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O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
69. Jahrgang –– Nummer 10
Sujets negiert Egger-Lienz später diese
figurendichte Komposition und gelangt zu
statischen triptychonartigen Schemata.
Die Spannweite des Bildnisses als
autonomes Werk und nicht in der Bindung
an die erzählerische Vielfalt wird in der
Wertung des Porträts seines Sohnes
„Fred“ (1908) und des „Selbstbildnisses
mit Sportmütze“ (1923, beide TLMF)
spürbar: Beim „Fred“ wird die liebevolle
und doch kühle Distanz und das unbe-
kümmerte, legere und doch spannungser-
wartende Dasein des Kindes sichtbar, die
Augensprache klingt wie im Selbstbildnis
von 1911, in den Bildnissen von Lorli
(1907/11, MSB Lienz) und Ila (1919/
1920, Neue Galerie Linz). Im Selbstbildnis
von 1923 ist gleichermaßen die Distanz
und die Skepsis des Malers zu sich und
dem Betrachter spürbar. Hier tritt die
individuelle Charakterisierung klar vor
Augen, in den vielen porträtähnlichen
Menschenbildern ist die Lebendigkeit des
Modells zu einer allgemein gültigen Mar-
kierung des Seelenhaften gewandelt.
Die skizzenhaften, spontan gemalten
Studienköpfe vermitteln die Eindringlich-
keit von menschlichem Sein, vom Cha-
rakter des Mannes, der Frau, des Greises
oder des Kindes. Es sind meisterhafte Fin-
gerübungen zum „Leben“ (1912, Öster-
reichische Galerie Belvedere, Wien),
zum „Totentanz“, zu den „Generationen“
(1919, Sammlung Prof. Dr. Rudolf Leo-
pold, Wien). Hier wird die Spannkraft der
detaillierten Sicht des Menschenantlitzes
aktuell, das sich im großen Gemälde in
den Gleichklang der Komposition einbin-
det. Hier setzt Egger-Lienz einen impul-
siven Malduktus, der seinesgleichen sucht.
Die Prägnanz der Form wird schließlich
auch in den Zeichnungen augenscheinlich,
in den subtilen und doch großzügig ge-
formten und das Volumen umspannenden
Modellierungen. Die knappe Notiz zu den
kargen Frauenköpfen der „Kriegsfrauen“
(1918/22, TLMF) oder des Greises zu den
„Generationen“ steht deutlich im Gegen-
satz zu den Aquarellkopfstudien zum
„Totentanz“. Diese sind nur ansatzweise in
ihrer Porträthaftigkeit evident, eigentlich
zeigen sie mehr den Typus des Bauern, des
jungen, des alten, schließlich des toten
Menschen. Die Prägnanz der Modellie-
rung gehört zu den wesentlichen Handfer-
tigkeiten von Egger-Lienz, sie vernetzen
sein ganzes Werk in konsequenter Art.
Wenn zwischen dem Frühwerk und den
Motiven um 1909/1910 der „Weihbrunn
sprengende Bauer“ (1907, TLMF, spätere
Fassung im MSB, Lienz) in das Gesamt-
werk von Egger-Lienz eintritt, so gewinnt
die ländliche Welt des Menschen, aber
auch der Glaube an die überirdische Hoff-
nung ein stabile Markierung, die bereits im
spätgotischen Bildwerk des „Kreuzes“ evi-
dent war. Der Glaube ist auch eingebettet
in die Stille der „Bauernstube“ (1920, His-
torisches Museum der Stadt Wien), in vol-
lem Maße im „Tischgebet“ (1923) und in
der „Christi Auferstehung“ (1924, beide
Land Tirol). Der Glaube an die Hoffnung
überstrahlt auch das isolierte Dasein der
Mütter im gleichnamigen Gemälde: Der
Gekreuzigte prägt den Lebensraum der in
der Nachkriegszeit alleingelassenen
Frauen. Die „Auferstehung“ und die
„Pietà“ (1926, Leopold Museum-Privat-
stiftung, Wien) zählen zu den eindring-
lichsten Bildschöpfungen von Egger-
Lienz. Für ihn bot die „Auferstehung“ die
