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OSTTIROLER
NUMMER 12/2005
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HEIMATBLÄTTER
sachen, für die wir Menschen selbst ver-
antwortlich sind. Das Tagebuch als Hilfe-
stellung für den „Leser“ seiner Arbeiten
zum einen und zum anderen als künstle-
risch-literarischer Ansatz beweist Rane-
burgers Tendenz, der Schriftlichkeit eine
parallele Bedeutung zu seinen Malereien
und Projekten einzuräumen. In der Ein-
leitung zum „Tagebuch I – Eine Dreierbe-
ziehung“, das 1998 als Ausstellungsbuch
zum Thema „Gruppen“ erschienen ist,
schreibt die Kulturjournalistin Andrea
Schurian: „Peter Raneburgers Arbeiten er-
scheinen mir als spannende Materialexpe-
rimente, konzeptuell ja, aber keineswegs
literarisch. Welch ein Irrtum, wie sich spä-
ter herausstellen sollte...“
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Das Buch in Abwägung zum Katalog als
Präsentationsform der künstlerischen
Arbeiten mit Textbegleitung stellt für
Raneburger das eindeutig bevorzugte
Medium dar.
„Die Buchform, das Tagebuch hat für
mich mehr Aussagekraft und lässt mehr
Freiraum zu – es ist eine emotionelle Ge-
schichte.“
Die Vorstellung vor Publikum, zum Bei-
spiel veranstaltete das Künstlerhaus Kla-
genfurt 2001 zur Finissage eine Lesung
aus den Tagebüchern I und II mit dem
Schauspieler Maximilian Achatz und
einige Jahre vorher, 1994 traf sich Peter
Raneburger mit weiteren Künstlern, wie
Paul Renner, Josef Gamper, Fritz Grohs
oder Bill Offermann zu einer „Soiree brut“
in Schwarzenberg, bedeutet nicht nur eine
„Fundamentierung“ eines Projektes, son-
dern auch dessen Abschluss.
Diffizile Themen für eine
programmatische Bildgestaltung
Einen weiteren wichtigen Themenkom-
plex stellen die schriftlichen, malerischen,
konzeptuellen und installierten Abhand-
lungen über das differenzierte Verhältnis
von Eltern zu ihren Kindern dar. Maleri-
sche Notationen, Skizzen und Texte rund
um die Geburt seiner Tochter Josephin, die
1995 im Buch „ES II – fragmentarische
Dokumentation einer Schwangerschaft“
beschrieben wird, zeigen zum einen die
Rolle der Verantwortungsperson auf, zum
anderen stellt sich Peter Raneburger aber
auch die Frage nach dem Ende des
„Besitzanspruches“. Ab wann unterliegt
die Verantwortung dem Eigennutzen eines
Erwachsenen? Raneburgers Interesse
endet nicht mit der Darstellung eines be-
glückenden familiären Ereignisses.
Die weit darüber hinaus medial-analyti-
sche Thematisierung des Infantizids, der
Kindestötung, zählt zu jenen Berührungs-
punkten in Raneburgers Œuvre, in denen
er kompromisslos die Positionen und die
Stationen einer vielfach bewusst evozier-
ten Extremsituation im menschlichen Tun
als Beobachter beschreibt.
„Ich möchte nicht nur die Opfer zeigen,
mir geht es dabei auch um den Aspekt der
Zeit – die Zeit bis die Tat ausgeführt wird
– die Zeit bis jemand zum Täter wird.“
„Gefangene Seelen“ betitelt der Künstler
eine audio-visuelle Rauminstallation, mit
der er in diesem Zusammenhang u. a. im
Sommer 2005 bei der Gruppenausstellung
„6 positionen“ im ehemaligen Gerichts-
haus in Matrei in Osttirol vertreten war.
