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scheinung. Leicht tänzelnd öffnet er seinen
Mantel, der in breiter Bahn die ganze Ge-
stalt hinterfängt. Mit der Linken umfasst er
geziert die schräg vor dem Podest aufge-
stellte Lanzenstange, mit der hoch erhobe-
nen Rechten umgreift er den hölzernen
Eimer, aus dem der Wasserstrahl gerade
noch das brennende Haus zu seinen
Füßen trifft. Das Lanzenende mit der
Fahne sowie der Ellenbogen überschneiden
die Maßwerkrahmung, doch wird die Be-
wegung bildparallel entwickelt. Der
räumlichen Illusion abträglich ist außerdem
das Überkreuzen von Stab und Wasser-
strahl, sodass der Haltung doch etwas
Künstliches anhaftet. Steckt vielleicht ein
lanzenstechender Georg oder Michael
hinter dieser Erfindung, der in einen hl.
Florian abgewandelt wurde? Die von Her-
zig angeführte Michaelsfigur von Bartolo-
meo Vivarini und diejenige auf dem Lon-
doner Täfelchen aus dem Pacher-Kreis
sind allerdings kaum als Vorbilder geeig-
net und würden eine spätere Datierung des
Korbiniansaltars nahelegen
26
. Interessant ist
nun die Bildung des Gesichtes, die tat-
sächlich auf Friedrich Pacher selbst ver-
weist. Das volle Oval mit der langen Nase,
den sichelförmig geschnittenen Augen und
den hochansetzenden Brauen, der kleine
Mund mit den geschürzten Lippen sowie
das feste Kinn sind für ihn kennzeichnend.
Man denkt in diesem Fall eher an weibli-
che als an männliche Physiognomien, etwa
an die hl. Maria Magdalena von der Pre-
dellentafel des Bozner Stadtmuseums, die
noch deutlicher auf die Quelle dieser Ty-
penprägung verweist, nämlich die Kupfer-
stiche des am Oberrhein tätigen Meisters
E.S.
27
. Direkt neben dem Gesicht Florians
fällt die etwas unglücklich verkürzte
Hand ins Auge mit den verdickten Finger-
kuppen und den zurückgeschobenen Nä-
geln. Dafür bietet der König der Katha-
rinenmarter einen passenden Vergleich,
doch finden sich solche Formen öfter in
den Tafelbildern dieser Werkstatt, darunter
auch bei den Altären des Barbarameisters.
Magdalena ist ebenfalls von vornehmer
Gestalt und wird von ihrem Mantel
kunstvoll umhüllt. Mit der Linken rafft sie
die vordere Mantelbahn, mit der rechten
hebt sie das Salbgefäß empor; dazu neigt
sie andächtig ihr Haupt. Das Kostümliche
spielt, wie es sich für eine Magdalena ge-
ziemt, eine besondere Rolle. Sie trägt ein
eng anliegendes, hochgegürtetes Kleid mit
angesetzten weiten Ärmeln, dazu den
Mantel, bei dem die Faltengebung durch
die Restaurierung beeinträchtigt wird und
der recht hartbrüchig erscheint. Die hintere
Bahn ist mit einem Zipfel nach vorn ge-
zogen und verdeckt die Füße, so wie es
den Vorstellungen des Meisters E.S. ent-
spricht. Außerdem trägt sie einen Turban,
dessen Ende um den Hals herum zur
Schulter geführt wird. Die Auffassung des
Kopfes ähnelt derjenigen beim hl. Florian,
doch sind die Längung des Gesichtes und
die Tendenz zum Hübschen bei Friedrich
Pacher sonst nicht anzutreffen. Dadurch
unterscheidet sich diese Gestalt auch von
der Magdalena des Bozner Predellenbil-
des, die im Übrigen ein ganz ähnliches
Salbgefäß hält. Die Einzelformen des Ge-
sichtes mit den enger stehenden Augen er-
innern an die Madonna vom Schlussstein
in der Neustifter Sakristei, die allgemein
Friedrich Pacher zugeschrieben wird,
doch ist der Umriss hier dem vollen Rund
angenähert worden
28
. Leitformen des
Barbarameisters, etwa die berüchtigte
„Stülpnase“, fehlen hingegen vollständig.
