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durch Söldner Maximilians I. ins
Cadore
eingeschleppt worden sein
53
.
San Rocco
, der
hl. Rochus (um 1295 bis 1327) aus
Mont-
pellier
in Südfrankreich, ist Schutzpatron
gegen Seuchen. Reliquien von ihm kamen
im 15. Jahrhundert nach Venedig (Kirche
S.
Rocco
). Entlang der venezianischen Han-
delswege blühte dann der Kult besonders
auf
54
. – Das Schnitzwerk des hölzernen Al-
tarsockels (Predella) stammt von Michael
Parth aus Bruneck, die Malerei besorgte Ni-
kolaus von Bruneck. Die Gemeinde
Loren-
zago
schloß am 7. September 1523 mit „
Ni-
colò depentor abitante in la terra de Borni-
che
“ einen Vertrag wegen eines Altares für
die Kirche
Madonna della Difesa
um 88
Lire. Am 16. Feber 1525 unterschrieb „
Ni-
colò depenter de Pronek
“ wegen der Liefe-
rung dieses Altares eine Quittung über 200
Dukaten (
depentor
,
depenter
„Maler“, latei-
nisch
depingere
,
pictus
„abmalen, malen“).
Die Zusammenarbeit von Bildhauer und
Maler war für Altaraufträge der Spätgotik
notwendig, der Schrein enthielt nämlich
meist Plastiken, die Fassung und die Flü-
gelgemälde dagegen brauchten einen
Künstler, der mit Farben umzugehen
wußte. Die beweglichen Flügel zeigen innen
die Reliefs der Heiligen Sebastian und Ro-
chus
55
. Besonders berührend ist die biblische
Szene mit dem Stall von Bethlehem: leuch-
tend, zart, schön, friedvoll. Insgesamt ein
fröhliches Kunstwerk der Südtiroler Meister
aus Bruneck vom Beginn des 16. Jahrhun-
derts in der „Pestkirche“ von
Lorenzago
!
Aus dem Norden kamen nicht nur gewalttä-
tige, kaiserliche Landsknechte ins
Cadore
,
sondern auch sakrale Kunstwerke aus Holz
von hoher Qualität. „Walchen“ kauften von
todeschi
Altäre für Kirchen, die sie zum
Schutz vor
todeschi
der Madonna verlobt
hatten – ein ganz selten edelmütiges Bei-
spiel christlichen Verzeihens!
Auch die beiden Kirchen in der Zahre/
Sauris
, der deutschen Sprachinsel nahe dem
Ursprung des
Tagliamento
, schmücken
Kunstwerke aus dem Pustertal: In der St.
Oswald-Kirche der Unterzahre steht ein
1524 datierter Flügelaltar, geschnitzt von
Michael Parth und gefaßt von Nikolaus von
Bruneck („fassen“, von mittelhochdeutsch
vazzen
„mit Gold und Farbe überziehen, be-
malen“). Michael Parth aus Bruneck schuf
1551 den Flügelaltar in der St. Lorenz-Kir-
che in der Oberzahre
56
. – Im wahrsten Sinn
des Wortes veredelter Holzexport aus dem
alten Tirol ins Hoheitsgebiet der Venezia-
ner, die sich immer schon auf das Gestalten
des Schönen und Glänzenden verstanden.
Und der wohl berühmteste Mann, der
sich je im alpinen Holzhandel engagierte,
war
Tiziano Vecellio
, ein cleverer Ge-
schäftsmann mit weitgespannten Interes-
sen, geboren um 1490 in
Pieve di Cadore
57
,
als Neunjähriger nach Venedig zur Maler-
lehre geschickt. Als Tizian wurde er zum
größten Maler der Stadt und zum umwor-
bensten Porträtmaler Europas. Im Jahr
1516 erhielt er das in Venedig sehr be-
gehrte Amt eines Maklers des
Fondaco dei
Tedeschi
(Kaufhaus der Deutschen), es
garantierte ein fixes Einkommen, die Re-
publik wollte ihn als „Staatsmaler“ halten
58
.
Mit der Berühmtheit des Malers wuchs
auch der Ruhm seiner Mäzene. Papst Paul
III. lud ihn etwa 1545 in den Vatikan ein,
Karl V. bat ihn 1548 und 1550/51 zum
Reichstag nach Augsburg
59
. Der Kaiser er-
nannte Tizian 1533 zum Ritter des Golde-
nen Vlieses und zum
Comes palatinus
(eigentlich „kaiserlicher Begleiter“, auf gut
deutsch Pfalzgraf, nach
Palatium
„Palati-
nischer Berg“, einem der sieben Hügel
Roms, wo Kaiser Augustus und seine
Nachfolger residierten)
60
. Und Kaiser Karl
V. verlieh Tizian die Waldungen in
Popena
Nummer 1 – 71. Jahrgang
O s t t i r o l e r H e i m a t b l ä t t e r
„Das Kind stillende Madonna“ in der erzbischöflichen Kirche Santa Maria Nascente von
Pieve di Cadore – ein Bild von Tizian (1568?). Der rechte Mann soll Tizians Bruder Fran-
cesco sein, dargestellt als hl. Andreas, links sein Sohn Pomponio als hl. Tizian, ganz links,
etwas im Hintergrund Tizian selbst - die Ähnlichkeit mit dem Selbstporträt im Prado von
Madrid ist evident (Mit Erlaubnis des erzbischöflichen Pfarramtes in Pieve di Cadore).
Ein Kunstwerk
der Gotik aus
Südtirol im Ca-
dore, in der Kir-
che Madonna
della Difesa e a
San Rocco in Lo-
renzago. Das
Schnitzwerk des
hölzernen Altar-
sockels (Predella)
stammt von Mi-
chael Parth aus
Bruneck, die Ma-
lerei besorgte Ni-
kolaus von Brun-
eck (1523/25).
Fotos: A. Draxl