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Nur wenige Kilometer vom Ortskern
Außervillgratens entfernt liegt im Winkel-
tal der altehrwürdige Wurzerhof
1
. Seine
Besonderheit verdankt er u. a. der Tat-
sache, dass er über eine seit dem Jahre
1675 nachweisbare Hofkapelle verfügt.
Diese wurde im Jahre 1882 beim dama-
ligen „Jahrhunderthochwasser“ zerstört
und 1887 neu errichtet
2
.
Ihren wertvollsten Schmuck stellten bis
vor knapp 30 Jahren zwei spätgotische
Tafelbilder dar, die ursprünglich Teile
eines Flügelaltares waren und zu einem
heute unbekannten Zeitpunkt in jene
Kapelle kamen.
Die Altarflügel verblieben am Hof etwa
bis Mitte der 70er-Jahre, als sie vom da-
maligen Besitzer der Wurzerhofes, Sepp
Leiter, verkauft wurden. Diesem Verkauf,
von dem niemand im Vorhinein etwas ge-
wusst haben dürfte
3
, ging eine angeblich
aus Sicherheitsgründen vorgenommene
Verbringung der Tafeln in das Bauernhaus
Nummer 11-12–– 69. Jahrgang
O s t t i r o l e r H e i m a t b l ä t t e r
Michael Huber – Gerd Pichler
Zwei spätgotische Altarflügel aus der
Wurzerkapelle in Außervillgraten
Ein Nachruf
Die Haus-
kapelle beim
Wurzerhof im
Winkeltal
(Außervill-
graten); Auf-
nahme von
1971.
Fotos:
M. Pizzinini
Inneres der
Wurzer-
kapelle mit
den links
(St. Georg)
und rechts
(St. Martin)
angebrachten
ehemaligen
Altarflügeln;
Aufnahme
von 1971.
voraus (1974), ehe sie dann – ebenfalls
wieder ‚angeblich‘ – an einen „Altwaren-
händler aus Lienz“ veräußert wurden. In
dem 1980 erschienenen Dehio-Handbuch
Tirol werden sie folglich nicht mehr er-
wähnt. Der Verkauf der Tafeln erfolgte
laut Auskunft des Bundesdenkmalamtes,
Landeskonservatorat für Tirol, übrigens
auf völlig legalem Weg, da die Tafeln
sowie auch die Kapelle selbst nicht unter
Denkmalschutz stehen
4
.
Glücklicherweise existieren von den
Tafeln einige Fotografien, so dass deren
Aussehen wenigstens im Bild überliefert
ist. Zwei der Aufnahmen stammen von
Hans Wiedemaier, Innervillgraten, aus
dem Jahr 1967: Es handelt sich dabei um
eine Gesamtaufnahme der beiden Flügeln
sowie ein Detail mit dem Kopf des hl.
Martin; ferner existiert ein Farbdiapositiv
von Johannes Trojer (ca. 1970), das
die obere Hälfte des hl. Martin zeigt
5
,
sowie mehrere Schwarz-Weiß-Fotos von
Meinrad Pizzinini (ein Einblick in die Ka-
pelle, je eine Gesamtaufnahme der beiden
Tafeln sowie je ein Detail von den Köpfen
der beiden Heiligen und des knienden
Bettlers)
6
. Die Existenz dieser Fotogra-
phien ist umso höher zu bewerten, als
unter den derzeit bekannten Umständen es
äußerst unwahrscheinlich ist, dass die Ta-
feln jemals wieder im Original auftauchen.
Anhand dieser Bilddokumente soll im
Folgenden eine Beschreibung vorgenom-
men werden:
Der ehemals linke Flügel zeigt eine Dar-
stellung des heiligen Georg im Kampf mit
dem Drachen; der ehemals rechte den hei-
ligen Martin bei der Mantelteilung mit
dem knienden Bettler zu seinen Füßen.
Beide Heiligen wenden sich dem ehema-
ligen Altarzentrum – entweder einem ge-
schnitzten Schrein oder einem Tafelbild –
zu. Der gleichartig gestaltete Hintergrund
beider Darstellungen wird von einer
Brüstung in Schulterhöhe der Heiligen ge-
bildet und nach oben von stilisierten Wol-
kenbändern nischenartig abgeschlossen.
Diese identische Gestaltung der Tafelbil-
der bekräftigt ihre gemeinsame Herkunft.
Der heilige Georg in zeitgenössischer
Rüstung hält in seiner erhobenen rechten
Hand ein Schwert und in seiner Linken die
abgebrochene Lanze, deren Spitze im Ra-
chen des sich emporwindenden Drachen
steckt.
Der heilige Martin ist während der Man-
telteilung dargestellt: Über seinem reich
gefältelten Unterkleid trägt er einen wei-
ten, geschlitzten Mantel, der bis zum
Boden reicht. Mit dem Schwert in der
Rechten teilt der Heilige den Mantel, um
den lahmen Bettler zu seinen Füßen zu be-
schenken. Die detaillierte Darstellung des
Bettlers mit zwei Holzkrücken und einem
bandagierten Bein verdient besondere Er-
wähnung. Er ist kniend dem Altarzentrum
zugewandt, wobei seine Haltung an eine
Stifterfigur denken lässt. Ob sich in ihm
tatsächlich der uns unbekannte Stifter des
Altares erkennen lässt, muss beim heuti-
gen Wissensstand freilich offen bleiben.
Die Maße der Altarflügel (einschließlich
Rahmen) von ca. 165 cm Höhe mal 65 cm