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castella
, befestigte Höhensiedlungen, wie
sie im Reisebericht des
Venantius Fortu-
natus
um 565 im Nonsberg und im osttiro-
lischen Drautal genannt werden
27
(
per Dra-
vum itur iter, qua se castella supinant, hic
montana sedens, in colle superbit Aguntus
28
– längs der Drau führt der Weg, an dem sich
Kastelle erheben, hier ragt die Bergstadt
Agunt hervor, auf einer Anhöhe gelegen).
Die südliche Grenze der Täler Kartitsch
und Tilliach war seit ihrer Besiedlung zwi-
schen dem Kloster Innichen (gegründet 769
vom Baiernherzog Tassilo III.) und den
Nachbarn im
Cadore
umstritten. So hat im
Jahr 1389 der Generalvikar des Patriarchen
von
Aquileia
für das
Cadore
den dortigen
Gemeinden die Besetzung der Innichen ge-
hörigen Almen
Ualpericula
(sprich Valpe-
ricula),
Kartitsa
,
Maserola
und
Frontal
ver-
boten (dieser Auftrag liegt im Stiftsarchiv
von Innichen)
29
. Diese drei Almen sind
neben
Kartitsa
in der Urkunde von Kaiser
Otto I. aus dem Jahr 965 genannt.
Ualperi-
cula
wird im Talhintergrund des Dorferba-
ches – Obertilliacher Tal – oder des Winkler
Baches vermutet; für diese Alm ist ein
Käsezins der Gemeinde Tilliach für das Stift
Innichen noch zu Ende des 18. Jahrhundert
belegt, dieser Zins wurde bereits in einer Ur-
kunde von 1440 den Tilliachern abgefordert.
Mit
Maserola
soll
Falmasai
(im Norden
vom Golzentipp Richtung Anras) gemeint
sein. Für diese Alm reichte Tilliach im 18.
Jahrhundert dem Stift Innichen einen Käse-
dienst.
Frontal
mündet bei St. Lorenzen ins
Lesachtal. Die heutige Frohnalm liegt
nördlich vom Hochweißstein oder
Monte
Per-alba
. Im Osten anschließend (im
Niedergailer Tal) wird 965
Ualferna
(sprich Valferna) genannt. Es handelt sich
um Karböden über den Talschlüssen rechts
der Gail. Sie sind von Süden her über die
Jöcher genutzt worden, der Zugang war von
dort etwas leichter als der Anstieg von
Norden her durch Schluchten und über Steil-
stufen. Vielleicht deutet der Name
valle in-
ferno
„höllisches, schreckliches Tal“ darauf
hin
30
(der deutsche Flurname
hölle
bedeutet
Klamm als Inbegriff des Gefährlichen
31
).
Schon 1403 (und 1448) wurde den Bau-
ern aus Kartitsch und Tilliach erlaubt, bis
zur
summitas montium
„zum Obersten des
Berges“, ihr Vieh weiden zu lassen, dafür
mußten sie dem
capitaneus Catubrii
, dem
„Hauptmann des Kadober“, einen Jahres-
zins von zwei Dukaten zahlen (Kadober
oder Kataufers war der deutsche Name für
Cadore
). Das geschah durch einen
Schiedsspruch in Innichen zwischen dem
Grafen Heinrich von Görz als Landesherrn
des Gerichtes Heunfels und Bischof Jo-
hann von Brixen als solchen des Gerichtes
Anras einerseits und dem Dogen von Ve-
nedig
Francesco Foscari
als Herren des
Cadore
andererseits. Die Gebiete der Täler
Kartitsch und Tilliach (als
Cercenatum
be-
zeichnet) auf der einen und des Tales
Ca-
dore
auf der anderen Seite mit der Ge-
meinde
Comelico
wurden durch den was-
serscheidenden, höchsten Kamm von
einander getrennt. Die Leute von Kartitsch
und Tilliach durften auf ihrer Seite keine
Häuser (Almhütten) oder Verhaue (Pferche
zum Einsperren von Vieh) errichten. Der
Anerkennungszins für die hochgelegenen,
schattseitigen Weiden spricht dafür, dass
diese gegen den karnischen Hauptkamm
ziehenden Hochtäler und Kare ursprüng-
lich zum
Cadore
gehört haben. Infolge der
späteren Besiedlung (als im Süden) wurden
sie dann nach und nach von Kartitsch und
Tilliach beansprucht.
An diesen Verträgen von 1403 und 1448
hielt auch eine Grenzurkunde des Gerichtes
Heunfels von 1500 fest; sie gibt als Mark
(= Grenze, vergleiche lateinisch
margo
„Rand“, althochdeutsch
marka
) zwischen
den Tilliachern und den „Walchen“ (
=
Welschen des
Cadore
) „die Höch und
Schröff des Pergs, wie nach jeder Seite das
Wasser rinnt“. Zwischen den Kartitschern
und „Venedigern“ hieß es „wie die Höch
sich her und hinwärts neigt“
32
. Obwohl auf
Vertragsbruch schwere Geld- und Leibes-
strafen gesetzt waren, kehrte keine Ruhe
ein
33
. Im Jahr 1474 verkauften die Vertreter
der
Carnia
Leuten aus dem Lesachtal um
400 Dukaten die Alm
Valferna
(
montem
Uallis Inferni
). Dann um 1491/92 gab es
vor kaiserlichen Kommissären Streit
wegen
Frontal
und
Valferna
zwischen dem
Stift Innichen einerseits und Leuten aus
dem Lesachtal und
Tolmezzo
andererseits.
