Schlammersdorf, Bayern.
Beide Herren sind schon be-
tagt, ich konnte mit ihnen telefo-
nisch sprechen. Ich habe ihnen
Ihren Brief vorgelesen. Die meis-
ten Fragen konnten sie nicht beant-
worten, aber was sie sagten, stimmte
überein. Sie waren damals 13 Jahre und
haben nicht viel mitgekriegt. Sie wurden
von der GESTAPO verhört, eben wegen
des Verdachtes der Homophilie, aber es
traf nicht zu. Beide meinten, wenn an die-
ser Sache etwas gewesen wäre, hätten die
Kameraden untereinander darüber gespro-
chen oder es bestimmt gewusst. – Also an
diesem Verdacht ist nichts Wahres.“
Die Bemühungen, herauszubekommen,
ob die damaligen Zöglinge Dotzer und
Schatz mit den zwei landwirtschaftlichen
Lehrlingen in der Ordensfiliale in Kirch-
schletten laut Anklage oder den zwei deut-
schen Lehrjungen laut Urteil identisch
sind, zeitigten eine umfangreiche und sehr
zeitraubende Korrespondenz. Ein wert-
voller Hinweis war, dass laut Mitteilung
des Staatsarchivs Coburg vom 2. August
2000 Ermittlungsakten des Volksge-
richtshofes vonseiten der DDR-Behörden
bereits am 23. März 1965 dem leitenden
Oberstaatsanwalt des Oberlandesgerichtes
Koblenz übergeben worden waren.
Darunter hätten sich auch die Ermittlungs-
akten über den ungarischen (!) Benedik-
tinerpater Edmund Pontiller befunden.
Oberstaatsanwalt und Oberlandesge-
richt in Koblenz teilten auf mehrmalige
Anfragen mit, dass sich bei diesen Justiz-
behörden jedoch keine Akten über P. Pon-
tiller befänden.
Im Wege des Bundesarchivs Berlin
langte mit 25. Oktober 2000 ein weiterer,
wichtiger Hinweis ein. Es wurde mitge-
teilt, dass es Erfolg versprechender sein
werde, nicht nach Ermittlungsakten über
P. Edmund zu forschen, als vielmehr über
jenen NS-Staatsanwalt, der die Todesstrafe
beantragt habe. Dazu im Detail:
„Da jener NS-Staatsanwalt in Neuwied
lebte, wo er eine Anwaltspraxis betrieb,
wurde der Generalstaatsanwaltschaft
beim Oberlandesgericht in Koblenz – die
die DDR als Rechtshilfepartner betrachtete
– jene Akte zum Kopieren und Auswerten
vorgelegt. In der Tat ist später gegen jenen
Juristen (NS-Staatsanwalt) Gerhard (ver-
schiedentlich auch als Gerd ausgewiesen)
Lenhardt, geb. 1898, ein Ermittlungsver-
fahren eingeleitet worden, das wohl 1984
oder 1985 von der Staatsanwaltschaft beim
Landgericht Koblenz eingestellt wurde.
Die 1965 angefertigten Kopien müssten
Bestandteil oder Beiakte dieses Verfahrens
gegen Gerhard Lenhardt sein.“
Ein daraufhin neuerlich an die Ober-
staatsanwaltschaft und das Oberlandesge-
richt in Koblenz gerichtetes Auskunftser-
suchen erbrachte jedoch auch keine posi-
tive Antwort.
Aber nicht nur Lenhardt war ungeschoren
davongekommen, sondern auch ein weite-
res Mitglied des NS-Tribunals, das über P.
Edmund „Recht gesprochen“ hatte. Dieser
Herr war noch in den 60er-Jahren mit dem
Titel eines „Oberlandesgerichtsrates“ bei
einem Bezirksgericht tätig. Jener NS-
Staatsanwalt aber, der für die Durchführung
der Vollstreckung von Todesurteilen, dar-
unter auch das über P. Edmund verhängte,
zuständig und verantwortlich gewesen
war, namens Römer, stieg nach dem Krieg
zum höchsten Justizbeamtem im Range
eines Ministerialdirektors der BRD auf!
Als im Frühjahr 1965 die Verjährung
aller NS-Verbrechen drohte, wandte sich
die deutsche Bundesregierung zum ersten
Mal auch an die Staaten Osteuropas mit
der Bitte um Unterlagen. Bis dahin war es
westdeutschen Juristen untersagt gewesen,
in den Archiven der Volksrepublik Polen
und der UdSSR zu arbeiten. Auf diese Do-
kumente und auf die der DDR selbstgefäl-
lig zu verzichten, war ein arger Fehler, der
bis heute nicht mehr gutgemacht werden
konnte. Die damals verlorenen 20 Jahre
(1945 bis 1965) hat man nie mehr einholen
können.
Erst im Oktober 1979 hat die Berliner
Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen
alle Mitglieder des Volksgerichtshofes
wieder aufgenommen, nachdem ein erster
Versuch Mitte der 60er-Jahre gescheitert
war. Noch Ende November 1986 hatte der
Generalstaatsanwalt beim Kammerge-
richt in Berlin aufgefordert, unverzüglich
die am 21. Oktober 1986 nach siebenjäh-
riger Arbeit eingestellten Ermittlungen
gegen die Nazijuristen des Volksge-
richtshofes wieder aufzunehmen. Leider
vergeblich!
Schon im Feber 1983 hatte der Berliner
Justizsenator Volker Kähne eingeräumt,
dass es trotz intensiver Bemühungen keine
strafrechtliche Aufarbeitung des „dunkels-
ten Kapitels der deutschen Justizge-
schichte mehr geben werde“.
Nummer 2-3 –– 69. Jahrgang
O s t t i r o l e r H e i m a t b l ä t t e r
dmund Pontiller, hg. in Ungarn, 2000; orig. Dm. 40 mm.