Seite 16 - VP_2012_04

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INTERVIEW
PUSTERTALER VOLLTREFFER
APRIL/MAI 2012
16
Steinbacher:
„Dass allein
Vollerwerbsbauern überlebens-
fähig sind, darüber kann man
durchaus geteilter Meinung sein.
Gerade unsere Studie zeigt, dass
es in Nord- und Osttirol durchaus
alternative Modelle gibt – Ne-
benerwerbsbauern etwa, die wirt-
schaftlich ebenfalls überleben
und nicht minder Garanten für
den Erhalt der gewachsenen Kul-
turlandschaft sind.“
Was trägt die Klimaänderung
bei?
Peintner:
„Es kann durchaus
sein, dass die Klimaänderung
dazu führt, dass auch vermehrt
Gemüse, wahrscheinlich auch
wieder Korn oder sogar Obst an-
che im Talboden von ihrer Aus-
dehnung her kaum verändert hat.
Von den 1950er bis in die 1980er
Jahre wurden infolge von Melio-
rierungen und Flurbereinigungen
zur Verbesserung der maschinel-
len Bearbeitung zwar Flächen
ausgeräumt, in den vergangenen
Jahrzehnten konnten aber wieder
vermehrt Einzelbäume und
Heckenstrukturen aufkommen.
Vor allem aber säumen Baumbe-
stände und Hecken die Fließ-
gewässer und bereichern die
Landschaft. Die offenen, locker
bestockten Lärchwiesen und
-weiden werden in Zukunft aller-
dings weitgehend verschwinden.
Damit verliert das Pustertal eine
bewaldung unrentabler Flächen
sogar als Bereicherung des Land-
schaftsbildes.“
Wie viele Flächen wurden im
Pustertal in den letzten 150 Jah-
ren aus der landschaftlichen
Nutzung genommen?
Tasser:
„60 % der Nutzflächen
im Alm- und Hochalmbereich.
Dies betrifft insbesondere die
höher gelegenen Bergmähder. Die-
ser Trend der Brachlegung von
Almflächen ist aber überall zu be-
obachten. ZumVergleich: Im Stu-
bai sind rund 80 % der ehemaligen
Almflächen aufgelassen, im Lech-
tal sogar rund 95 %, imVinschgau
dagegen nur rund 40 %. Gunstla-
gen im Pustertaler Talboden, wer-
Jahrhunderte lang war
die Landschaft ein „Ne-
benprodukt bäuerlicher
Arbeit“. Gerade diese
ist seit den 1950er Jah-
ren einem tiefgreifenden
Wandel unterworfen.
Unrentable Flächen
werden aufgelassen,
Gunstlagen im Tal inten-
siviert, Landwirtschafts-
flächen zunehmend zu
Baugründen. Experten
im Gespräch mit dem
Pustertaler Volltreffer.
Wie wird sich die schöne Landschaft im Pustertal entwickeln?
den wahrscheinlich auch in Zu-
kunft intensiv für die Grünland-
wirtschaft genutzt werden.“
Peintner:
„An der intensiven,
maschinellen Nutzung werden
die Bauern, die bei den politisch
niedrig gehaltenen Lebensmittel-
preisen gezwungen sind, mög-
lichst viel aus ihrem Grund und
Boden herauszuholen, nichts än-
dern. Unsere Bauern sehen im
(politischen) Erhalt der Voller-
werbslandwirtschaft auch die ein-
zige Chance, das traditionelle
Landschaftsbild, das von der
überwiegenden Mehrheit der Be-
fragten auch für die Zukunft ge-
wünscht wird, zu erhalten.“
Wie ist es um die Pusterta
DIE EXPERTEN:
Melanie Steinbacher,
Uni Inns-
bruck, Institut für Soziologie und
Mitarbeiterin im Interreg-Projekt
Kultur.Land. (Wirt)schaft,
Erich
Tasser,
EURAC, Institut für Alpine
Umwelt, Leiter des Interreg-Pro-
jektes Kultur.Land. (Wirt)schaft,
Viktor Peintner
(Bezirksobmann
des Südtiroler Bauernbundes,
Bgm. Paul Schwingshackl
(Gsies), Heimatpfleger
Albert
Willeit
und
Alexa Nöckler,
AVS-
Umweltreferentin in Sand und
Mitarbeiterin im Tourismusverein
Melanie
Steinbacher
Viktor Peintner
Bgm. Paul
Schwingshackl
Herr Tasser, wie ist es um die
Landschaft des Pustertales in
Südtirol bestellt?
Tasser:
„Die landschaftliche
Zukunft im Pustertal liegt – an-
ders als in vielen anderen Teilen
Tirols – nicht in einer massiven
Waldausbreitung. Zwar verdun-
kelt sich die Landschaft imAlm-
bereich deutlich. Allerdings
bleibt ein erheblicher Teil der
strukturreichen ehemaligen Alm-
flächen waldfrei, weil etwa 40 bis
50 % der Almfläche noch bewei-
det werden oder über der poten-
tiellen Waldgrenze liegen. Unsere
Berechungen zeigen, dass sich
die landwirtschaftliche Nutzflä-
wertvolle traditionelle Kultur-
form.“
Das heißt?
Tasser:
„Der Wald breitet sich
bis zum Waldgrenzbereich deut-
lich aus. Doch laut Meinungsum-
frage zum Thema Wiederbewal-
dung von landwirtschaftlichen
Flächen zeigt sich wider Erwar-
ten, dass dies – anders als bisher
stets kolportiert – für die Mehr-
heit der Befragten (Einheimische
wie Feriengäste aller Sprach-
gruppen) kein ästhetisches Pro-
blem darstellen würde. Im Ge-
genteil: Feriengäste und italie-
nischsprachige Südtiroler sehen
das Zuwachsen und die Wieder-
Erich Tasser
Albert Willeit
Alexa Nöckler
Mögliche Szenarien einer alpinen Landschaftsentwicklung (v. l.): Brachlegung – Hotel und Skigebiet – Ackerwirtschaft – Windpark.