Offenbar waren die Rechte von Innichen,
das einen Jahreszins von sieben Dukaten
forderte, übergangen worden
34
. Eine ge-
nauere Vermarkung dieses Bereiches er-
folgte im Jahr 1785 unter Kaiser Josef II.
durch die allgemeine österreichisch-vene-
tianische Grenzregulierung
35
.
Die letzte gewaltsame Auseinanderset-
zung, von der Staffler berichtet, passierte in
Tilliach am Dreikönigstag 1512: Ein Trupp
Italiener drang im Morgengrauen aus dem
Erlachtal in Tilliach ein, plünderte sechs
Häuser und flüchtete mit der Beute. In der
Gegenwehr gab es Tote und Gefangene (in
einer Militärkarte von 1823 heißt es „Erler
Th.“ = Thal, heute Winkler Tal, Erlach – „in
der Aue“ in Untertilliach = eine Gegend, wo
neben der Gail viele Erlen wachsen). Bei
einem zweiten Angriff durch das Dorfertal
warnten Hirten die Tilliacher durch Hilfe-
rufe, die Räuber ihres Viehs wurden gestellt
und in blutigem Kampf vertrieben
36
.
Diese Gewalttaten und Beutezüge hatten
ihre Ursache wohl eher nicht in den alten
Streitigkeiten wegen der Weiderechte. Sie
standen vielmehr im Zusammenhang mit
dem Krieg zwischen Venedig und Maximi-
lian, quasi Reaktionen auf Plünderungen
und Verwüstungen der kaiserlichen Lands-
knechte im
Cadore
. So etwa endete ein küh-
ner Angriff von 1300 Tiroler Landsknechten
(im kaiserlichen Land angeworbene, besol-
dete Fußtruppe) durch das Pustertal über
Ampezzo
gegen die Venezianer am 2. März
1508 in der schweren Niederlage von Pleif
(der deutsche Name von
Pieve di Cadore
),
der Tiroler Feldhauptmann Sixt Trautson
fiel mit den meisten Knechten
37
. Aus Rache
für die Schmach von Pleif durften im Jahr
1509 die Knechte im Tal der
Boite
(von
Am-
pezzo
bis zum
Piave
) plündern, alle Dörfer
gingen in Flammen auf, auch die Weiler von
Ampezzo
wurden eingeäschert (19. Juli
1509).
38
Im Übrigen mußte Maximilian
mehrmals die
contadini
, die Bauern (
con-
tado
ist die ländliche Umgebung einer Stadt,
deren Einwohner
cittadini
heißen), den
Knechten zum Plündern und Brandschatzen
freigeben, weil er deren Sold nicht bezahlen
konnte. Das erbitterte Landvolk auf der
terra ferma
(das „feste“ Land von der La-
gunenstadt aus betrachtet) hat schließlich
mit seinem Widerstand das überlebens-
wichtige „Hinterland“ für Venedig gerettet.
Die
Serenissima
(„die Durchlauchtigste“,
der Beiname Venedigs) machte sich das
„Ungestüm“ der bäuerlichen Kämpfer zu-
nutze, die hofften, einen Rückfall in verhär-
tete feudale Verhältnisse hintanhalten zu
können. Venedig hat nämlich die
terra
ferma
mit viel Verständnis für lokale Ei-
genheiten und Traditionen regiert. Der Adel
war zwar damit nicht einverstanden, aber
das Volk schätzte dieses Regiment und vor
allem den Wohlstand, den die kluge Politik
Venedigs sicherte
39
.
Mehrere Kirchen im
Cadore
sind der
Beata Vergine della Difesa
, der Schutz-
mantelmadonna, geweiht: in
Domegge
,
Lo-
renzago
,
San Vito
und
Vigo
; sie entstanden
alle in der Zeit von 1510 und 1520
40
. In
Vigo di Cadore
, in der winzigen gotischen
Kirche
Madonna della Difesa
, gibt es ein
Exvoto-Fresko: das rührend-einfache Vo-
tivbild „zur Abwehr“; die Madonna thront
vor Burg, Kirche und Bergen, zu ihren
Füßen zelebriert der Pfarrer die Messe, um-
geben von den Honoratioren des Ortes
41
. Es
war der 19. Juli 1509: Der Juli aus Eisen,
Feuer und Blut, mit dem das
Cadore
durch
Kriegsvolk von Maximilian I. verwüstet
worden ist. Die Votivinschrift unter dem
Fresko in
Vigo di Cadore
lautet
42
:
MCCCCCXII ADI X DE DE//CEN-
BRIO SIANDO EL P//AESE INGRADA
FOR//TUNA DA TODESCHI file://EL
PLEBANO CON EL file://SUO POPULO
FECE VO//DO DEFARE UNA GESI//A
A LAUDE DE LA MADONA
– d. h. 1512 am 10. Dezember: Das
Dorf hatte Unglück und wurde von
Deutschen besetzt. Der Pfarrer mit seinem
Kirchenvolk gelobte die Errichtung einer
Nummer 1 – 71. Jahrgang
O s t t i r o l e r H e i m a t b l ä t t e r
Kaiser Maximilian I., Seccomalerei in der
Kapelle von Lerschach (Toblach), die
nach der Überlieferung von ihm zum Dank
für die Erstürmung von Peutelstein gestif-
tet worden sein soll. In Toblach hielt sich
Maximilian durch einige Tage auf und
gleich mehrmals auf der Burg Heinfels bei
Sillian, wo er das Hauptquartier der Ver-
teidigung im Pustertal einrichtete.
Foto: M. Pizzinini