Fasst man diese Beobachtungen zusam-
men, so lässt sich festhalten, dass der
Hochaltar für St. Korbinian in Thal-Ass-
ling sicher bei Friedrich Pacher in Bruneck
bestellt wurde. Die Innenflügel mit den
hll. Florian und Maria Magdalena können
weitgehend als Arbeiten seiner Hand gel-
ten, zumal sie auch ein ansprechendes ma-
lerisches Niveau erreichen. Ihre doch
etwas zurückhaltende und konventionelle
Auffassung legt aber ein vergleichsweise
frühes Entstehungsdatum nahe. Bei den
anderen Tafeln ist angesichts der eklatan-
ten Unterschiede von einer stärkeren Be-
teiligung der Werkstatt auszugehen, die für
das beschriebene Gefälle verantwortlich
gemacht werden kann. Ob man dabei aber
genau zwischen Entwurf und Ausführung
trennen darf, wie Herzig meint, lässt sich
nicht mit Sicherheit feststellen. Solches
könnte am ehesten noch für die Predella
angenommen werden, der auch die ent-
scheidende Rolle bei der Suche nach dem
vermuteten Anteil des Barbarameisters zu-
käme. Angesichts der Qualitätsschwan-
kungen ist es aber sehr schwierig, ein
frühes Œuvre dieses Mitarbeiters zu-
sammenzustellen. Die charakteristischen
Arbeiten sind jedenfalls erst in den 90er-
Jahren entstanden. Bei dem Bemühen um
eine saubere Händescheidung in dieser
Werkstatt stößt die Stilkritik demnach an
ihre Grenzen.
Deutlich erkennbar bleibt immerhin,
dass der Korbiniansaltar an einem gewis-
sen Wendepunkt in der Laufbahn Friedrich
Pachers entstanden ist, an dem sich der
Rückzug des Hauptmeisters von der Ta-
felmalerei abzuzeichnen beginnt. Nach
den weitgehend homogenen Werken, die
unter der Aufsicht Michael Pachers ent-
standen, ist um 1480 von einer neuen Aus-
richtung und der Etablierung einer eige-
nen, offenbar recht effizient geführ-
ten Werkstatt auszugehen. Der Anteil
Friedrichs bei den Retabeln dieser Jahre
lässt sich vor allem an den Mitteltafeln fin-
den, während an den Flügeln Werkstatt-
kräfte eine größere Rolle spielen (Katha-
rinenaltar, Peter- und Paulsaltar). Später
scheint er sich vor allem der Fresko-
malerei gewidmet zu haben, die auch den
Qualitätsmaßstab angibt (Bozen, Domini-
kanerkreuzgang).
Das einzige Datum für die Chronologie
der Tafelwerke aber liefert die Taufe
Christi aus dem Jahr 1483. Etwas früher
entstanden ist der Katharinenaltar, der
unter Propst Leonhard Pacher (1467-83)
für Kloster Neustift bestellt wurde. Für den
Korbiniansaltar, zumindest für die Pre-
della, geben dann die von Friedrich Pacher
ausgeführten Tafeln des 1481 vollendeten
Altars von St. Wolfgang einen wei-
teren zeitlichen Ansatzpunkt, sodass
man eine Datierung um oder bald nach
1480 vorschlagen möchte. Merkwürdig
bleibt dabei der große zeitliche Abstand
zum Weihedatum der Kirche und den
damit verbundenen Schlusssteinmale-
reien (1468).
O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
69. Jahrgang –– Nummer 11-12
Anmerkungen:
1 Ausst. Kat. „Gotik in Tirol“, bearb. von V. Ober-
hammer, Innsbruck 1950, S. 47, Nr. 119. – E. Herzig,
Friedrich Pacher und sein Kreis. Studien zu einer Mono-
graphie, Phil. Diss. Wien 1973 (Masch.schr.), S. 47–57,
111, 127. – Erich Egg, Gotik in Tirol. Die Flügelaltäre,
Innsbruck 1985, S. 191 und Abb. 132.