Der Faktor Zeit vergegenwärtigt sich in
seinen Arbeiten nicht ausschließlich durch
die serielle Abfolge einer Themensequenz,
ebenfalls von immanenter Bedeutung ist
die Justierung, auch eines zweidimensiona-
len Bildwerkes im Raum. Mit Kunstharz
gebundene Farbpigmente, collagiertes
Fotomaterial, Schriftstücke als ideelle Vor-
lagen und digital bearbeitete Bildsujets zäh-
len zu einem Part seiner favorisierten Aus-
drucksmittel. Neben Werken mit Objektan-
spruch und Installationen eröffnet sich
gerade durch den Bildträger Glas und Ple-
xiglas ein im wahrsten Sinne des Wortes
weiteres Raumgefühl, das durch Licht ent-
standene Schatten als weiteren Zeitindika-
tor miteinbezieht. Eine zügige, kontinuier-
liche Pinselführung, deren grafische Kom-
ponenten der malerischen Binnenzeichnung
nur verhalten unterliegen, betonen zusätz-
lich Peter Raneburgers zeitbezogenes
Arbeiten am Material. Nur am Material,
vorwiegend Papier, mehrfach grundiertes
Leinen oder Plexiglas als Druckvorlage,
denn die Themenkreise selbst werden von
ihm keineswegs einer raschen Abhandlung
unterzogen; vielmehr resultiert jeder neue
Interessensschwerpunkt aus einem voran
gegangenen. Wichtig ist vor allem das
rationale Eruieren und Forschen, um die
daraus gewonnenen Ergebnisse als künstle-
risches Konzept umsetzen zu können.
Mit dem Genre Film entdeckte Ranebur-
ger ein weiteres Medium, um seine Viel-
fältigkeit unter Beweis stellen zu können.
Als provokant irritierend kann das 1998 im
Rahmen eines Festmenüs konzipierte
Filmprojekt „sundaychilds – SIX“ (S8-
Film) bezeichnet werden. Dazu der Ein-
trag aus dem „Tagebuch I“: „Interessantes
Angebot des Berggasthofes – Strumerhof
– Mittwochs – Kulinarium – mit fünfgän-
gigem Menü unter Titel – kleine und große
Matreier …“
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Das Konzept des Films, der
übrigens im Anschluss an das mehrgän-
gige Menü als nächtliche Freilichtauffüh-
rung den Gästen gezeigt wurde, bezieht
sich auf die eigentliche Vorbereitungszeit
und die Abläufe vor dem finalen Essens-
akt. Vom Einkauf bis zur Schlachtung,
vom Sortieren der Zutaten bis zum Sepa-
rieren der anfallenden Abfälle – die Arbeit
von sechs Werktagen für die Völlerei am
siebten Tag. Im Grunde genommen geht es
Raneburger um die kritische, nicht morali-
sierende Bewertung eines selbstverständ-
lichen Konsumverhaltens.
Produktives Arbeiten im Austausch
mit anderen Künstlern
Als Ausgangspunkt für eine spannende
Künstlerfreundschaft zeichnete sich eine
von Peter Raneburger 1991 initiierte Le-
sung mit H. C. Artmann in einem Matreier
Gasthof ab. Paul Renner, ein Vorarlberger
Künstler mit internationalen Ausstellungs-
erfahrungen, ein Freund Artmanns und Be-
gründer der „Vacanz“, begleitet Ranebur-
ger seit dieser Zeit in mehr oder weniger
regelmäßigen Abständen als Projektpart-
ner. 1996 verwirklichten die beiden die
buchdokumentierte Arbeit „Leere füllt/
voll in die Leere“, in der die
„Phänomeno-
Aus dem Zyklus „Heiligenbilder“ von
2000: „braut IV“, Digitaldruck auf Plexi-
glas, Übermalung, 47 x 40 cm.
Foto: Privat
ES II: Akt, XXXII, 1995, Wachskreide, Tro-
ckenfarbe und Grafit, laviert auf Transpa-
rent, 45 x 45 cm.
Eine Arbeit von 1989, „Die Standhaftig-
keit des Stuhles bei Annäherung“, Vollton-
farbe und Kohle auf Karton, 100 x 70 cm.