Seite 4 - H_2001_08

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O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
69. Jahrgang –– Nummer 8
selben Band noch einen weiteren Artikel,
der sich mit der Geschichte des Defereg-
gentals befasst
28
. Den Schwerpunkt bildet
darin die Wirtschaftsgeschichte, insbeson-
dere der Hausierhandel und die Fabriks-
gründungen, aber auch, der Zeitschrift ent-
sprechend, die Tracht. Beides sind The-
men, die auch in den späteren Artikeln
Passlers immer wieder kehren. Passler
dürfte damit der Erste sein, der sich – als
„Forschtgiehner“, wie man die ausgewan-
derten Deferegger auch heute noch nennt –
mit der Geschichte seiner Heimat befasste.
Nur wenige Jahre zuvor, 1878, hatte übri-
gens sein Landsmann und Berufskollege
Valentin Hintner ein Wörterbuch des De-
feregger Dialekts veröffentlicht. Offenbar
wurde die damalige Zeit mit ihren enor-
men wirtschaftlichen Veränderungen
(vor allem der Industrialisierung) als Um-
bruchszeit empfunden, in der es galt, das
festzuhalten und aufzuzeichnen, was bald
nicht mehr existieren würde. So ist es auch
nicht verwunderlich, dass Passler die
Frage
nach
dem
Verlust
der
ursprünglichen Identität der Auswanderer
ausführlich behandelt. Für ihn war dieser
Verlust bereits Realität. Zwar kehrten die
Leute in den Sommermonaten in ihre Hei-
mat zurück – „(… der Deferegger kennt)
keine Sommerfrische als auf seinem
Eigenbesitze in der Heimat“ –, jedoch
würden mit der langen Abwesenheit die
alte Sprache, die alte Kleidung und
schließlich werden auch die alten An-
schauungen verloren gehen. Rund die
Hälfte des Artikels widmet Passler der De-
feregger Tracht, die damals bereits starken
Veränderungen unterworfen war
29
.
In den Jahren 1925 bis 1927 publizierte
er eine lose Serie von Artikeln über
das Defereggental in den Osttiroler
Heimatblättern. Der erste Aufsatz, „Die
Entstehung und Entwicklung des Defe-
reggerhandels“, trägt den Vermerk
„Beim Preiswettbewerb 1923 des Frem-
denverkehrsausschusses der Stadtge-
meinde Lienz preisgekrönte Arbeit“. Der
Artikel greift manches aus jenem in der
Zeitschrift für Volkskunde wieder auf,
wobei der Hausierhandel recht ausführlich
dargestellt wird, während die Tracht und
die Problematik des Identitätsverlustes nur
gestreift werden. Allerdings fasst Passler
pessimistisch zusammen: „Der urwüchsige
Dialekt ist verwässert, abgeschliffen, die
Tracht völlig verschwunden. (…) heute
muß man sich an den Bund der Tiroler in
Wien wenden, wenn man ein Trachtstück
sehen will. So wird auch der Deferegger
Kaufmann immer mehr zum Wiener, Pra-
ger, Budapester usw. werden, bis das Hei-
matgefühl völlig erlischt.“ Aus eigener Er-
fahrung kann der Verfasser dieser Zeilen
bezeugen, dass Passler sich hierin erfreu-
licherweise geirrt hat!
Noch zwei weitere Artikel befassen sich
mit dem Handel: 1926 veröffentlichte
Passler „Zwei Deferegger Dokumente aus
dem Anfang des 19. Jahrhunderts“ im ori-
ginalen Wortlaut. Daran schließt sich eine
eingehende Beschreibung des Wesens der
Handelsgesellschaften, die dem einzelnen
Hausierer die nötige finanzielle, aber auch
soziale Sicherheit (etwa im Krankheitsfall)
bieten sollten. Während das erste Doku-
ment einen derartigen Gesellschaftsvertrag
zum Inhalt hat, handelt es sich bei dem
zweiten um einen 1822 datierten Brief der
Hausierer Anselm Leitner und Rupert Lad-
stätter aus St. Petersburg. Ein dritter Arti-
kel, erschienen 1927, fasst die beiden vo-
rigen Arbeiten zusammen und wiederholt
sie teilweise. Sie stellen Passlers wich-
tigste Arbeiten zu diesem Thema dar, da er
„viele Deferegger Geschäftsleute, von
Hausierern bis zu Fabrikanten, noch per-
sönlich gekannt hatte“
30
und somit auf die-
rekt Überliefertes zurückgreifen konnte.
In einem weiteren Aufsatz („Haus- und
Familiennamen zu St. Veit und St. Jakob in
Defereggen“) behandelte er die Herkunft
der Hof- und Familiennamen. Er stützte
sich dabei nicht nur auf Angaben in ver-
schiedenen Kirchenbüchern der beiden Ge-
meinden, sondern auch wieder auf das
Wissen seiner Freunde, nämlich Oberlehrer
Unterkircher (aus St. Jakob gebürtig) sowie
Johann Ladstätter und Virgil Stemberger
(Chefs der Stroh- und Filzhutfirma Stem-
berger und Mellitzer in Wien) – abermals
ein interessanter Beleg für das weit ver-
breitete Interesse der „Forschtgiehner“ an
ihrer Heimatgeschichte. – „Die Besiede-
lung von St. Jakob im Defereggentale seit
dem 16. Jahrhundert und die bäuerlichen
Verhältnisse daselbst“ ist seine umfang-
reichste Arbeit über das Defereggental in
den Heimatblättern. Dieser Aufsatz
schließt inhaltlich an seine „Grundzüge der
Besiedlung des Defereggentales“ an, die
1926 erschienen waren. Darin beschreibt
Passler nicht nur die politische Ge-
schichte, beginnend im frühen Mittelalter,
sondern auch die sozialen und wirtschaft-
lichen Gegebenheiten sehr detailliert.
Dieser Text ist übrigens immer noch so
etwas wie ein Grundgerüst der Deferegger
„Frühgeschichte“, da sich an der Quellen-
lage seither kaum etwas geändert hat und
auch die archäologischen Funde aus dem
Mittelalter noch relativ spärlich sind
31
. –
Als Ausgangspunkt für die Darstellung des
16. Jahrhunderts und der folgenden Jahr-
hunderte dienen die sogenannte Pustertali-
sche Steuerbeschreibung 1545 sowie das
St. Jakober Pfarrurbar von 1558. Passler
gibt sozusagen einen Kommentar zu beiden
Quellen, insoweit sie von Interesse für die
Hof- und Familiengeschichte sind. Im
zweiten Teil werden die „Zersplitterung des
Grundbesitzes“ und das Freistiftrecht dar-
gestellt, das für die Besitzverhältnisse im
Defereggen bestimmend war. Passlers un-
geheure Detailkenntnis ist beeindruckend.
Passler publizierte aber nicht nur in den
Osttiroler Heimatblättern. Weniger be-
kannt, aber von umso größerem volks-
kundlichen Interesse dürfte sein Aufsatz
„Der Deferegger an der Arbeit“ sein, er-
schienen 1926 in der „Tiroler Heimat“.
Wie immer enthält auch dieser Aufsatz
Das alte Gymnasium in Horn.
(Archiv M. Huber)
Das ehemalige Gymnasium in Berndorf.
Foto: M. Huber