2 Ausst. Kat. Innsbruck (s. Anm. 1), S. 56, Nr. 146. – G.
Scheffler, Hans Klocker. Beobachtungen zum Schnitzaltar
der Pacherzeit in Südtirol (Schlern-Schriften, Bd. 248),
Innsbruck 1967, S. 10, Anm. 14, S. 136, 137f., Nr. 2.
3 G. Tinkhauser, Topographisch-historisch-statistische Be-
schreibung der Diöcese Brixen, Bd. 1, Brixen 1855, S. 588.
4 J. Walchegger, St. Korbinian im Pusterthal, in: Der Kunst-
freund, N.F. 9, 1893, S. 6–8, 13–16, bes. S. 7f. – R. Sti-
assny, Wolfgang Aßlinger, Simon von Taisten und der Hei-
ligenbluter Altar, in: Mitteilungen der k. k. Zentral-Kom-
mission, 3. F. 3, 1904, Sp. 62–85, bes. Sp. 70f. – H.
Semper, Bilder in der Art des Katharinenaltars im Kloster
Neustift und Friedrich Pacher (1910), wiederabgedruckt in:
Ders., Michael und Friedrich Pacher. Ihr Kreis und ihre
Nachfolger, Eßlingen 1911, S. 230–260, bes. S. 249ff.
5 Der Schriftwechsel zu den Vorgängen der Jahre 1927–1955
befindet
sich
im
Bundesdenkmal-
amt/Landeskonservatorat für Tirol in Innsbruck.
6 In einem Schreiben vom 18. 8. 1929 aus dem zuvor ge-
nannten Konvolut wird vermerkt: „seine Flügel sollen 1864
nach Lienz verkauft worden sein (?)“.
7 Prinz J.-C. von Bayern, Artikel „Friedrich Pacher“ in: U.
Thieme/F. Becker, Allgemeines Lexikon der bildenden
Künstler von der Antike bis zur Gegenwart, Bd. 26, Leip-
zig 1932, S. 120–122, bes. S. 121. – Herzig (s. Anm. 1.).
8 Die Gemälde wurden bei Goudstikker unter den Inventar-
nummern 3023–3026 geführt. – In München erhielten die
Tafeln die Nummern 5267, 5268, 6377, 6378. – In der
„Stichting Nederlandsch Kunstbezit“ haben die Tafeln die
noch immer gültigen Nummern 1846, 1859, 1860, 1920 er-
halten. Vgl. dazu Rijksdienst Beeldende Kunst, Old Mas-
ter Paintings. An Illustrated Summary Catalogue, Zwolle
1992, S. 234, Nr. 2021, 2022 (ohne Hinweis auf die Samm-
lung Goudstikker und den heutigen Aufbewahrungsort).
9 Der Zustand der Tafeln wird durch zwei Aufnahmen aus
dem Nachlass Otto Beneschs dokumentiert, die sich im
Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München befinden
(Nr. 265140, 265141).
10 N. Rasmo, Michael Pacher, München 1969, S. 97–106,
229, Taf. 56, 59, 60. – Ausst. Kat. „Michael Pacher und
sein Kreis. Ein Tiroler Künstler der europäischen Spätgo-
tik 1498–1998“ (Augustiner-Chorherrenstift Neustift),
Bozen/Lana 1998, S. 175, Abb. 2.
11 Ausst. Kat. Innsbruck (s. Anm. 1), S. 45f., Nr. 115, Abb.
51, S. 46, Nr. 117. – Herzig (s. Anm. 1), S. 39–46, 127. –
Ausst. Kat. Neustift (s. Anm. 10), S. 227, Abb. 2. – Bei der
Rekonstruktion bleibt eine Unsicherheit, weil es stilistische
und koloristische Unterschiede zwischen den Flügelbildern
und der Mitteltafel gibt.