Realisierung des großen Mysteriums:
„Vor diesem Werden steht für mich die
Zeit stille und löst mich völlig von aller
Erde, allem Leiden.“ (1923)
Es mag auch nur ein Zeichen des Lich-
tes sein, das die Landschaft bei „Virgl“
(1913, TLMF) markiert, das in drei Bah-
nen in die breite Ebene herabströmt: Sie
beherrschen den gesamten Landschafts-
raum, aus kompositorischer Sicht greift als
optisches Gegengewicht der beleuchtete
Gegenhang ein, in gedanklicher Weise ist
aber doch eine metaphysische Dimension
spürbar. Die Bindung zum Landschaft-
lichen wird bei der „Erde“, aber vor allem
beim „Vorfrühling“ (1917, MSB Lienz)
angesprochen. Viel später nehmen der
„Sonnenuntergang auf der Mendel“
(1919, MSB Lienz) und das fast ab-
strahierte, breitgelagerte Bild von „Sig-
mundskron“ (1921, TLMF) mit dem stil-
len Horizont und den aufflackernden blü-
henden Bäumen im Dunkel des
Vordergrundes die Lichtvision auf. Diese
späten Landschaften – hier ist auch das
Motiv „Am Kalvarienberg bei Bozen“
(1921/22, MSB Lienz) eingebunden – ste-
hen im Gegensatz zu den spontanen Stim-
mungsinterpretationen im „Meer“ aus der
Zeit in Katwijk (1913, MSB Lienz), das
Letztere wohl eine der freiesten maleri-
schen Impressionen von Egger-Lienz.
Die monumentale Dimension des groß-
formatigen Gemäldes „Einzug König
Etzels in Wien“ (1910/1911, Historisches
Museum der Stadt Wien als Dauerleihgabe
im MSB Lienz) steht in der Nachfolge der
formalen Mächtigkeit des „Haspinger
Anno Neun“ und des „Totentanzes“, leitet
aber auch über zum „Leben“ (1910/1912,
Österreichische
Galerie
Belvedere,
Wien). Im „Etzel“ klingt erstmals und
letztmalig die Einbindung des Weiß der
Frauengestalten, des Gold und Blau im
Schmuck und des Rot-Schwarz der
Pferde und Reiter im Sinne der dekorati-
ven Klangfarbe des ausgehenden Seces-
sionismus an. Es war eine Herausforde-
rung für Egger-Lienz, das für den Büffet-
raum des Wiener Rathauses gedachte
Kaseinbild – einem Fresko ähnlich – in
dieser dekorativ-monumentalen Wirkung
zu konzipieren. Gleichzeitig betonte
Egger-Lienz vehement auch die Neigung
zum Monumentalen, die sich später in der
Zeit an der Kunsthochschule in Weimar
deutlich in den Vordergrund drängt – nicht
nur durch die Begegnung mit Ferdinand
Hodlers Werk und dem daraus entbrannten
„Hodlerstreit“, sondern auch in der for-
malen Entwicklung seiner Motive.
Eine europäische Orientierung fand
Egger-Lienz vor allem auch durch die
Großausstellungen in Wien. Hier wurde
viel Neues in der Malerei und Plastik vor-
gestellt, hier fühlte sich Egger-Lienz an-
gesprochen: vom plastischen Volumen des
belgischen Bildhauers Constantin Meunier
– man denke an die Meunier-Köpfe im
„Totentanz“ – , von den lebensgroßen
realistischen Figurenkomplexen eines
Auguste Rodin in der Gruppe der schrei-
tenden Männer im „Totentanz“. Nicht um-
sonst wies Egger-Lienz etwa in seiner
Weimarer Zeit seine Schüler – u. a. Rudolf
Wacker, der allerdings dann den Weg der
Neuen Sachlichkeit beschritt – an, wie
Bildhauer zu zeichnen. Es ist aber auch die
Hommage an Jean-Francoise Millet
augenscheinlich, dessen Sämann von 1850
(und im übertragenen Sinn van Goghs Sä-
mann von 1883) Egger-Lienz in der ersten
Fassung seines Sämanns anvisiert. In der
Gestalt des „Blinden“ in der Zeichnung
von 1923 (TLMF) wird der Nachhall Mil-
Ein Abschied in Tirol im Jahr 1809,
1894/1897.
Des Künstlers Sohn Fred, 1908.