12 Ausst. Kat. Innsbruck (s. Anm. 1), S. 47, Nr. 120. – Herzig
(s. Anm. 1), S. 101f., 135f. – Egg (s. Anm. 1), S. 191 und
Abb. 136.
13 Stiassny (s. Anm. 4).
14 O. Benesch, Der Meister von St. Korbinian, in: Zeitschrift
für bildende Kunst 62, 1928/29, S. 152–160.
15 J.-C. von Bayern (s. Anm. 7), S. 121.
16 A. Stange, Deutsche Malerei der Gotik, Bd. 10: Salzburg,
Bayern und Tirol in der Zeit von 1400 bis 1500, Mün-
chen/Berlin 1960, S. 181–189. – Rasmo (s. Anm. 10), S.
144, leugnet die Existenz des „Meisters von St. Korbinian“,
ohne dies näher zu belegen. – Egg (s. Anm. 1), S. 190f.,
führt alle Werke unter dem Namen Friedrich Pachers.
17 Herzig (s. Anm. 1). Die Flügelaußenseiten werden für die
Frage der Zuschreibung nicht herangezogen.
18 Ausst. Kat. Neustift (s. Anm. 10), S. 227f. – In der zuge-
hörigen Broschüre zur „Pacher-Route“ 1998 wird der Kor-
biniansaltar unter der Nr. 29 verzeichnet.
19 Herzig (s. Anm. 1), S. 20–27, 124. – M. Koller, Der Flü-
gelaltar von Michael Pacher in St. Wolfgang (Studien zu
Denkmalschutz und Denkmalpflege, Bd. 18), Wien/
Köln/Weimar 1998, S. 93, Taf. 7–17.
20 Ausst. Kat. Innsbruck (s. Anm. 1), S. 49, Nr. 125. – Herzig
(s. Anm. 1), S. 11–13, 122f. – Ausst. Kat. Neustift (s. Anm.
10), S. 235–239, Nr. 39 (L. Madersbacher).
21 Ausst. Kat. Innsbruck (s. Anm. 1), S. 48, Nr. 122, Abb. 56,
57. – Herzig (s. Anm. 1), S. 69–73, 129. – Egg (s. Anm. 1),
S. 191 und Abb. 134.
22 Ausst. Kat. Innsbruck (s. Anm. 1), S. 46, Nr. 116, Abb. 54.
– Herzig (s. Anm. 1), S. 28–36, 124–126. – Ausst. Kat.
Neustift (s. Anm. 10), S. 240–247, Nr. 40 (L. Madersba-
cher).
23 Ausst. Kat. „Arte medioevale nell’Alto Adige“, bearb. von
N. Rasmo, Bozen 1949, S. 35, Nr. 113, Abb. 101 (Magda-
lena), 102 (Petrus). – Herzig (s. Anm. 1), S. 18f., 123. –
E. Oberhaidacher-Herzig, Die Rekonstruktion zweier
Predellenflügel Friedrich Pachers, in: Österreichische Zeit-
schrift für Kunst und Denkmalpflege 33, 1979, S. 19–26,
bes. S. 23f.
24 K. Ginhart, Die Kunstdenkmäler des Benediktinerstiftes St.
Paul im Lavanttal und seiner Filialkirchen (Österreichische
Kunsttopographie, Bd. 37), Wien 1969, S. 109–115. – Her-
zig (s. Anm. 1), S. 3–9, 121. – Ausst. Kat. Neustift (s. Anm.
10), S. 226, Abb. 1.
25 Ausst. Kat. „Spätgotik in Tirol. Malerei und Plastik von
1450 bis 1530“, bearb. von E. Egg und G. Ammann, Wien
1973, S. 69, Nr. 22, Abb. 19. – Herzig 1973,
S. 123.
26 Herzig 1973, S. 50–54. – Ausst. Kat. Neustift (s. Anm. 10),
S. 200–202, Nr. 29 (L. Madersbacher).
27 S. Anm. 23.
28 Herzig (s. Anm. 1), S. 10, 122. – Ausst. Kat. Neustift
(s. Anm. 10), S. 229–232, Nr. 39A (W. Kofler-Engl).